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GENTECHNIK/778: Droht in Bayern Gentechnik durch die Hintertüre? (BN)


Bund Naturschutz in Bayern e.V. - München, 18. Oktober 2010 / Kategorie: Gentechnologie

Droht in Bayern Gentechnik durch die Hintertüre?


Bund Naturschutz und Bayerische Ökolandbauverbände kritisieren die von der Bayerischen Staatsregierung geplante Aufweichung des Reinheitsgebotes im Saatgut.

Bayern hat bei der Agrarministerkonferenz letzte Woche in Lübeck von der Bundesregierung gefordert: "im Vorgriff auf eine rechtliche Regelung eine für Wirtschaft und Überwachung praktikable Anwendung der Nulltoleranz (von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in Futtermitteln und Saatgut) zu ermöglichen." Darüber hinaus soll die von der EU-Kommission angekündigte "technische Lösung der Nulltoleranz" sowohl für Futtermittel als auch für Saatgut Anwendung finden. Bayern hatte zudem gefordert, dass in der EU nicht zugelassene GVO in Lebens- und Futtermitteln sowie in Saatgut bis zu 0,1% zulässig sein sollten, wenn sie eine positive Sicherheitsbewertung und eine Zulassung eines verlässlichen Drittlandes (wie USA oder Kanada) durchlaufen haben.

Diese Vereinbarungen würden das Ende der Nulltoleranz bedeuten. "Im Klartext ist das eine Einladung an die Agrogentechnikkonzerne, ihrer Sorgfaltspflicht zur Reinhaltung des Saatgutes nicht mehr nachzukommen," so Hubert Weiger, BN Landesvorsitzender. "Wir werden auch keine Verschmutzungslizenz für Futtermittel akzeptieren. Wir sind enttäuscht von der Bayerischen Staatsregierung, und von Landwirtschaftsminister Brunner, denn die Reinhaltung des Saatgutes vor gentechnischer Verschmutzung ist eine der wichtigsten Grundlagen für ein dauerhaft gentechnikfreies Bayern. Die für Gentechnik zuständigen Minister handeln damit gegen die Bekenntnisse, sich für ein gentechnikanbaufreies Bayern einzusetzen," so Weiger. Als einziges Bundesland hatte NRW mit seinem grünen Agrar- und Umweltminister in der Agrarministerkonferenz ein Veto gegen die Aufhebung der Nulltoleranz eingelegt und dies protokollarisch festhalten lassen.

Neben der Reinhaltung des Saatguts ist der Ausschluss von Freisetzungsversuchen und kommerziellem Anbau von genmanipulierten Pflanzen Voraussetzung für ein gentechnikanbaufreies Bayern. "Während zur Wahrung der Gentechnikfreiheit in Bayern nur Lippenbekenntnisse und Papiere bestehen, werden bei Saatgut, Futtermitteln und Zulassungsverfahren für GVO konkrete Anträge eingebracht, die die Türen für eine schleichende GVO Kontaminierung weit öffnen", so Arthur Stein, Vorstand der Landesvereinigung Ökologischer Landbau, "Die Staatsminister Brunner und Söder haben sich im Sommer bei Besuch eines Ökobetriebes beide zu einem gentechnikfreien Bayern bekannt. Minister Söder muss jetzt endlich konkrete Vorschläge auf den Tisch legen, wie der Schutz für gentechnikfreie Regionen in Bayern künftig ausschauen könnte."

Das 10-Punkte Papier von Umweltminister Söder sei eine gute Willenserklärung, so die beiden Verbände, doch zur Umsetzung müsse einfach mehr geschehen. Vielfältiger Widerstand aus den gentechnikfreien Regionen Bayerns ist zu erwarten, falls nicht bald Nägel mit Köpfen gemacht würden.

Eine Großveranstaltung gegen Gentechnik, Massentierhaltung und die drohende weitere Industrialisierung der Landwirtschaft sei in Vorbereitung.


Eckpunkte zur Umsetzung des Koalitionsvertrags im Bereich Gentechnik

Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner hat am 15.9.2010 Eckpunkte zur Umsetzung des Koalitionsvertrags im Bereich Gentechnik vorgelegt. Sie schlägt dort vor, dass Bundesländer eigenständig Koexistenzabstände erlassen können, auf der Grundlage besonderer geografischer und klimatischer Gegebenheiten, regionaler Betriebsstrukturen oder Anbauverfahren.

Ministerin Aigner will auf Bundesebene eine 10-Meter-Abstandsregelung für die Genknolle Amflora, der derzeit einzigen in Deutschland zum kommerziellen Anbau zugelassenen Gentech-Pflanze, festlegen. "Aus meiner Sicht als ökologischer Kartoffelanbauer ist das ein Skandal und die Lizenz zur Verschmutzung," so der Ökolandwirt Arthur Stein und weiter: "keiner braucht sie, keiner will sie, außer die fünf Freunde, die sie in den Koalitionsvertrag diktiert haben, also weg damit!" Statt dessen sollte sich Deutschland den EU-Mitgliedstaaten Ungarn, Österreich, Luxemburg, Frankreich und Polen anschließen und ebenfalls vor dem EuGH gegen die Anbauzulassung klagen.


EU Kommissionsvorschlag für gentechnikfreie Regionen

Für den von EU Gesundheitskommissar Dalli im Juli 2010 vorgeschlagenen Weg zur nationalen Entscheidung über den GVO-Anbau gibt es offenbar vorläufig keine Mehrheiten auf EU Ebene.

"Der Vorschlag von Kommissar Dalli ist zu kurz gestrickt, denn er bietet den Mitgliedsstaaten keinerlei Rechtssicherheit", so Dr. Martha Mertens, BN Gentechnikexpertin."Zum einen dürften Mitgliedsstaaten ein Anbauverbot nicht mit gesundheitlichen oder ökologischen Risiken begründen, denn diese seien laut Kommissar Dalli ja bereits durch die Europäische Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA abschließend geklärt. Lediglich gesellschaftliche oder ethische Gründe seien zulässig. Dafür existieren aber in der EU keine einheitlichen und gerichtsfesten Definitionen. Laut Kommissar Dalli dürfte ein Anbauverbot auch nicht gegen die (EU)Verträge und gegen internationale Abkommen wie die WTO- oder GATT-Abkommen verstoßen. Damit hätten Unternehmen, die mit dem Argument, der gemeinsame Binnenmarkt werde behindert, gegen ein nationales Anbauverbot klagen, gute Chancen, beim EuGH zu obsiegen, zumal der EuGH eher als Verfechter des freien Warenverkehrs gilt. Der Kommissionsvorschlag wurde denn auch auf der Sitzung des Agrarministerrats im September von einer Reihe von Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, zurückgewiesen.

Wir fordern die Festlegung klar definierter soziökonomischer Kriterien: Dafür muss sich Umweltminister Söder einsetzen und konkrete Vorschläge entwickeln, die über den Bundesrat eingespeist werden. So könnte er sein Ziel, ein gentechnikfreies Bayern erreichen zu wollen, unter Beweis stellen. Wir verweisen auf das Papier der Umwelt- und Anbauverbände, in dem die zu berücksichtigenden sozioökonomischen Aspekte dargestellt werden: http://www.gentechnikfreie-regionen.de/fileadmin/content/studien/wirtschaftliche_Bedeutung/zulassung_sozio__konomie_gt_2009.pdf

Zentral dabei ist, dass die durch den GVO-Einsatz bei den Nicht-Anwendern entstehenden Kosten von den Verursachern getragen werden müssen.


Gentechnikfrei Füttern

Vermisst wird im 10 Punkte Papier von Minister Söder ein Bekenntnis zur gentechnikfreien Fütterung. "Dieses Thema wird immer brisanter," so Mertens, "denn neueste Studien belegten die gefährlichen Auswirkungen des bei gentechnisch verändertem Soja eingesetzten Herbizids Glyphosat. Das Mittel schädigt menschliche Zellen und führt möglicherweise zu Missbildungen bei Neugeborenen. Es gefährdet zudem das Bodenleben und Wasserlebewesen." In einer neuen wissenschaftlichen Studie sind die sich immer weiter verdichtenden Belege für toxische Effekte von Glyphosat-haltigen Herbiziden dargestellt. (http://www.gmwatch.eu/images/pdf/gmsoy_sust_respons_full_ger_v2.pdf).

Auch die negativen ökologischen und sozioökonomischen Wirkungen des RR-Sojaanbaus werden beleuchtet. Die Autoren der Studie kommen zum Schluss, dass der Anbau von RR-Soja weder nachhaltig noch verantwortungsbewusst ist.


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Hintergrund 1: Minister Söders 10 Punkte Programm vom 15.April 2010

 1. Kein kommerzieller Anbau wegen ungeklärter wirtschaftlicher Risiken und Umweltrisiken
 2. Sicherheitsforschung auf Labor- und Gewächshaus beschränken
 3. Anbauverbot MON 810 beibehalten
 4. Bayern will Abstände selbst festlegen
 5. Bayern will über Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen (GVP) selbst bestimmen
 6. EU-Zulassungsverfahren verbessern
 7. Nulltoleranz für Futter-, Lebensmittel und Saatgut beibehalten
 8. Entwicklung einer bayerischen Eiweiß-Strategie bei Futtermitteln
 9. Ziel ist ein gentechnikanbaufreies Bayern
10. Kein Saatgut mit gentechnischen Verunreinigungen aussäen



Hintergrund 2: zur Schwellenwertdiskussion

900 ha Maisflächen waren in Bayern im Mai umgebrochen worden, weil im Saatgut der Firma Pioneer gentechnisch veränderte Anteile einer nicht zum Anbau zugelassenen Linie, nämlich der Glyphosat-resistenten NK603 Maislinie, gefunden wurden. Die Firma Pioneer war bisher nicht bereit, für den Schaden gerade zu stehen, und hat den betroffenen Landwirten lediglich ein Darlehen gewährt, um für die Kosten des behördlich angeordneten Umbruchs der verunreinigten Maispartien und die Ertragsausfälle aufzukommen. Pioneer will in einem Rechtsstreit mit dem Land Niedersachsen seine Kosten wieder einklagen. Die Landwirte stehen im Regen" Die Festlegung eines Schwellenwertes von 0,1% GVO-Anteil in herkömmlichem Saatgut würde den Gentechnikkonzernen erlauben, auch GVO-verunreinigtes Saatgut in den Verkehr zu bringen. Fahrlässigkeit der Gentechnikfirmen und Verletzung der Sorgfaltspflicht bei der Saatgutproduktion würde dann von staatlicher Seite belohnt - auf Kosten der gentechnikfreien Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion.


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Quelle:
Presseinformation - PM 103-10/LFGS, 18.10.2010
Herausgeber:
Bund Naturschutz in Bayern e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2010