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GEFAHR/048: Seuchenrisiko aus der Biogasanlage? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 1036, vom 03. Juni 2014, 33. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

"Chronischer Botulismus" oder "Faktorenkrankheit"



Das vergorene Flüssigsubstrat aus Biogasanlagen könnte sich nicht nur als Problem für den Nitratgehalt im Grundwasser (s. RUNDBR. 1024/4; 990/4, 973/2-4, 964/1-4, 963/1-3, 948/3-4) erweisen. Möglicherweise besteht auch ein hygienisches Risiko. Denn seit Jahren grassiert der Verdacht, dass die sogenannte "Faktorenkrankheit" bei Rindern auf die Ausbringung von Gülle sowie von Gärresten aus Biogasanlagen zurückzuführen sein könnte. Das Krankheitsbild, bei dem die Rinder qualvoll verenden, wird bei den Anhängern der Gülle/Gärsubstrat-Hypothese als "chronischer Botulismus" bezeichnet. Fachbehörden und Ministerien sprechen dagegen neutraler von einer "Faktorenkrankheit", da das Verenden der Tiere auf mehrere noch unbekannte Faktoren zurückzuführen sei. Inzwischen ist von bundesweit 1000 bis 2000 betroffenen Betrieben die Rede und auch Landwirte und selbst Tierärzte hätten sich am "chronischen Botulismus" infiziert. Die betroffenen Landwirte haben sich zu der »IG Botulismus« zusammengeschlossen. Die Interessengemeinschaft fordert, dass der "chronische Botulismus" als Tierseuche anerkannt werden muss. Neuen Auftrieb bekam die These vom "chronischen Botulismus" im Jahr 2013 durch die Ausstrahlung eines 45minütigen WDR-Films, der unter [1] (www.youtube.com/watch?v=c4uUx507ZZU) angeschaut werden kann.

Seuchenrisiko aus der Biogasanlage?

Verifizierte Belege, was die eigentlichen Ursachen der "Faktorenkrankheit" sind, liegen immer noch nicht vor. Nach einem Aufsatz in Jagdzeitschrift WILD & HUND hat die Angst vor dem "chronischen Botulismus" auch die Jägerschaft erfasst. Denn nicht nur Rinder, sondern ebenso Wildtiere könnten sich auf Flächen, auf denen Gülle und Gärsubstrate aufgebracht werden, infizieren. Bereits im Sept. 2011 hat die Jägerschaft des Kreises Rotenburg/Wümme eine Zusammenstellung der damals vorliegenden Vermutungen über das Infektionsgeschehen unter [2] (www.ljn.de/jaegerschaften/jsrotenburg/ueber_uns/aktuelles/news_artikel/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=14655&tx_ttnews%5BbackPid%5D=4370&cHash=09d73af24d) veröffentlicht. U.a. steht dort zu lesen, dass sich Wissenschaftler um die Professoren Dr. Böhnel (Uni Göttingen), Dr. Dressler (Medizinische Hochschule Hannover) und Dr. Krüger (Uni Leipzig) mit einer »Göttinger Erklärung« zu Wort gemeldet hätten. In der "Göttinger Erklärung" wurde die Vermutung geäußert, dass das Bakterium Clostridium botulinum den Magen-Darm-Trakt der Tiere besiedeln würde. Das von diesem Bakterium ausgeschiedene Gift würde zum langsamen Verenden der Tiere führen. Maßgeblich verantwortlich für die Verbreitung des Bakteriums in den Rinderbeständen seien nicht nur Gülle, sondern auch die Gärsubstrate aus den mittlerweile über 7500 Biogasanlagen in Deutschland.

Das Temperaturniveau und die anaeroben Bedingungen in den Biogasanlagen würden die ubiquitär vorhandenen Chlostridium-Sporen "scharf" machen. Aufgrund einer unzureichenden Hygienisierung der Gärsubstrate würden dann die sich massenhaft vermehrten Chlostridien auf Weiden und Grünland ausgebracht. Infizierte Energiepflanzen und Gülle kämen wiederum in die Biogasanlagen - so dass sich inzwischen ein Kreislauf Biogasanlage Acker/Weide/Grünland Biogasanlage etabliert habe. Zu den Bedingungen in einer Biogasanlage schreibt die Jägerschaft, dass bei den Biogasanlagen, in die infektiöses Material der Kategorie 3 eingebracht wird, eine Hygienisierung des Materials für 60 Minuten bei einer Mindesttemperatur von 70° C vorgeschrieben sei, "da von diesen Anlagen nach Auffassung des Niedersächsischen Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) ansonsten ein erhebliches seuchenhygienisches Risiko" ausgehen würde. Von den etwa 200 Mio. Tonnen Gülle und Festmist aus der Tierhaltung, die jährlich in Deutschland anfallen, würden derzeit (2011) etwa 15 bis 20 Prozent in Biogasanlagen vergoren. Selbst eine Hygienisierung bei 70 Grad könne Chlostridien nicht vollständig inaktivieren. Denn das Cl. botulinum bilde hitzebeständige Sporen aus, "die erst bei Temperaturen über 100° C sicher abgetötet würden".

"Chronischer Botulismus" aus Biogasanlagen?
Wird man Ende diesen Jahres mehr wissen?

Die Jägerschaft schieb in ihrer damaligen Zusammenstellung weiter, dass zur Aufklärung der Ursachen des vermeintlichen "chronischen Botulismus" an der Uni Göttingen eine Studie mit dem Titel »Abundanz und Vielfalt von Clostridien in landwirtschaftlichen Biogasanlagen unter besonderer Berücksichtigung von Cl. botulinum« mit einer Laufzeit von 2011-2014 laufe.

Biogasanlagen als Hygienerisiko?

Die in den Jahren 2010 und 2011 geäußerten Verdachtsmomente hat jetzt DIE WELT vom 11.05.14 unter der Überschrift "Gefährliche Gülle" wieder aufgegriffen. Dass das Thema weiterhin virulent sei, liege u.a. daran, dass die Gegner von Großstallanlagen ("Massentierhaltungen") und Biogasanlagen die These vom "chronischen Botulismus" aufgegriffen hätten. Auch die Umweltorganisation Greenpeace würde von einer "Zeitbombe" sprechen. Und "besorgte Tierärzte und Wissenschaftler" würden "die Aufklärung von Sicherheitslücken" fordern. DIE WELT schreibt ferner, dass die Agrarwirtschaft die Befürchtungen "durchaus ernst" nehmen würde und nun "gehandelt" hätte:
"Unter dem eher harmlos klingenden Titel "Gärreste im Ackerbau effizient nutzen" hat die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) eine neue Informationsschrift herausgegeben. Sie richtet sich an landwirtschaftliche Betriebe mit einer Biogasanlage und trägt alles bislang bekannte Wissen darüber zusammen, wie die Anwendung von Gärresten im Ackerbau sicherer gelingen kann. Wissenschaftler und Experten der DLG mahnen darin zu mehr Sorgfalt bei den für die Sterilisierung des Gärguts nötigen Prozessen an." Die Broschüre kann unter [3] (http://www.zds-bonn.de/aktuelles/dlg-merkblatt-gaerreste-im-ackerbau-effizient-nutz.html) heruntergeladen werden.

In der Informationsschrift würden die Autoren eingestehen, dass selbst bei sorgfältiger Sterilisierung "ein Restrisiko" bestehen bleibe:
"Es kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass bei stark kontaminierten Einsatzstoffen wie Ausscheidungen erkrankter Tiere zwar eine deutliche Reduktion, nicht aber eine vollständige Elimination der Krankheitserreger erreicht wird",
wird aus der Aufklärungsbroschüre zitiert. In dem Aufsatz der WELT wird auch ein weiterer Weg beschrieben, wie Chlostridien in die Biogasanlagen gelangen könnten: Bei der Mahd von Energiepflanzen (Mais, Grünschnitt) passiere "es aufgrund der Schnelligkeit der Maschinen jedoch immer wieder, dass versehentlich Jungwild mitgehäckselt" werde. Bei den Milieubedingungen in den Biogasanlagen würden sich "die Verwesungsbakterien der versehentlich eingetragenen Tierkadaver" und ebenso die Krankheitskeime aus der Gülle bestens vermehren. DIE WELT schreibt weiter, dass die bislang nicht verifizierten Verdachtsmomente immerhin dazu geführt hätten, dass man beim Betrieb von Biogasanlagen mehr Sorgfalt walten lasse. Dazu habe beigetragen, dass das Umweltbundesamt Ende 2013 festgestellt habe, dass Rückstände von Antibiotika aus der Tierhaltung sowie antibiotikaresistente ESBL- und MRSA-Bakterien in Gülle und Gärprodukten nachweisbar wären.

"Es sei deshalb zu verhindern, dass Gärreste insbesondere durch die Zugabe von Küchen- und Kantinenabfällen, Inhalte von Fettabscheidern, Rückständen aus der Lebensmittel- und Futtermittelproduktion sowie aus technischen Prozessen Gefahren für Umwelt und Gesundheit nach sich ziehen. 'Dazu gehören Einträge von Schwermetallen und Spurenstoffen, mikrobiologische Einträge und pathogene Keime. Eine vollständige Hygienisierung und rechtliche Vorgaben sind daher einzuhalten'",
wird in der WELT aus der UBA-Verlautbarung zitiert. [Wasserwerker standen den Gärsubstraten aus Biogasanlagen schon immer skeptisch gegenüber. Wegen der fragwürdigen Hygienisierung der Gärsubstrate sollten diese in den Wasserschutzgebieten - und am besten auch in den darüber hinausgehenden Einzugsgebieten der Wasserwerksbrunnen - keinesfalls ausgebracht werden; Anm. BBU; siehe auch den Veranstaltungstipp zur EEG-"Reform" auf Seite 4.][4]

[1] www.youtube.com/watch?v=c4uUx507ZZU

[2] www.ljn.de/jaegerschaften/jsrotenburg/ueber_uns/aktuelles/news_artikel/?tx_ttnews%5Btt_news%5D=14655&tx_ttnews%5BbackPid%5D=4370&cHash=09d73af24d

[3] http://www.zds-bonn.de/aktuelles/dlg-merkblatt-gaerreste-im-ackerbau-effizient-nutz.html


[4] Anmerkung der Red. Schattenblick:
s. www.schattenblick.de → Infopool → Umwelt → Veranstaltungen
TAGUNG/1646: Rheinische Naturschutztage - Königswinter bei Bonn, 01.-03.08. (BBU WASSER-RUNDBRIEF)
www.schattenblick.de/infopool/umwelt/veranst/uvet1646.html

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1036
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU),
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juli 2014