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AGRARINDUSTRIE/078: Gefährlicher Kot (PROVIEH)


PROVIEH Ausgabe 02/2012
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Gefährlicher Kot

von Stefan Johnigk



Dr. Thomas Fein steht besorgt, ja erschüttert vor einem Haufen Hühnerkot. Drei LKW-Ladungen davon wurden am Wegrand in Mehre bei Uelzen abgeschüttet, um in einigen Tagen auf die Kartoffeläcker ausgebracht zu werden. Die Nährstoffe aus dem Kot sollen zurück in den Stoffkreislauf und das Pflanzenwachstum stärken, wie es seit Urzeiten in der Landwirtschaft üblich ist. Doch die drei scheinbar harmlosen LKW-Ladungen Hühnerkot bergen ein höchst modernes Übel, das weiß der Mediziner. Er hat Proben davon in einem Labor untersuchen lassen. Das Ergebnis bestätigte die Befürchtung: Was da als Dünger auf den Acker soll, ist hochgradig mit Antibiotika-resistenten Eitererregern und ESBL-bildenden Darmkeimen belastet. "Das ist kein Naturdünger mehr, das ist infektiöser Sondermüll!" schimpft PROVIEH-Mitglied Fein.

Der Kinderarzt Dr. Fein weiß, wovon er spricht. Gemeinsam mit Berufskollegen sichtete er zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten und verfasste eine Studie, wie sich resistente Keime aus industriellen Hühnermastställen in der Umgebung ausbreiten. ESBL-Bildner im Kartoffeldünger machen den Mediziner besonders wütend. Erst vor wenigen Monaten, im Sommer 2011, starben einige früh geborene Kinder in einer Bremer Klinik an einer Infektion mit ESBL-bildenden Keimen. Frühchen vertragen nur wenige Arten von Antibiotika. Alle von ihnen konnten von den ESBL-bildenden Bakterien unwirksam gemacht werden. Es wird noch gestritten, woher die ESBL-Bildner stammten. Fakt ist: Der anrüchige Hühnerkothaufen enthält nicht nur ESBL-Bildner, sondern er wimmelt von verschiedenen Bakterienarten, die nach dem Ausbringen das Bodenleben bereichern werden und das Plasmid mit den Genen für die Bildung von ESBL erhalten können.


INFOKASTEN

ESBL

ESBL steht für "extended spectrum beta-lactamase", auf Deutsch "Beta-Laktamasen mit erweitertem Wirkungsbereich". Das sind spezielle Enzyme, die bestimmte Antibiotika wie Penicilline und die modernen Cephalosporine der 3. und 4. Generation unwirksam machen. Die Gene für die Bildung von ESBL liegen auf Plasmiden (kleinen autonom replizierenden DNA-Ringen in Bakterien), die bei Bakterien über die Artgrenzen hinweg übertragen werden können. Das Bundesinstitut für Risikobewertung warnte bereits 2011, dass ESBL-bildende Bakterien in Nutztierbeständen stetig zunehmen, dass sie ein ernstes Gesundheitsrisiko für den Menschen darstellen und dass Maßnahmen ergriffen werden sollten, ihre Verbreitung einzudämmen.


Bauern bedroht

Die drei LKW-Ladungen Hühnerkot liegen noch immer am Wegesrand. Sie sind nur notdürftig mit einer Plane abgedeckt. Kräftiger Wind ist aufgekommen und bläst Teile des infektiösen Trockenkots auf die angrenzenden Wiesen, auf denen die Freilandhühner des Neuland-Bauern Niels Odefey nach Nahrung suchen. Seine Hühner leben so gesund, dass sie praktisch nie Antibiotika brauchen. Und nun werden sie per Luftfracht mit resistenten Keimen verseucht. Odefey ist stinksauer. Er kennt die Gefahr, die im Hühnerkothaufen schlummert, und wehrt sich gegen dessen Ausbringung im Umfeld seines Betriebes. Sechs Ämter und Behörden im Landkreis Uelzen schreibt er an und will, dass die Amtsvertreter den Kot selbst einmal untersuchen lassen. Doch alle, das Amt für Lebensmittelüberwachung, das Veterinäramt, das Ordnungsamt, die untere Wasserbehörde, der Landkreis Uelzen und die Landwirtschaftskammer in Oldenburg fühlen sich nicht zuständig und wollen den wütenden Bauern einfach nur abwimmeln. Schließlich zieht Odefey PROVIEH hinzu und informiert die Medien.

Beim Ortstermin, vor laufenden Kameras, gehen Bauer Niels Odefey und Biologe Stefan Johnigk der Herkunft des kontaminierten Haufens auf den Grund. Der konventionelle Ackerbauer, der seinem Neuland-Nachbarn den Kot vor die Nase gekippt hat, hält gar keine Hühner. Er hat sich den Hühnerkot liefern lassen, will aber nicht verraten, woher. Nun ist Detektivarbeit gefragt. Wir suchen nach Hinweisen auf die Herkunft. Indiz Nr. 1: Der Hühnerdreck muss aus einem industriellen Betrieb stammen, der nicht genug Ackerfläche für die Ausbringung des Hühnerkots hat. Auf einem bäuerlichen Hof wäre der Dung nicht weitergegeben, sondern auf eigenen Äckern ausgebracht worden. Indiz Nr. 2: Im Trockenkot finden wir Bruchstücke von weißen Eiern. Also stammt er von Legehennen und nicht von Masthühnern. Weiße Schalen weisen zudem auf industrielle Haltung hin, denn Verbraucher bevorzugen braune Eier, so dass die weißen Eier fast ausschließlich in die Verarbeitung gehen und miserabel bezahlt werden: Nur rund drei bis fünf Cent pro Ei bekommt der Bauer. Nur die Massentierhaltung kann solch krankhaft billige Ware liefern. Indiz Nr. 3: Im Trockenkot finden wir keine Einstreureste. Wahrscheinlich stammt er von Hennen aus Kleingruppenkäfigen oder Volierenhaltung. Die Eierindustrie ist bekannt dafür, einen regelrechten Trockenkot-Tourismus im großen Stil zu betreiben, inklusive Abholung des Kots ab Hühnerknast und Verklappung bei ahnungslosen Ackerbauern. So wie in diesem Fall, wie es scheint. PROVIEH bleibt dran.

Obwohl die Vergabe von Antibiotika an Legehennen streng reglementiert ist - die Rückstände sollen schließlich nicht in die Eier gelangen - kommen die Intensiv-Hennenhalter ganz offensichtlich nicht ohne massenhaft eingesetzte Antibiotika aus. Sie fürchten das wirtschaftliche Risiko, im Infektionsfall gleich viele tausend ihrer gestressten Hennen auf einmal zu verlieren. Sie produzieren also ein gesundheitliches Risiko nicht nur für sich selbst und ihre Familien, sondern auch für ihre Mitmenschen.

Die Medien sind sensibilisiert. Sachliche Beiträge im NDR-Hörfunk, im Fernsehen und in den regionalen Tageszeitungen scheinen die Beratungsresistenz allmählich aufzulösen. So riet im Februar 2012 der niedersächsische Bauernverband "Landvolk" allen Tierhaltern, die sich operieren lassen müssen, sich zuvor auf Antibiotika-resistente Keime testen zu lassen, um üble Infektionen zu vermeiden. Eine erfreuliche Wende, denn noch ein Jahr zuvor wurden die Steigbügelhalter der Geflügelbarone nicht müde, jede Warnung vor Antibiotikaresistenzen als Diffamierungsversuche durchgeknallter Tierschützer abzutun und die genaue Erfassung des Antibiotika-Einsatzes in der Geflügelhaltung mit Lobbydruck politisch abzuwimmeln.


Mediziner besorgt

PD Dr. Holger Rohde vom Institut für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) ist über ESBL im Hühnerkot ebenso besorgt wie PROVIEH. In einem Fortbildungsseminar zum Thema "Antibiotika in der Human- und Tiermedizin: Nutzen - Missbrauch - Resistenzen" am 12. April 2012 belegt Dr. Rohde mit vielen Daten, wie in den letzten 50 Jahren die Fülle der Antibiotika-resistenten Erreger immer weiter zugenommen hat. Längst kommt die Forschung der Pharmaindustrie mit der Entwicklung neuer Antibiotika nicht mehr mit. Wann immer ein neuer Wirkstoff gefunden wird, dauert es immer weniger Jahre bis auch dieser untauglich gegen kritische Krankheitskeime ist. Auf Nachfrage von PROVIEH erklärte Rohde: "Was wir heute in der Humanmedizin an Resistenzproblemen erleben, wird uns aus der Tierhaltung in wenigen Jahren ähnlich massiv treffen." PROVIEH berichtet den versammelten Ärzten bei dieser Fortbildung im UKE, dass Tierkot mit ESBL-Bildnern bereits massenhaft als Dünger in der Landwirtschaft oder als Substrat in Biogasanlagen eingesetzt wird. Betretenes Schweigen erfüllt den Saal. Die Vorstellung, dass diese ESBL-Bildner so häufig werden könnten wie MRSA (Methicillinresistente Staphylococcus aureus), lässt die Mediziner erschaudern. Eine Abkehr von der Massentierhaltung scheint ihnen nötiger denn je.

PROVIEH will das Problem an der Wurzel bekämpfen: Landwirte müssen wirksam unterstützt werden, die krankmachenden Zustände in der Intensivtierhaltung zu verändern und auf eine gesunde, artgemäße Tierhaltung umzustellen, die weitgehend ohne den Einsatz von Antibiotika auskommt.

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Quelle:
PROVIEH Ausgabe 02/2012, Seite 6-8
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. September 2012