Deutscher Naturschutzring (DNR)
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen
e.V.
EU-News | 27.07.2023
Glyphosat: Ein EU-Krimi in vielen Akten
PAN Europe hat am 17. Juli einen Leak des Kommissionsvorschlags zur Zulassung des umstrittenen Totalherbizids veröffentlicht. Offiziell will die Behörde ihn am 15. September vorlegen, pikanterweise noch vor Veröffentlichung entscheidender Hintergrunddokumente der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA.
"Die Europäische Kommission hat hinter verschlossenen Türen gehandelt und den Mitgliedstaaten bereits den Entwurf eines Berichts über die Erneuerung der Zulassung von Glyphosat vorgelegt", kritisierte PAN Europe. Trotz der von der EFSA aufgeworfenen Fragen zur Toxizität werde im September der Kommissionsvorschlag für die Wiederzulassung von Glyphosat erwartet. Dabei wolle die EFSA die Hintergrunddokumente, die zu ihren Schlussfolgerungen geführt haben, erst im Oktober veröffentlichen. PAN Europe vermutet dahinter eine bewusste Taktik der Generaldirektion Gesundheit (GD Sante) in der EU-Kommission, um "eine wissenschaftliche und öffentliche Überprüfung der Arbeit der EFSA zu vermeiden".
Von Protesten begleitet (EU-News 11.07.2023 [1]) hatte die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA am 6. Juli ihr lang erwartetes Gutachten zu Glyphosat vorgestellt, das trotz eingestandener Datenlücken positiv ausfiel. Die vollständige Risikobewertung [2] ist seit dem 26. Juli auf der EFSA-Webseite einsehbar.
In der Sitzung des Ständigen Ausschusses für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel (SCoPAFF) am 11. und 12. Juli hat die GD Sante den Mitgliedstaaten bereits den Entwurf ihres Erneuerungsberichts für Glyphosat vorgestellt. Demnach beabsichtigt die EU-Kommission, die Substanz ohne Einschränkungen bis 2038 erneut zuzulassen, ungeachtet der Tatsache, dass viele Bestimmungen des Gesetzes und der Rechtsprechung zum Gesundheits- und Umweltschutz nicht erfüllt seien, so PAN Europe. "Es ist einfach empörend zu sehen, wie die Kommission demokratische Regeln und Transparenz untergräbt, um einem so schädlichen Pestizid eine Lizenz zu erteilen", äußerte sich die Organisation.
Derweil scheint sich laut topagrar die Industrie schon für Klagen warmzulaufen, wenn Deutschland bei dem geplanten nationalen Glyphosatverbot ab 1. Januar 2024 bleibt, während es gleichzeitig eine EU-Zulassung um weitere 15 Jahre geben sollte. Der entsprechende Zeitplan ließe dies zu, denn der SCoPAFF tagt am 18. und 19. September und könnte eine Entscheidung fällen. Die EU-Agrarminister*innen müssten auf Grundlage dessen und des EU-Kommissionvorschlages über eine Zulassungsverlängerung für die nächsten 15 Jahre urteilen. Momentan ist Glyphosat noch bis zum 15. Dezember EU-weit zugelassen.
Anlässlich des Agrarrates (EU-News 26.07.2023 [3]) verwies Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir allerdings auf die von der EFSA in ihrer Risikobewertung eingeräumten Lücken, die unter anderem die Auswirkungen auf die Natur betreffen: "Das ist, wie wenn Sie ein Fahrzeug fahren und auf alles testen, außer auf die Bremse", so Özdemir.
Gegen den Einsatz des Wirkstoffes Glyphosat protestiert seit 2015
unter anderem das breite Bündnis "Stop Glyphosate Coalition", aus
aktuellen Gründen jetzt mit einer neuen Informationswebseite [4].
[jg]
Anfang Texteinschub
Chemikalienpolitik kurz & knapp
Schadstoffe in Kinderspielzeug:
Ein BUND-Rechtsgutachten [5] belegt Kontrollversagen bei der
Marktüberwachung im boomenden Online-Handel. So würden immer noch in
der EU verbotene Chemikalien in Kinderspielzeug gefunden. Die
bestehenden Gesetze seien nicht ausreichend auf die digitale Welt
ausgerichtet.
Quecksilber/Amalgam:
Die EU-Kommission hat am 14. Juli die überarbeitete EU-Quecksilber-
Verordnung [6] vorlegt. Darin wird unter anderem die Verwendung von
Zahn-Amalgam, für das derzeit in der EU jährlich 40 Tonnen Quecksilber
verbraucht werden, ab 1. Januar 2025 vollständig verboten. Die
Verordnung regelt auch ein Herstellungs- und Ausführungsverbot
bestimmter quecksilberhaltiger Lampen ab 2026 und 2028. Eine
öffentliche Konsultation [7] läuft bis 8. September.
EFSA-Strategie 2027:
Die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA hat ihre Strategie 2027 [8]
veröffentlicht, in der die veränderten Bedingungen durch Maßnahmen des
europäischen Green Deal eingeflossen sind. Motto: "Wissenschaft,
sichere Lebensmittel, Nachhaltigkeit."
Ende Texteinschub
PAN Europe: Leaked: EU Commission plans to swiftly reapprove
glyphosate to avoid scientific and public debate
https://www.pan-europe.info/press-releases/2023/07/leaked-eu-commission-plans-swiftly-reapprove-glyphosate-avoid-scientific-and
Topagrar: Deutsches Glyphosat-Verbot trotz EU-Zulassung? Bayer würde
klagen
https://www.topagrar.com/management-und-politik/news/heisse-phase-bei-glyphosat-zulassung-hersteller-bayer-bereit-zu-klagen-b-13432023.html
dpa-Europaticker: Streit um Wiederzulassung: Efsa veröffentlicht
Glyphosat-Studie
https://www.eu-info.de/dpa-europaticker/322206.html
Links:
[1] https://www.dnr.de/aktuelles-termine/aktuelles/trotz-hoher-risiken-efsa-gibt-gruenes-licht-fuer-glyphosate
[2] https://www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/pub/8164
[3] https://www.dnr.de/aktuelles-termine/aktuelles/agrarrat-uneins-ueber-pestizide-und-gentechnik
[4] https://stopglyphosate.eu/
[5] https://www.bund.net/service/presse/pressemitteilungen/detail/news/bund-rechtsgutachten-kinderspielzeug-voller-schadstoffe-weil-kontrollen-versagen/?tx_bundpoolnews_display%5Bfilter%5D%5Btopic%5D=6&cHash=708012911cd46eca6b697c575a4687ff
[6] https://germany.representation.ec.europa.eu/news/giftiges-quecksilber-eu-kommission-verbietet-verwendung-von-zahn-amalgam-ab-2025-2023-07-14_de
[7] https://ec.europa.eu/info/law/better-regulation/have-your-say/initiatives/12924-Quecksilber-Uberarbeitung-der-EU-Rechtsvorschriften_de
[8] https://www.efsa.europa.eu/en/corporate-pubs/efsa-strategy-2027-science-safe-food-sustainability
*
Quelle:
EU-News, 27.07.2023
Deutscher Naturschutzring
Dachverband der deutschen Natur-, Tier-
und Umweltschutzverbände e.V. (DNR) e.V.
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Tel.: 030/6781775-70, Fax: 030/6781775-80
E-Mail: info@dnr.de
Internet: www.dnr.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 28. Juli 2023
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