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AGRARINDUSTRIE/113: Bedrohlich - Immer mehr Reserveantibiotika in der Tierhaltung (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1046, vom 17. Okt. 2014 - 34. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Bedrohlich: Immer mehr Reserveantibiotika in der Tierhaltung



Für die Bekämpfung bestimmter Infektionskrankheiten sind Antibiotika bis heute unabdingbar. Jedoch hat man in Deutschland in der Massentierhaltung ein nicht mehr vertretbares Niveau des Antibiotikaeinsatzes erreicht. Mittlerweile wird befürchtet, dass sich Antibiotika und antibiotikaresistente Keime aus der Landwirtschaft auch über den Gülle- sowie den Wasser- und Abwasserpfad unkontrollierbar verbreiten könnten (siehe RUNDBR. 1039/4, 1025/4, 1018/4). Insgesamt gab die Pharmaindustrie im Jahr 2011 in Deutschland rund 1.734 Tonnen Antibiotika an Tierärzte ab, wie das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) bekannt gab. Durch die Gesetzesnovelle zum Arzneimittelgesetz 2012 ist eine zentrale Datenbank eingeführt worden, in der alle Antibiotikaanwendungen in der Mast von Hühnern, Puten, Schweinen und Rindern erfasst werden sollen. Aus den Daten wird dann der Indikator der Therapiehäufigkeit abgeleitet, der den Überwachungsbehörden Anhaltspunkte gibt, in welchen landwirtschaftlichen Betrieben überdurchschnittlich viele Antibiotika eingesetzt werden. Die Landwirte müssen sich an die Anwendungsdurchschnitte dieser Datenbank halten. Liegen sie darüber, sind Minimierungsmaßnahmen, etwa hinsichtlich des Stall- und Hygienemanagements, mit Tierärzten und gegebenenfalls den Veterinärbehörden durchzuführen. Die Therapiehäufigkeit als Indikator zu benutzen ist allerdings äußerst irreführend: Denn Breitbandantibiotika wie Cephalosporin und Fluorchinolon wirken auf zahlreiche Erreger ein und können einen hohen Antibiotikaspiegel über einen langen Zeitraum hin gewährleisten, obwohl sie zum Beispiel nur einmal verabreicht werden. Das ergibt dann eine geringe Therapiehäufigkeit bei einer langanhaltenden Wirkung und dadurch fällt der Landwirt in dieser Datenbank nicht auf. Die neue Datenerfassung hatte zur Folge, dass der gesamte Antibiotikaeinsatz zurückging, aber die Verabreichungen der entscheidenden Reserveantibiotika stiegen unverhältnismäßig stark an:

Bei den Cephalosporinen der 3. Generation stieg die Abgabe innerhalb der Jahre 2012 und 2013 um 25 Prozent, bei den Fluorchinolonen sogar um 60 Prozent. Diese Reserveantibiotika werden eigentlich nur eingesetzt, um Menschen zu helfen, die schwer krank sind und bei denen die herkömmlichen Antibiotika nicht mehr anschlagen. Sie sind deshalb extrem wirksam - und das schon in geringsten Dosierungen. Wird diesen Mitteln kein gesetzliches Verbot für die Tierhaltung und die gesamte Tiermedizin verordnet, entstehen resistente Keime, gegen die fast kein Medikament mehr wirkt und die zum Beispiel eine Lungenentzündung auch für Menschen lebensbedrohlich werden lässt. Das Problem verschärft sich durch zwei weitere Effekte: Zum Einen sind schon lange keine neuen Antibiotika mehr auf den Markt gekommen, was den Bakterien das Überleben erleichtert. Zum Anderen können die Bakterien ihre Resistenz-Gene nicht nur an ihre Nachfahren sondern auch an fremde Bakterien übertragen.[1]   -ss-


Für ein Verbot des Reserveantibiotika-Einsatzes in der Tierhaltung

Das Grundproblem, das dem hohen Einsatz von Antibiotika in der Nutztierhaltung zu Grunde liegt, ist der weitere Ausbau der Massentierhaltung. Bei einem Bestand von tausenden oder gar zehntausenden Tieren in einem Stall steigt die Anfälligkeit für Infektionen - und der Bedarf an Antibiotika. Eine Lösung wären vor allem kleinere Ställe und eine Einrichtung von Krankenställen zur Isolierung infizierter Tiere. Des Weiteren müsste man den ruinösen Wettbewerb unter den Tierärzten eindämmen, fordern sowohl die Tierärztekammer als auch der Bundesverband Praktizierender Tierärzte. Sie sind für eine Preisbindung bei Medikamenten und eine Abschaffung von Mengenrabatten bei Antibiotikaverkäufen. Ein Verbot muss sich allerdings auf die gesamte Tierhaltung ausweiten, da auch bei Sport- und Haustieren sowie in Zoos Tiere viel zu oft unnötig mit Antibiotika behandelt werden. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Gesetze grundsätzlich für den Tierschutz und gegen Qualzucht umgesetzt werden sollten, um das Problem des massiven Antibiotikaeinsatzes an der Wurzel zu packen. Reserveantibiotika haben in Massentierhaltungen nichts verloren und müssen verboten werden.   -ss-


Engagement gegen die Vernutzung der Reserveantibiotika in der Tiermast

Bereits im letzten Jahr haben wir uns an den damaligen Bundesgesundheitsminister Bahr und die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Aigner gewandt, um auf eine signifikante Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Tiermast zu drängen. Nachdem jetzt die bauernschlauen Landwirte zunehmend auf die ungleich effizienteren Reserveantibiotika umsteigen, haben wir neuerlich an die Minister für Landwirtschaft und Gesundheit sowie an den agrarpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion geschrieben, damit dieser potenziell lebensgefährlichen Substitution Einhalt geboten wird. Der Bundesgesundheitsminister HERMANN GRÖHE hat uns inzwischen antworten lassen: Erstens sei er nicht zuständig und zweitens würde man zusammen mit dem zuständigen Landwirtschaftsministerium hart an der der deutschen Antibiotika-Resistenzstrategie (DART) arbeiten. Derzeit werde "DART an neuste wissenschaftliche Erkenntnisse angepasst". Da sind wir jetzt voll beruhigt! Die Briefe sowie unser Dosier zum wachsenden Einsatz der Reserveantibiotika in der Tiermast können RUNDBR.-AbonnentInnen kostenlos via nik@akwasser.de anfordern.

Wer seiner Sorge über die Vernutzung der für die Menschen überlebenswichtigen Reserveantibiotika in der Tiermast Ausdruck geben will, kann Mails an folgende Adressaten schreiben:

  • Dr. Alexandra Clarici, Bundesministerium für Gesundheit: alexandra.clarici@bmg.bund.de
  • Franz-Josef Holzenkamp , MdB, agrarpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: franz-josef.holzenkamp@bundestag.de

Gülle: Antibiotika schlagen bisher noch kaum ins Grundwasser durch

Die Zeitschrift "HYDROLOGIE UND WASSERBEWIRTSCHAFTUNG" ist vielen Aktivisten in der aquatischen Umweltszene unbekannt. Und auch nicht wenige Fachleute, die in der Wasserwirtschaft tätig sind, kennen die Zeitschrift nicht. Dabei lohnt es sich immer, einen Blick in die von der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG, siehe Kasten) herausgegebene Zeitschrift zu werfen. Zwar sind viele Aufsätze oft so formelbelastet, dass ein Nichthydrologe das Handtuch werfen muss. Aber zahlreiche Aufsätze haben auch etwas für interessierte Laien zu bieten. So berichten in der aktuellen Ausgabe 4/2014 STEPHAN HANNAPPEL ET AL. über "Vorkommen von Tierarzneimitteln im oberflächenahen Grundwasser unter Standorten mit hoher Viebesatzdichte in Deutschland". Die Untersuchung gibt weitgehend Entwarnung: Obwohl die Grundwassermessstellen nach Worst-Cast-Bedingungen (sehr hohe Viehbestandsdichten, hohe Grundwasserneubildungsraten usw.) ausgesucht worden waren, konnten Antibiotika nur vereinzelt im Grundwasser nachgewiesen werden. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Böden in den Massentierhaltungsregionen noch eine hohe Rückhalte- und Abbaufähigkeit für Antibiotika aufweisen. Kritik üben die AutorInnen an den Antibiotika-Datenbanken: Daten zu den Antibiotikaverbrauchsmengen seien vor allem in räumlicher Auflösung immer noch nicht verfügbar.

Die Fachzeitschrift HYDROLOGIE UND WASSERBEWIRTSCHAFTUNG ...
... erscheint alle 2 Monate und kostet im Abonnement preisgünstige 34,- Euro pro Jahr. Ein Probeexemplar der Zeitschrift HYDROLOGIE UND WASSERBEWIRTSCHAFTUNG (HyWa) kann angefordert werden bei der
Bundesanstalt für Gewässerkunde
Am Mainzer Tor 1
56068 Koblenz
www.hywa-online.de


[1] Für weitere Informationen zur äußerst bedenklichen Substitution von "Standard-Antibiotika" durch Reserverantibiotika und deren Vernutzung in der Tiermast:
http://landesnetzwerk-niedersachsen.net/wp-content/uploads/2013/07/Dr.-Vet.-Hermann-Focke-Die-Antibiotikalüge.pdf

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1046
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU),
Rennerstr. 10, 79106 Freiburg i. Br.
Tel.: 0761 / 27 56 93, 456 871 53
E-Mail: nik[at]akwasser.de
Internet: www.akwasser.de, www.regioWASSER.de
 
Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF kann abonniert werden durch Voreinzahlung
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Dezember 2014