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WASSER/229: Freihandelsabkommen - Was bleibt vom Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2016

Gutes Essen - schlechtes Essen
Strukturwandel wohin?

UN-Agenda 2030 und Freihandelsabkommen
Was bleibt vom Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung?

von Durmus Ünlü


Das Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung wurde durch die 2030 Agenda der Vereinten Nationen (UN) gestärkt. Im Rahmen der Wasserziele reicht die Umsetzung weit über Zugang zu und Entsorgung von Wasser hinaus und geht sogar in den Bereich des Ressourcenschutzes und lokaler Beteiligung hinein. Jedoch könnte die sogenannte "neuere Generation" von Freihandelsabkommen der vollen Umsetzung der Wasserziele entgegenwirken.

Mit der Annahme der Resolution 'Menschenrecht auf einwandfreies und sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung' durch die UN-Generalversammlung im Juli 2010 hat die internationale Staatengemeinschaft das 'Recht auf Wasser' und die damit verbundenen staatlichen Kernpflichten anerkannt und sich dadurch selbst gebunden ("Soft Law"). Während Deutschland die Resolution von Anfang an stark unterstützt hat, haben Kanada und die USA sich bei der Resolutionsabstimmung enthalten(1) - und gerade mit diesen Staaten möchte die Europäische Union (EU) Freihandelsabkommen abschließen.

Die Resolution in Verbindung mit dem UN-Sozialpakt bedeutet, dass Wasser für Personen und Haushalte bezahlbar zur Verfügung gestellt werden muss. Dies gilt auch für die Sanitärversorgung. Der Staat ist verpflichtet, für die Sicherung der menschlichen Grundversorgung Lösungen zu finden. Um diese Pflicht erfüllen zu können, bedarf es auch des vorsorgenden, nachhaltigen Schutzes der örtlichen Wasserressourcen und eines darauf bezogenen Gewässermanagements. Dieser Ansatz findet sich bereits in der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie und nun auch im Nachhaltigkeitsziel Nr. 6 der 2030 Agenda.


Drohende Investor-Staat-Klagen bei Umsetzung des Menschenrechts auf Wasser

Ziel Nr. 6 betrifft speziell Wasser und lautet "Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle". Die Unterziele gehen auf das zuvor genannte Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung umfassend ein. Es geht dabei auch um vorsorgenden und nachhaltigen Ressourcenschutz. Vor allem aber wird im Unterziel Nr. 6.b die "Mitwirkung lokaler Gemeinwesen an der Verbesserung der Wasserbewirtschaftung und der Sanitärversorgung" genannt. Für Deutschland bedeutet das nichts anderes, als dass damit die kommunale Wasserwirtschaft (vor allem Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung) als kommunale Daseinsvorsorge gemeint ist.

Das Ziel 6.b geht aber noch weiter. Es heißt am Ende, dass die Staaten die Mitwirkung lokaler Gemeinwesen "unterstützen und verstärken" sollen. Ob und wie eine solche Entwicklung zukünftig möglich ist, kann zu Recht bezweifelt werden. Denn vieles deutet darauf hin, dass die neueren Freihandelsabkommen wie CETA (Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen EU-Kanada) und TTIP (Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft EU-USA) den Wasserzielen entgegenwirken werden. Insbesondere der vorgesehene spezielle Investitionsschutz für ausländische InvestorInnen ist nicht an die Einhaltung der Menschenrechte durch die Unternehmen gebunden. Dies kann zwar dazu führen, dass die Bindung der Staaten an die Menschenrechte von ihnen gemeinwohlbezogene Maßnahmen verlangt, etwa erhöhte Gewässerschutzstandards zum Schutz der Wasserressourcen oder eine Begrenzung der Wasserpreise für sozial Schwache. Jedoch kollidiert diese Bindung mit den geplanten wirtschaftsorientierten neueren Freihandelsabkommen. Eine solche Kollision müsste im Grunde genommen menschenrechtskonform aufgelöst werden. Dies ist aber bei drohenden Investor-Staat-Klagen vor einem Sondergericht mit einem Vorwurf "unfair und ungerecht" behandelt oder gar "indirekt enteignet" worden zu sein, zweifelhaft.


Wie Investorenklagen das Menschenrecht auf Wasser und Sanitärversorgung konterkarieren

So wurde z. B. Argentinien durch ein Schiedsgericht zur Zahlung von 405 Millionen Dollar an das private französische Wasserunternehmen Suez verurteilt. Gegenstand der Entscheidung war die Kündigung des Vertrags zur Wasserversorgung und Abwasserentsorgung in Buenos Aires. Nach langen Auseinandersetzungen über die Qualität der Dienstleistungen, die erforderlichen und getätigten Investitionen und erheblichen Tarifsteigungen war der Vertrag gekündigt worden.(2)

Auch das niederländische Unternehmen United Utilities (Tallinn) B.V. hat die Republik Estland in einem Streit um die Wasserversorgung der Hauptstadt Tallinn verklagt. Hintergrund des Streits war, dass die von der AS Tallinna Vesi jährlich vorgenommene Erhöhung des Wasserpreises von der Aufsichtsbehörde im Jahr 2011 mit dem Verweis auf eine Gesetzesänderung abgelehnt wurde. Die Unternehmen sehen in diesem Vorgang einen Verstoß gegen das bilaterale Investitionsschutzabkommen zwischen Estland und den Niederlanden und haben deshalb die Republik Estland verklagt.(3)

Auch CETA und TTIP können durch ihre rechtliche Wirkung die kommunale Daseinsvorsorge in Frage stellen und ihre gemeinwohlbezogene Weiterentwicklung stoppen. Mit ihrem Abschluss käme internationalen Übereinkommen Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten und dem EU-Sekundärrecht (wie Verordnungen, Richtlinien, Entscheidungen und Empfehlungen der EU) zu - sofern keine ausreichenden Vorbehalte vorgesehen sind.(4) Ob die in CETA und TTIP vorgesehenen Vorbehalte trotz zusätzlicher Kompromiss-Erklärungen ausreichend sind, ist weiterhin offen und strittig - am ausverhandelten und am unterzeichneten CETA-Text hat sich jedenfalls inhaltlich nichts geändert.

Bei bestehenden Unklarheiten stehen völkerrechtliche Abkommen wie die geplanten CETA oder TTIP in der Normenhierarchie über dem EU-Sekundärrecht, wie zum Beispiel der Wasserrahmenrichtlinie, und es darf dann auch CETA- oder TTIP-konform ausgelegt werden. Im Hinblick auf CETA bedeutet dies z. B.: Die für den europäischen Gewässerschutz immens wichtige Wasserrahmenrichtlinie läuft Gefahr, zu wirtschaftsliberal entwickelt zu werden. Dies dient aber nicht dem vorsorgenden Gewässer- und Trinkwasserschutz, sondern Unternehmens- und Investoreninteressen. Dadurch wird das Erreichen des Ziels des "guten Gewässerzustands" in der EU gefährdet und damit auch dem gebotenen vorsorgenden Ressourcenschutz. Darüber hinaus geht es darum, wie die EU und Deutschland mit den Nachhaltigkeitszielen der 2030 Agenda umgehen und welche Signale an die UN und die UN-Mitgliedstaaten gesendet werden.


Auf die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele konzentrieren - demokratisch fundierte kommunale Wasserwirtschaft stärken!

Zusätzliche Beruhigungserklärungen zum CETA-Abkommen und zu den TTIP-Verhandlungen reichen nicht aus, um den Daseinsvorsorgebereich Wasser und Abwasser (Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung) generell vom Anwendungsbereich des CETA, TTIP und anderer Freihandelsabkommen auszunehmen. Mit der Europäischen Bürgerinitiative Right2Water haben bereits im Jahr 2013 rund 1,9 Millionen EU-BürgerInnen eben dieses Recht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung eingefordert. Auch das EU-Parlament hat bereits im September 2015 von der EU-Kommission gefordert, "[...] Wasserversorgung und sanitäre Grundversorgung sowie Abwasserentsorgung auf Dauer von den Binnenmarktvorschriften und allen Handelsabkommen auszunehmen, da diese als Teil der Daseinsvorsorge vorwiegend in öffentlichem Interesse sind und zu erschwinglichen Preisen zur Verfügung gestellt werden sollen [...]".(5) Nur so können sich Deutschland, die EU-Mitgliedstaaten und die EU ernsthaft auf die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele konzentrieren und effektive Umsetzungsmaßnahmen auf den Weg bringen. Dazu gehört auch die Stärkung der demokratisch fundierten kommunalen Wasserwirtschaft als Kernbereich der Daseinsvorsorge und die Umsetzung der staatlichen Kernpflichten zur Gewährleistung des Menschenrechts auf Wasser und Sanitärversorgung.


Autor Durmus Ünlü ist stellvertretender Geschäftsführer der Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e.V. (AöW) und Koordinator der AG-Wasser im Forum Umwelt und Entwicklung.


Der Artikel basiert auf dem vom Autor durchgeführte Interview mit Prof. Silke Laskowski, 'Ist das Menschenrecht auf Wasser im Spannungsfeld von UN-Nachhaltigkeitszielen und Freihandelsabkommen zu verwirklichen?',
http://www.aoew.de/media/Veranstaltungen/2016/Interview_Laskowski_zum_Vortrag_Nuernberg_04_05_2016_Final_Stand_2016-10-15.pdf


Anmerkungen

(1) http://www.un.org/press/en/2010/ga10967.doc.htm.

(2) EUWID Wasser und Abwasser (15.04.2016): Schiedsgericht ICSID spricht Suez Environment 405 Mio. Dollar Schadenersatz zu.
http://www.euwid-wasser.de/news/international/einzelansicht/Artikel/schiedsgericht-spricht-suez-environnement-schadenersatz-von-405-mio-dollar-zu.html

(3) Legal Tribune Online (04.04.2015): Schiedsverfahren nach Privatisierung der Wasserversorgung.
http://www.lto.de/recht/kanzleien-unternehmen/k/squirepatton-boggs-herbert-smith-freehills-schiedsverfahren-nach-privatisierung-der-wasserversorgung/

(4) Nähere Informationen: Silke R. Laskowski (2016): Rechtliches Gutachten zu möglichen Verstößen gegen Investitionsschutzregelungen des Freihandelsabkommens CETA durch Maßnahmen der kommunalen Wasserwirtschaft, ISDS-Schiedsgerichtsverfahren und Haftungsfragen.
https://www.mehr-demokratie.de/fileadmin/pdf/2016-09-23_Laskowski-Gutachten.pdf

(5) Europäisches Parlament (08.09.2015): Entschließung zu den Folgemaßnahmen zu der Europäischen Bürgerinitiative zum Recht auf Wasser, Ziffer 22.
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+20150908+ITEMS+DOC+XML+V0//DE&language=DE

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Quelle:
Rundbrief 4/2016, Seite 42 - 43
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2017

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