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GENTECHNIK/716: Druck und Gegendruck - Reaktionen auf den Gentech-Widerstand (KRITISCHE Ökologie)


KRITISCHE Ökologie - Zeitschrift für Umwelt und Entwicklung
Nr. 73 Ausgabe 24 [2] - Winter 2009/10
Der Kommentar

Druck und Gegendruck - Reaktionen auf den Gentech-Widerstand durch Staatlichkeit und Wirtschaft

Kommentar von Christian Pesek Pratz [1]


Durch den massiven Widerstand großer Teile der Bevölkerung gegen die Agro-Gentechnik konnte der Versuch ihrer Einführung in den 90-ern auf Jahre verzögert werden. Da durch die Konzerne bereits viel Geld in dieses Geschäftsfeld geflossen ist, wäre eine weitere langjährige Verzögerung mehr als ein bloßes Ärgernis. Ein subjektiver Streifzug durch die Geschichte des Widerstandes gegen Gentechnik und darauf folgender Repressionen.


Legalisierung der Gentechnik und erster Widerstand

Steine des Anstoßes waren die ersten "Freisetzungen"[2] gentechnisch veränderter (gv) Pflanzen in der Geschichte der BRD. Nachdem die damals noch vorgesehenen öffentlichen Anhörungen bei den gv-Zuckerrübenversuchen der Saatzuchtfirma KWS [3] in Südniedersachsen und Franken wegen des starken Widerspruchs gegen die "Freisetzungen" mehrere Tage andauerten, wurde diese Möglichkeit einer Bürgerbeteiligung in der nächsten Gesetzesänderung sogleich abgeschafft. Diese und die folgenden "Freisetzungen" von gv-Pflanzen waren Anlass für eine Vielzahl von teils mehrere Anbauperioden aufeinander folgende Besetzungen der Versuchsflächen. Erste Befreiungen der Felder von ihrer transgenen Saat folgten. Als dann Ende der 90er die Empörung über den Versuch einer rücksichtslosen Überschwemmung des europäischen Futtermittelmarktes mit gentechnisch veränderter Soja hoch schlug, sahen sich die führenden Gentech-Konzerne genötigt, ihre Vorgehensweise gemeinsam zu überdenken. Mit Hilfe von Burson-Marsteller, "der globalen Agentur für strategische Kommunikationsberatung und Krisenkommunikation" (Selbstdarstellung) kamen diese 1997 überein, die öffentliche Wahrnehmung von den Gefahren der Technik abzulenken und stattdessen deren erdachte segensreiche Möglichkeiten zu preisen. Zudem sollten fortan gezielt scheinbar unabhängige Wissenschaftler und Institutionen für die Gentechnik agitieren, damit die Konzerne selbst nicht weiter um die mangelnde Akzeptanz werben müssten.

Bevor diese Bemühungen sich jedoch voll entfalten konnten und erste Früchte trugen, trat ab 1999 ein teilweises Moratorium [4] in Kraft, welches sich jedoch nur auf Neuzulassungen von gentechnisch veränderten Pflanzen für Futter- und Lebensmittel sowie für den kommerziellen Anbau bezog. Die gv-Freisetzungsversuche fanden weiterhin statt und nahmen in ihrer Anzahl sogar bis zu einer Spitze von 506 gemeldeten Standorten im Jahr 2001 zu. Damit einher ging ein zaghafter Anstieg von Feldbefreiungen (19 Zerstörungen von gv-Versuchsfeldern im Jahr 2000), was jedoch zu Anfang des neuen Jahrtausends wieder einzuschlafen schien.

Eine der Folgen dieser Versuche sind die andauernden Nachkontrollen bei Feldern, auf denen ein Anbau von transgenem Raps stattfand. Seit nun mehr als zehn Jahren keimen dort stetig neue gv-Pflanzen. Die Antwort der Industrie auf diese vorhersehbaren Zeugnisse der Unkontrollierbarkeit von gv-Pflanzen ist die immer wiederkehrende Forderung nach Schwellenwerten und damit dem Recht auf gentechnische Verunreinigungen. Dies würde dem von der Industrie gewünschten Effekt einer Gewöhnung der Bevölkerung an Gentechnik in mehrfacher Weise entgegen kommen: Zum einen würde eine gv-Verunreinigung unterhalb der magischen Grenze nicht zu einer auch wirtschaftlich unangenehmen Skandalisierung führen. Außerdem erhoffen sich die Anhänger der größtmöglichen Gewinnmaximierung über diese Duldung von Gentechnik in, festgeschriebenen und bei Bedarf veränderbaren Grenzen die mittelfristige Aufgabe der ablehnenden Haltung von Verbrauchern und Landwirten durch eben diese schleichende faktische Einführung.


Gegen den Willen der Bevölkerung

Der anhaltenden Ablehnung zum Trotz wurde Ende April 2004 das erste gentechnisch veränderte Pflanzenkonstrukt für den kommerziellen Anbau zugelassen. Diese politische Ignoranz nahmen ImkerInnen und LandwirtInnen zum Anlass, um 2005 im deutschsprachigen Raum erstmals mit vorheriger öffentlicher Ankündigung auf Felder mit gentechnisch veränderten Pflanzen zu gehen und diese gewaltfrei unschädlich zu machen - die Initiative "Gendreck weg" war gegründet. Im ersten Jahr der öffentlichen Feldbefreiungen war es durch die massive Polizeipräsenz nur zwei Menschen möglich, auf ein MON81O-Feld zu gelangen, um dort zu "arbeiten". Da dies von den Polizisten unbemerkt geschah, kam es nicht zu Verhaftungen.

Im Jahr 2006 gewann der Widerstand an Fahrt: neben einigen nächtlichen Feldbefreiungen wurde wieder eine öffentliche Feldbefreiung von "Gendreck weg" auf kommerziell angebauten MON810 Feldern organisiert. Unterstützt von den Klängen der Musik-Aktionsgruppe "Lebenslaute" konnten zwei Dutzend Personen ihre Ankündigungen in die Tat umsetzen und wurden deswegen von Polizisten festgenommen. Ähnlich erging es AktivistInnen in Oberboihingen, die ein Mais-"Versuchsfeld" der Firma Pioneer besuchten und bei dem gv-Gerstefeld der Universität Gießen. Wobei die Gießener FeldbefreierInnen "vorsorglich" gleich mehrere Tage inhaftiert wurden.

Die Versuchsbetreiber brachten anfänglich abenteuerliche Schadenszahlen ins Spiel: für 2 m² zerstörte Gengerste sollte ein Schaden von 500.000 EUR entstanden sein. Pioneer gab sogar zehn Millionen Euro Schaden wegen entgangener Markteinführung an.

Im Prozess zur Oberboihinger Feldbefreiung forderte die Staatsanwaltschaft im Januar 2007 ursprünglich noch 150 Tagessätze und ging von einem Mindestschaden von über 30.000 EUR aus. Mit der Hilfe zahlreicher UnterstützerInnen konnte ein entschlossener Prozess geführt werden, in dem auch nachgewiesen wurde, dass die von der Staatsanwaltschaft und den universitären Versuchsbetreibern veranschlagte Schadenshöhe völlig überzogen war. Gegen das Urteil von 30 Tagessätzen wurde von allen Parteien Berufung beantragt. Nachdem das Oberboihinger Feld Wochen später von AktivistInnen besetzt wurde, sah sich die Leitung der Universität Nürtingen durch das anwachsende Interesse der Bevölkerung genötigt die Versuche für die nächsten 5 Jahre abzusagen.

Dies war nur eine der zahlreichen erfolgreichen Aktionen des Widerstandsfrühlings 2008. Auch das Gießener gv-Gerstefeld sowie das MON81O-Feld in Groß Gerau wurde nach einer Besetzung abgesagt. Da örtliche Initiativen die anderen beiden "Versuche" in Niedermöllrich und Rauischholdshausen im vor hinein mit stetigem Druck verhindert hatten, war Hessen damit im Jahr 2008 gentechnikfrei. Im Fall der Besetzung des Northeimer "Versuchsfeldes" wusste sich der Gentechnkpionier KWS Saat AG angesichts des täglich steigenden Medienechos nicht anders zu helfen als unter der Inanspruchnahme mehrerer Hundert MitarbeiterInnen und PolizistInnen, mit einer Aussaat der gv-Rüben Fakten zu schaffen. Eine Überforderung anderer Art zeigte sich bei den PolizistInnen durch die brutale Räumung des kurz zuvor besetzten Feldes bei Bütow wo der Chemiekonzern BASF großflächig gv-Kartoffeln vermehren lässt. Mittels Gewalt unterschlugen sie die Pressefreiheit, verhinderten die Wahrnehmung anwaltlicher Rechte und gefährdeten die AktivistInnen auf fahrlässige Weise.

Die Kitzinger Bevölkerung nahm die wie auch in den Vorjahren durch "Gendreck weg" offen angekündigte Feldbefreiung 2008 bei Würzburg dankbar auf. Offenbar angeregt durch diese wurde sich der durch öffentlichen Druck bereits von angekündigten 112 Hektar auf tatsächlich 12 Hektar geschrumpften fränkischen Genmaisfläche in nächtlicher Arbeit angenommen. Neben vielen weiteren gv-Feldern konnte auch endlich der umstrittene gv-Weizen auf dem Gelände der Genbank Gatersleben unschädlich gemacht werden. Dass Polizei und Gerichte dem berechtigten Widerstand nicht unterstützend begegnen, darf nicht verwundern.

Wenn auch Vereinzelte Verständnis äußern, setzen diese nicht urplötzlich die Erfüllung Ihrer Pflicht aus. Selbst wenn dies bedeutet, die Interessen weniger internationaler Konzerne gegen die eigenen und der weiter Bevölkerungskreise durchzusetzen. Zu groß ist die Gefahr, dass sich der Erfolg selbst organisierten Widerstandes herum spricht und die Menschen zu eigenständigem Handeln motiviert. Bei den scheinbar Verständnis zeigenden RichterInnen scheint die Furcht vor einem möglicherweise die Karriere und gesellschaftliches Ansehen schädigenden couragiertem Urteilsspruch zu groß.


The Empire Strikes back

In den Prozessen zu den von "Gendreck weg" öffentlich geladenen Feldbefreiungen in Altreetz und Badingen, urteilten die RichterInnen die AktivistInnen fließbandmäßig ab. Das Vorhandensein eines "rechtfertigenden Notstandes" wurde mit der Begründung abgelehnt, dass eine tatsächliche Gefahr durch die Agrogentechnik wie auch die Wirksamkeit von Feldbefreiungen nachrangig, da es mildere Mittel gebe um dem Recht auf gentechnikfreie Landwirtschaft und Lebensmittel Geltung zu verschaffen. Diese Begründung blendet die zahlreichen Demonstrationen mit teilweise mehreren Tausend Menschen, die unzähligen Unterschriftenlisten, Informationsveranstaltungen und Streitgespräche völlig aus. Darüber hinaus dürfen nach diesem Verständnis politische Ausdrucksmittel einzig appellartigen Charakter annehmen.

In der Prozessserie in Kitzingen bei Würzburg lehnte der Richter bisher alle Beweisanträge zur Gentechnik mit zynischem Desinteresse als private Meinung ab, dabei wurde die Höhe des Urteils teilweise wegen Missachtung der richterlichen Autorität auf bis zu 70 Tagessätze erhöht.

Noch schärfer spitzte sich die Entwicklung im Gießener Feldbefreiungsprozess zu: Während im Vorfeld des Verfahrens die Staatsanwaltschaft bei zwei der vier FeldbefreierInnen nach Zahlung einer Geldstrafe das Verfahren einstellte, bekamen die übrigen zwei nach einem skandalösem Prozess jeweils die von der Staatsanwältin geforderten sechs Monate Haft auferlegt. Das fragwürdige Verhalten des Richters musste schließlich durch die Staatsanwältin gedeckt werden, die mit ihrer widersprüchlichen Berufung eine Revision verhinderte. So konnte nicht überprüft werden, ob der Richter durch sein Verbot die Gefahren der Gentechnik zu thematisieren und mit seinem Ausschluss der Öffentlichkeit wie auch eines der Angeklagten von der Verhandlung verfahrensrechtlich unzulässig handelte.

In der Berufung am Landgericht Gießen wurden wiederum nach einigen Verhandlungstagen mit einem Richter, der scheinbar in Erwägung zog, ob die Bedingungen eines rechtfertigenden Notstandes erfüllt seien, sämtliche Beweisanträge als unbedeutend zurückgewiesen. Der Widerstand gegen die Agrogentechnik sei wegen seiner Erfolglosigkeit unzulässig, da diese Technik sich bereits unwiderruflich überall ausbreite. "Der Geist ist aus der Flasche" so der Richter wörtlich.

Obwohl er betonte, der "Versuch" mit der gv-Gerste sei durch den Versuchsleiter schlampig organisiert worden, verurteilte er die Angeklagten zu sechs Monaten Haft bzw zu vier Monaten mit Bewährung zuzüglich 120 Arbeitsstunden.

Dass die zuverlässige staatliche Repression der Gentechnikindustrie trotz ihrer Forderung nach Sonderstaatsanwaltschaften für "Verbrechen im Gentechnikbereich" nicht ausreicht, zeigen die juristischen Nachspiele der Feldbesetzungen des Jahres 2009 und auch der Zivilprozess um die Gaterslebener Feldbefreiung von "Gendreck weg"-Aktivistinnen. Zunächst veranlassten die Industrievertreter eine rasche Räumung der Besetzungen mit hohem technischem Aufwand, um das erneute Anwachsen einer kritischen Öffentlichkeit zu verhindern.

Bei den BesetzerInnen des Gentechnikspaßpark Uplingen und des Agrobiotechnikum Groß Lüsewitz wurde mit gerichtlich erlassenen Einstweiligen Verfügungen nachgetreten. Durch diese werden den Aktiven unter Androhung eines Ordnungsgeldes verboten, die umkämpften Flächen zu betreten. Hier spielt mit Sicherheit die privatwirtschaftliche Motivation des bekannten Monsanto-Anwaltes eine Rolle, da dessen Honorar von den AktivistInnen bezahlt werden soll. Für diesen Ansatzpunkt spricht auch, dass einige AktivistInnen nicht mit diesen Forderungen bedacht wurden, da von diesen seiner Meinung nach kein Geld auszupressen ist. In dem Schadensersatzprozess um die Gaterslebener Feldbefreiung versucht ausgerechnet der ehemalige Wirtschaftsminister von Sachsen Anhalt als Anwalt der Gentechnik durch die Forderung von knapp 250.000 EUR Widerständige einzuschüchtern.

Diese Entwicklung überrascht nicht und bietet wiederum einige Ansatzpunkte für entschlossene Kritik. Und es zeigt, dass die Mittel der Gentechniklobby und der sie schützenden Staatlichkeit zwar mitunter zerstörerisch scharf, doch in ihrer Wahl äußerst beschränkt sind. So konnten die gv-Felder der Gentechzentren nur unter hohen Sicherheitsbedingungen durchgeführt werden, was die Ausbreitung der Gentechindustrie trotz ihrer schier unbegrenzten Geldmittel erheblich einschränkt. Da dies nicht in jedem Fall nützt, wie die Feldbefreiung in Groß Lüsewitz zeigt, werden weitere Freisetzungsstandorte aus der BRD verlagert.

Die ersten Haftgänge von Feldbefreiern werden von diesen wiederum genutzt um zu erinnern, dass die Gentechnik gegen den Willen von 80% der Bevölkerung durchgesetzt werden soll. Und dass Widerstand der an der Wurzel ansetzt, die Agrogentechnik wirksam verhindert.


[1] Christian Pesek Pratz ist Feldbefreier und studiert als Landwirt derzeit ökologische Agrarwissenschaften. Ende September saß er eine zweiwöchige Haftstrafe wegen Beteiligung an der durch "Gendreck weg" organisierten Feldbefreiung ab.

[2] Freisetzung laut EU-Richtlinie 2001/18/EG ist eine "absichtliche Freisetzung": "jede Art von absichtlichem Ausbringen eines GVO oder einer Kombination von GVO in die Umwelt, bei dem keine spezifischen Einschließungsmaßnahmen angewandt werden, um ihren Kontakt mit der Bevölkerung und der Umwelt zu begrenzen und ein hohes Sicherheitsniveau für die Bevölkerung und die Umwelt zu erreichen". Siehe auch von G. GOETTKE über S. SAMERSKI "GEN-Versuche. Die Freisetzung genetischer Begrifflichkeiten" in taz Nr. 6534 vom 28.8.2001: "Das autoritäre Auftreten der neuen Expertenelite und die Überschwemmung der Öffentlichkeit mit einem bedeutungsschwanger klingenden, unüberprüfbaren Wissenschaftsjargon führt wunschgemäß zur Übertölpelung."

[3] KWS: früher Kleinwanzlebener Saatzucht AG, heute KWS SAAT AG; deutscher Gentechnikpionier und mittlerweile der viertgrößte Saatzuchtkonzern der Welt

[4] Moratorium: 1999 verabredeten die Umweltminister, dass bis zum Inkrafttreten der neuen Freisetzungsrichtlinie (VO EG/18/2001) keine neuen gentechnisch veränderten Pflanzen mehr zugelassen würden. Jedoch bis zum Erlass der Verordnung zur Rückverfolgung und Kennzeichnung von GVOs (VO EG/1830/2003) und der Verordnung über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel (VO EG/1829/2003) weiter aufrecht erhalten. Mit Zulassung der Konstrukte BT-II als Lebens- und Futtermittel und MON81O für den Anbau wurde das Moratorium 2004 aufgehoben.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Abb. 1: Widerständige Vielfalt, Kitzingen 2008
Abb. 2: Beim Maistausch gekesselt
Abb. 3: Imker Michael Grolm auf dem Weg in den Knast


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Quelle:
Kritische Ökologie, Nr. 73 Ausgabe 24 [2] Winter 2009/10, s. 11-14
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Februar 2010