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GENTECHNIK/1098: EU - Unwissenschaftliche Deregulierung von Neuer Gentechnik gefährdet Bienen und Natur (GLOBAL 2000)


GLOBAL 2000 / Friends of the Earth Austria - Presseaussendung, 28.06.2023

Unwissenschaftliche Deregulierung von Neuer Gentechnik gefährdet Bienen und Natur

Umweltschutzorganisationen fordern bestehende EU-Gentechnikregeln auch für Neue Gentechnik zu erhalten


Brüssel, Wien, am 28. Juni 2023 - Der geleakte Gesetzesvorschlag der Europäischen Kommission zur Deregulierung von Neuer Gentechnik ignoriert potenzielle Gefahren für Bienen und Bestäuber sowie die Umwelt. Geht es nach der EU-Kommission, sollen künftig die allermeisten mit Neuer Gentechnik (NGT) veränderten Lebensmittel weder gekennzeichnet noch risikogeprüft werden. Neben den Risiken für Bienen und Bestäuber stehen ohne Kennzeichnung von Gentechnik in Lebensmitteln die Konsument:innen-Rechte auf Wahlfreiheit und Transparenz am Spiel, warnen [1] Umweltschützer:innen.

Kurz vor dem für 5. Juli angekündigten Gesetzesvorschlag für NGT, werfen die Europäische Bürgerinitiative "Bienen und Bauern retten", Greenpeace EU und BeeLife einen genauen Blick auf bisher zu wenig beachtete und kaum erforschte Risiken von Neue Gentechnik-Pflanzen für Bienen, Schmetterlinge und andere bestäubenden Insekten und fordern, dass die bestehenden EU-Gentechnikregeln auch weiterhin für Neue Gentechnik-Pflanzen anzuwenden sind.

Bienen und Bestäuber - der blinde Fleck der EU-Kommission

Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) hat in einem Bericht aus dem Jahr 2016 [2] gentechnisch veränderte Pflanzen als mögliche Ursache für den Rückgang von Bestäubern identifiziert und auf die Bedeutung einer "verbesserten Bewertung der von gentechnisch veränderte Organismen (GVO) ausgehenden Risiken für Bestäuber" hingewiesen. Der Europäische Rechnungshof kam in einem Bericht von 2020 [3] zu dem Schluss, dass die Initiativen der Kommission zum Schutz von Wildbestäubern gescheitert sind. Der Rechnungshof wies in seinem Bericht auf sechs "Ursachen für den Rückgang der Bestäuber" hin, die die Kommission in der "Bestäuberinitiative" [4] (2018) nicht berücksichtigt hat. Darunter sind auch GVO. Der IPBES hat empfohlen, die möglichen Ursachen für den Rückgang der Bienen und Bestäuber zu untersuchen und zu bewerten. Dennoch wurden GVO (weder alte noch neue) weder bei der Überarbeitung der EU-Bestäuberinitiative (2023) noch in anderen Legislativvorschlägen der Kommission (z. B. dem Gesetz zur Wiederherstellung der Natur) berücksichtigt oder erwähnt. Die Bestäuberinitiative erkennt als eine seiner Prioritäten lediglich die Notwendigkeit an, das Wissen über den Rückgang von Bestäubern und dessen Ursachen zu verbessern.

"Trotz dieser Warnungen verschließt die Europäische Kommission die Augen vor den potenziellen Risiken, die Gentechnik-Pflanzen für Bestäuber darstellen - unabhängig davon, welche Technologie zu ihrer Herstellung verwendet wird. Im Gegenteil: Wenn es um Neue Gentechnik geht, wird die Kommission offenbar eine Deregulierung vorschlagen, indem sie die Risikobewertung der meisten NGT-Pflanzen erheblich verwässert oder einfach streicht. Dadurch wird die biologische Vielfalt gefährdet", kritisieren Greenpeace EU, BeeLife und die Europäische Bürgerinitiative 'Bienen und Bauern retten'.

Helmut Burtscher-Schaden, Sprecher der EBI "Bienen und Bauern retten" und GLOBAL 2000 Umweltchemiker, erläutert die Wichtigkeit von wissenschaftlichen Risikoprüfungen am Beispiel der Pestizidwirkstoffe der Neonicotonoide: "Vor dreißig Jahren wurde eine neue Technologie auf den Markt gebracht, die versprach, sicher und sogar schützend für Bienen zu sein: die Beizung von Pflanzensamen mit systemischen Insektiziden, den Neonicotinoiden. Letztendlich wurde diese Technologie zu einem der Hauptgründe für den weltweiten Rückgang der Bestäuber und die Verwendung von Neonicotinoiden EU-weit verboten. Als diese neue Technologie eingeführt wurde, war die wissenschaftliche Erforschung der Auswirkungen von Neonics auf die komplexe Beziehung zwischen Bestäubern und Pflanzen noch begrenzt. Das Gleiche gilt nun für GVO, wie der Weltbiodiversitätsrat gewarnt und auf die Bedeutung einer "Bewertung der von GVO ausgehenden Risiken für Bestäuber" hingewiesen hat. Wenn die Kommission trotz dieser Warnungen die Risikobewertung für neue GVO abschafft oder verwässert, handelt sie gegen das Vorsorgeprinzip und nimmt unverantwortliche ökologische Risiken in Kauf."

Noa Simon, wissenschaftliche Leiterin von BeeLife, sagt: "Das Vorgehen der EU-Kommission ist zutiefst inkohärent, indem sie offenbar plant, Neue Gentechnik-Saatgut und -Pflanzen von den gesetzlich festgelegten Schutzmaßnahmen auszunehmen. Gentechnisch verändertes Material aus alten GVO verunreinigt Gebiete, die weit von den Anbauflächen entfernt sind, und Bestäuber tragen sogar zu dieser Verbreitung bei. Die spärlichen vorhandenen Daten zeigen, dass alte GVO unerwartete Umweltgefahren bergen. Angesichts des desolaten Zustands der Bestäuber und der biologischen Vielfalt in Europa wäre es leichtsinnig, neue GVO auf dem Markt zuzulassen, ohne etwas über ihre Auswirkungen zu wissen." Ein neuer Bericht von BeeLife, der im Herbst 2023 veröffentlicht wird, wird weitere Informationen über mögliche Risiken für Bestäuber durch Gentechnik-Pflanzen enthalten.

Eva Corral, Gentechnik-Campaignerin von Greenpeace EU, betont abschließend: "Wir müssen das Kind beim Namen nennen, und GVOs unter einem anderen Namen sind immer noch GVOs. Die Menschen haben ein Recht darauf zu wissen, ob das, was sie kaufen oder essen, GVO enthält. Es dürfen keine GVO auf unseren Tellern oder Feldern landen, ohne dass eine umfassende Risikobewertung und Überwachung erfolgt. Die EU-Kommission will die neuen Spielzeuge der Biotech-Industrie von den wesentlichen Sicherheitsvorkehrungen ausnehmen und verschließt dabei völlig die Augen vor möglichen Risiken." Risikobewertung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung sind wesentliche Schutzmaßnahmen für Gentechnik in der Landwirtschaft. Diese Grundprinzipien sollen, wie dies auch der Europäische Gerichtshof [5] erklärt hat, auch weiterhin für alle Gentechnik-Pflanzen zur Anwendung kommen.

Hier können Sie die Aufnahme des Pressegesprächs runterladen.
https://drive.google.com/drive/folders/1xpm61q1HtHIznML3WZTQMHJZsa_25qGW?usp=sharing

Links:
[1] https://www.global2000.at/presse/leak-eu-gesetzesvorschlag-aus-fuer-neue-gentechnik-kennzeichnung-bei-lebensmitteeuropas
[2] https://www.ipbes.net/assessment-reports/pollinators
[3] https://www.eca.europa.eu/Lists/ECADocuments/SR20_15/SR_Pollinators_EN.pdf
[4] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52023DC0035
[5] https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2018-07/cp180111en.pdf

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Quelle:
Presseaussendung, 28.06.2023
Umweltschutzorganisation GLOBAL 2000
Neustiftgasse 36, A-70 Wien
Tel: +43/1/812 57 30, Fax: +43/1/812 57 28
E-Mail: office@global2000.at
Internet: www.global2000.at

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 30. Juni 2023

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