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FORSCHUNG/466: "Die Emissionen steigen, steigen und steigen" (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 4/2013

"Die Emissionen steigen, steigen und steigen."

Interview von David Schelp mit Ottmar Edenhofer



Wie kann der Klimawandel gestoppt werden? Seit 2008 widmet sich Ottmar Edenhofer, Vize-Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und Leiter der Arbeitsgruppe III des Weltklimarates (IPCC), dieser Menschheitsfrage. Im Interview erklärt der Chefökonom des PIK, warum der Emissionshandel dabei eine zentrale Rolle spielen sollte. Und dass Klimapolitik mitunter eine nervenaufreibende Angelegenheit ist.


In einem Porträt schrieb "Nature" kürzlich, dass Sie vor jeder Sitzung des IPCC eine Karteikarte vor sich an den Sitzungstisch heften. Was hat es damit auf sich?

Leider ist mir Zorn nicht fremd, auch bin ich ungeduldig und kann schon mal auf den Tisch hauen. Für einen Diplomaten sind das keine Tugenden. Wenn man im UN-Kontext Verhandlungen führt, muss man genau zuhören und hitzige Debatten auch dann auf eine rationale, lösbare Ebene bringen, wenn Angriffe mal emotional oder sogar persönlich werden. Deswegen das Kärtchen. Darauf steht der Rat eines befreundeten Wissenschaftlers: "You should never lose your temper."

Neben VWL haben Sie auch Philosophie studiert. Hilft das bei Ihrer Arbeit?

Nach dem Studium habe ich die Philosophie zunächst beiseite gelassen, erst im IPCC ist sie mir wieder wichtig geworden. In Arbeitsgruppe III geht es darum, in welchem Ausmaß und wie wir den Klimawandel begrenzen können. Dabei stehen wir immer wieder vor Wert- oder sogar Gerechtigkeitsfragen, etwa weil Entwicklungs- und Industriestaaten ungleich vom Klimawandel betroffen sind und ihnen durch Klimaschutz unterschiedlich hohe Kosten entstehen. Solche Fragen angemessen zu verhandeln, ist schwer. Für den fünften Sachstandsbericht unserer Gruppe habe ich deshalb auch Philosophen an Bord geholt. Sie schreiben ein ganzes Kapitel zum Verhältnis von Ökonomie, Gerechtigkeit, Ethik und Werten.

Im April legen sie den Bericht in Berlin vor. Wie sind Sie in den vergangenen fünf Jahren vorgegangen?

Wir haben einen intensiven Dialog mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft geführt, um auszuloten, welche Fragen wichtig sind, wenn wir den Klimawandel in seine Schranken weisen wollen. Auf dieser Grundlage haben Forscher Szenarien und Modelle entwickelt, um beispielsweise einschätzen zu können, wie viel Erneuerbare Energie oder Kernenergie wir dazu benötigen. Besonders wichtig war es mir dabei, die Rolle des IPCC klar zu definieren.

Warum war das nötig?

Ich glaube, die wissenschaftliche Politikberatung muss sich neu aufstellen. Ich möchte das mit einem Bild beschreiben: Der IPCC erstellt Landkarten, auf denen Zielorte sichtbar werden, die auf verschiedenen Pfaden erreicht werden können. Die Kosten, Risiken, Vorteile und nötigen Politik­instrumente müssen dabei klar auf dem Tisch liegen. Wir erkunden diese Pfade auf Basis der wissenschaftlichen Literatur und in intensiven, kritischen Diskussionen. Die Politik dagegen muss Mehrheiten zustande bringen, um einen dieser Pfade zu beschreiten und beraten, was passiert, wenn sich herausstellen sollte, dass er doch nicht gangbar ist. In diesem Prozess muss stets klar sein, dass die Aufgabe des Kartographen eine andere ist als die des Navigators: Der eine berät, der andere macht Politik.

Der Bericht Ihrer Kollegen aus Arbeitsgruppe I hat vor einigen Wochen bestätigt, dass CO2 die Hauptursache des Klimawandels ist. Trotzdem steigt der Ausstoß stärker denn je. Kann der Trend umgekehrt werden?

Wir befinden uns in der größten Kohlerenaissance seit Beginn der Industrialisierung. Wenn man die globalen Emissionen betrachtet, könnte man denken, dass es weder die Finanzkrise noch eine Klimapolitik gegeben hat. Die Emissionen steigen, steigen und steigen. Ob dieser Trend umgekehrt werden kann? Ja, technisch geht das und es geht auch zu angemessenen Kosten. Doch die politischen Herausforderungen sind gewaltig: Die wichtigsten Emittenten müssten kooperieren und eine Vereinbarung treffen, es müsste sich so etwas herausbilden wie eine CO2-Steuer oder ein funktionierender Emissionshandel.

In der EU sind die Preise für CO2-Zertifikate zuletzt allerdings gefallen - es wurde günstiger, die Luft zu verschmutzen. Was ist schief gelaufen?

Zum einen liegt es an der Konjunkturkrise. Die Nachfrage nach Emissionsrechten ist gesunken und mit ihr der Preis der Zertifikate. Zum anderen sind jede Menge "Clean Development-Zertifikate" aus dem Ausland zugeflossen, die Staaten auf ihre Reduktionsziele anrechnen dürfen, wenn sie in Entwicklungsländern emissionsmindernde Maßnahmen umsetzen. Zum dritten wurde der Emissionspreis auch durch die verstärkte Förderung der Erneuerbaren gesenkt. Emissionsarme Energie ist günstiger geworden.

Ist der Emissionshandel gescheitert?

Die Obergrenze für die Emissionen wurde eingehalten, dem Klima ist sozusagen nicht mehr geschadet worden als geplant. In diesem Sinne ist der europä­ische Emissionshandel durchaus erfolgreich. Mit Blick auf den Preisverfall gibt es aus meiner Sicht viele Fehlinterpretationen. Stellen sie sich vor, wir würden eine Emissionsobergrenze festlegen und morgen früh wachen wir auf und haben über Nacht lauter emissionsfreie Technologien zur Verfügung. Der Emissionspreis würde dann auf null absinken - aber wäre der Handel damit gescheitert? Vielmehr wäre das Konzept doch aufgegangen: Es hätten sich so viele Innovationen durchgesetzt, dass wir nicht mehr darauf angewiesen sind, CO2 in der Atmosphäre abzulagern. Ein niedriger Emissionspreis deutet also nicht automatisch auf ein Versagen des Emissionshandels hin. Trotzdem funktioniert der Emissionshandel in der EU natürlich nicht perfekt.

Was muss sich ändern?

Wir brauchen nach 2020, wenn die derzeitige Phase des EU-Emissionshandels ausläuft, eine schärfere Emissionsobergrenze. So wären weniger Zertifikate auf dem Markt, der Preis würde steigen und mit ihm der Anreiz, in emissionsarme Technologien zu investieren. Außerdem sollte eine staatlich garantierte Preisuntergrenze für die Zertifikate festgelegt werden, die Investoren Planungssicherheit gibt. Wer zum Beispiel in ein effizientes Kohlekraftwerk oder in Erneuerbare Energien investiert, hat die Sicherheit, dass bei Konjunktureinbrüchen der Preis nicht unter eine Grenze fällt, zu deren Einhaltung sich die Politik durch den Aufkauf von Zertifikaten verpflichtet. So entsteht Planungssicherheit, die vor allem für langfristige Investitionen wichtig ist. Dass die Zertifikate in Zukunft nicht mehr verschenkt, sondern versteigert werden, ist ein großer Fortschritt. Mittelfristig sollten wir allerdings sicherstellen, dass alle Sektoren in den Emissionshandel integriert werden. Das ermöglicht, dass Investoren nach den kostengünstigsten Vermeidungsoptionen suchen.

Manche Forscher wollen Emissionen nicht nur reduzieren, sondern sie aus der Luft holen. Wie stehen Sie zu den Maßnahmen des sogenannten Geoengineering?

Das hängt ganz davon ab, von welcher Form des Geoengineering wir sprechen. Das eine ist das Entziehen von CO2 aus der Atmosphäre, man spricht von Carbon Dioxid Removal Technologies. Sie reichen von CO2-Einlagerungen im Boden über großskalige Aufforstung bis hin zur Methanisierung, die CO2 in Methan umwandelt, das etwa im Transportsektor genutzt werden könnte. Je länger wir zögern bei der Emissionsreduktion, desto wichtiger könnten diese Technologien werden, auch wenn unklar ist, ob sie technisch oder politisch wirklich verfügbar sein werden. Eine ganz andere Geschichte ist das sogenannte Solar Radiation Management. Es soll nicht Emissionen aus der Atmosphäre ziehen, sondern die Strahlungsbilanz der Erde steuern, indem man etwa Aerosole in die Atmosphäre injiziert, die Sonnenstrahlen reflektieren und die Erde so kühlen. Aus meiner Sicht ist das hochproblematisch: Wer legt fest, wie hoch die globale Mitteltemperatur sein soll? Die Großmächte? Oder der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen? Ihre Veränderung hätte gravierende Auswirkungen, etwa auf die regionalen Niederschlagsmuster. Es ist eine kühne Annahme, zu glauben, dass Solar Radiation Management den Klimawandel begrenzen kann. Zudem kann Problemen wie der CO2-bedingten Versauerung der Ozeane nur begegnet werden, indem man Emissionen abbaut.

Aber die Staaten sperren sich gegen Wandel.

Weil er schwer umzusetzen ist. Nehmen wir ein Land wie Kanada. Vor 20 Jahren hat es für Klimaschutz plädiert. Dann stieg der Ölpreis und vor Alberta wurden plötzlich wertvolle Ölsande abgebaut. Nehmen wir Nigeria. Durch eine konsequente Klimapolitik würde der Ölpreis langsamer steigen - das ist gut für die OECD-Staaten, aber schlecht für Nigerias Exporterlöse. Klimaschutz provoziert auch Veränderungen, die für einige Teilnehmer von Nachteil sein können. Noch dazu besteht die Welt der Regierungen nicht allein aus Klimaschutz. Die Finanzierungskrise ist derzeit ihr Hauptaugenmerk. Das ist auch der Grund, warum im Augenblick so wenig im Klimaschutz zu machen ist.

Was kann der Bericht Ihrer Arbeitsgruppe bewirken?

Das ist die große Frage. Im April werden wir ihn allen Regierungen der Welt vorlegen, um gemeinsam mit ihnen Wort für Wort die sogenannte Zusammenfassung für Entscheidungsträger abzustimmen. Die Wissenschaft hat dabei immer das letzte Wort, aber es wird ein schwieriger Prozess. Ich glaube, der Bericht kann nur Wirkung entfalten, wenn es uns gelingt, das Thema Klima stärker mit wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen zu verzahnen. Da sind auch die Vereinten Nationen gefordert. Ich glaube, UN-Generalsekretär Ban Ki Moon sieht die Herausforderungen und wird neue Wege beschreiten.

Und sollte trotz allem nichts passieren?

Die Folgen wären wohl gravierend. Das Amazonasgebiet könnte von einer CO2-Senke zu einer CO2-Quelle werden, die Monsundyamik aus dem Gleichgewicht geraten, und über die Versauerung der Ozeane haben wir ja bereits gesprochen. Wenn wir beim Zwei-Grad-Ziel nicht vorwärts kommen, kostet das Zögern der Regierungen bares Geld: Warten wir bis 2020, verschlingen die Kosten, um es doch noch zu erreichen, ein bis zwei Prozent des Bruttosozialprodukts. Zaudern wir bis 2030, steigen diese Zahlen auf vier bis fünf Prozent. Wir bewegen uns dann in der Größenordnung der heutigen Finanzkrisen.


Ottmar Edenhofer ist stellvertretender Direktor und Chefökonom des PotsdamInstituts für Klimafolgenforschung sowie Professor für die "Ökonomie des Klimawandels" an der Technischen Univer­sität Berlin. Er leitet zudem das Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change. Seit 2008 sitzt er der Arbeitsgruppe III des Weltklimarats IPCC vor, die sich mit der Verminderung des Klimawandels befasst.



Wie funktioniert der Emissionshandel?

Emissionshandel ist ein Instrument der Klimapolitik, das den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase wie CO2 reduzieren soll. Der Gesetzgeber - eine Staatengemeinschaft wie die Europäische Union oder ein einzelner Staat - bestimmt, welche Unternehmen am Handel teilnehmen dürfen. Außerdem legt er eine Emissionsobergrenze fest: Das sogenannte Cap bestimmt, wie viele Tonnen Treibhausgase in einem bestimmten Zeitraum ausgestoßen werden dürfen. In diesem Rahmen werden Emissionsrechte, sogenannte Zertifikate, an die teilnehmenden Unternehmen vergeben - kostenlos oder in Auktionen. Wer im Besitz eines solchen Zertifikats ist, hat das Recht, eine bestimmte Menge zu emittieren. Einmal pro Jahr wird Bilanz gezogen: Wer weniger emittiert hat, als festgelegt, kann überschüssige Zertifikate verkaufen; wer mehr ausgestoßen hat, muss zusätzliche Zertifikate kaufen. Die Emissionsrechte sind handelbar, stehen dabei aber in Konkurrenz zu umweltfreundlichen Technologien, die den Ausstoß senken oder vermeiden. Jedes Unternehmen hat die Wahl, ob es in innovative Technologien wie Windkraft investieren oder Zertifikate von anderen Handelsteilnehmern kaufen möchte. Dabei wird es sich in der Regel für die günstigsten Minderungsmaßnahmen entscheiden. Der Emissionshandel, so die Idee, liefert also einen Anreiz, in klimafreundliche Technologien zu investieren. Langfristig soll auf diese Weise der Ausstoß von Klimagasen eingestellt werden. In den vergangenen Jahren wurden verschiedene Emissionshandelssysteme etabliert, etwa in Japan und den USA. Das erste multinationale Handelssystem startete 2005 in der Europäischen Union. Inzwischen sind daran etwa 11.000 Anlagen aus Industrie und Energiewirtschaft sowie der innereuropäische Flugverkehr beteiligt.

RED / mit Material vom Umweltbundesamt


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Kohlerenaissance: Nie war der fossile Brennstoff weltweit gefragter als heute. Auch in Deutschland laufen die Kraftwerke auf Hochtouren. Etwa in Boxberg in der sächsischen Oberlausitz.

- Statt CO2-Zertifikaten: Der Emissionshandel soll klimafreundliche Technologien wie Windkraft fördern.

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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 4/2013, S. 18-21
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2014