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INITIATIVE/197: Geplante Großschlachterei in Wietze - 20 Initiativen auf den Barrikaden (Weserkurier)


Weserkurier - 14.04.2010

Unternehmen will Großschlachterei in Wietze bauen
Widerstand gegen Hähnchen-Highway

Von Christian Weth


Wietze. Ihren Spitznamen hat die A7 bei Celle weg. Hähnchen-Highway nennen Kritiker die Autobahn - als bitterer Vorgeschmack auf das, was da kommen soll: eine Hähnchenschlachterei, die ihres Gleichen sucht. Um sie in der Endstufe auszulasten, bedarf es nach den Plänen des Betreibers 400 Mastställe, die für Nachschub sorgen. Das Projekt in der 8000-Seelen-Gemeinde Wietze hat nicht nur neue Proteste gegen Agrarfabriken ausgelöst, sondern auch eine Debatte übers Baugesetz.

Groß sind die Pläne der Emsland Frischgeflügel GmbH fürs kleine Wietze: Firmenchef Franz-Josef Rothkötter will in der 8000-Seelen-Gemeinde eine Schlachterei bauen, die angesichts der Ausmaße ihres Gleichen sucht: 135 Millionen Hähnchen pro Jahr sollen in der Endstufe des Projektes thekenfertig verarbeitet werden. Gegen das Vorhaben laufen 20 Initiativen Sturm.

Hinter verschlossenen Türen haben sich jetzt die niedersächsischen Landtagsfraktionen angehört, was andere zum Reizthema Massentierhaltung zu sagen haben: das Landvolk, der Naturschutz, der Städtetag. Den einen ging es um den Vorzug von kleinen Höfen, den anderen um Nachteile für Kommunen im Genehmigungsprozess von Großanlagen auf der grünen Wiese.

Auch wenn es bei dem Austausch der Argumente nicht um die geplante Schlachterei in Wietze gegangen sein soll, gilt das Vorhaben für Eckehard Niemann von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) als Initialzündung: sowohl für den neuerlichen Widerstand gegen Agrarfabriken als auch für die Diskussion über das baurechtliche Paragrafenwerk.

Zu einfach werde es den Investoren gemacht, ihre Produktionshallen auf dem platten Land zu bauen - sagen die Kritiker. Und zu schwierig sei es für Städte und Gemeinden, einem Projekt einen Riegel vorzuschieben. AbL-Bauexperte Niemann spricht von Hunderten von industriellen Anlagen, die allein in Niedersachsen entweder gerade geplant sind oder schon gebaut werden.

Eine genaue Übersicht zu geben, wo wie viele Großprojekte entstehen, fällt Verbänden und Behörden gleichermaßen schwer. Das statistische Landesamt muss ebenso passen wie die Landwirtschaftskammer. Zahlen gebe es, aber keine, die zwischen dem Bau einer Scheune, einem Maststall, einer Schlachterei unterscheiden, heißt es. Fest steht für Niemann: 'Agrarfabriken sind weiter auf dem Vormarsch.'


20 Initiativen auf den Barrikaden

Und das kritisiert nicht nur er. Rund um Wietze kommt der AbL-Mann auf 20 Bürgerinitiativen, die gegen die geplante Großschlachterei der Emsland Frischgeflügel GmbH Sturm laufen - und zugleich gegen die 200 Mastställe, die nach den Befürchtungen der Kritiker an der A7 bei Celle neu hinzukommen, um den Riesenbetrieb mit Nachschub zu versorgen.

Gemessen an der bundesweiten Zahl an Protestgruppen, die Front gegen Agrarfabriken machen, ist der Wietzer Widerstand beachtlich. Niemann, der nach eigenem Bekunden mit allen Initiativen in Kontakt steht, kommt republikweit auf 70 Vereinigungen - allesamt organisiert im Netzwerk Bauernhöfe statt Agrarfabriken. Mit dem Boom der industriellen Landwirtschaft, sagt Niemann, sei nicht nur der Widerstand gewachsen, sondern habe sich auch dessen Struktur verändert.

Für einen Wandel treten auch immer mehr Kommunen ein, wie Jürgen Tiemann vom Niedersächsischen Städtetag weiß. 'Sie fordern mehr gesetzlichen Spielraum, um ein Großvorhaben steuern zu können.' Bisher hätten sie nur begrenzt Möglichkeiten, auf die Genehmigung Einfluss zu nehmen. Habe ein Investor erst mal die Voraussetzungen erfüllt, dass sein Vorhaben im Außenbereich einer Stadt oder Gemeinde als privilegiert anzusehen ist, könnten sie sich fast gar nicht dagegen wehren.

Das will der Städtetag ändern. Drei Forderungen stellt er auf: Eine Kommune soll länger als bisher ein Projekt zurückstellen können, gewerbliche Tierhaltung nicht mehr privilegiert werden, per Gesetz klarer gefasst werden, was ein landwirtschaftlicher Betrieb ist und was nicht. Tiemann glaubt, dass damit einer Gemeinde mehr Wege offen stehen, ein Projekt zu lenken oder gar Steine in den Weg zu legen. Wenn sie denn überhaupt daran denkt, einer Agrarfabrik Schwierigkeiten machen zu wollen: Wietzes Bürgermeister Wolfgang Klußmann hat schon den Sekt kalt gestellt, um den Spatenstich für die Schlachterei zu feiern, wie er der örtlichen Presse sagte. Für ihn ist das Vorhaben von Emsland Frischgeflügel ein gutes Vorhaben. Schließlich schaffe es Arbeitsplätze. Die Tochter der Rothkötter Kraftfutter GmbH wirbt mit bis zu 1000 Stellen - nicht alle sofort und auf einmal, aber nach der letzten Ausbaustufe des 40-Millionen-Euro-Baus.

Denn unvorstellbar viele Hähnchen will Unternehmer Franz-Josef Rothkötter in Wietze thekenfertig verarbeiten: 100000 pro Tag, 135 Millionen jährlich - ähnlich viele, wie im Emsländischen Haren, wo der Firmenchef bereits eine Schlachterei betreibt. Damit die immense Zahl erreicht werden kann, ist die Firma dabei, Bauern für die Mast zu gewinnen. Wer bisher Getreide anbaut, soll sich auf die Mast verlegen. 'Wir informieren die Landwirte, dass gutes Geld zu verdienen ist', sagt Rothkötter. Dass er nicht nur viele, sondern viele große Ställe braucht - für 40000 Tiere und mehr - , daraus macht er keinen Hehl. Genauso wenig wie die Grünen, was sie von solchen Betrieben halten: 'Nichts', sagt ihr agrarpolitischer Sprecher Christian Meyer. Großanlagen, meint er, machten die Landwirtschaft kaputt und eine artgerechte Tierhaltung schier unmöglich. Darum hat er die Anhörung zur Massentierhaltung initiiert und einen Antrag gestellt, die Genehmigung von Agrarfabriken auf neue Füße zu stellen. Bis auf die SPD, die zumindest auf Verbesserungen für die Kommunen dringt, sehen die beiden anderen großen Parteien keinen Handlungsbedarf.


Geringe Erfolgsaussichten

Dass der Vorstoß der Bündnisgrünen keine Mehrheit finden wird, wenn er im kommenden Monat im Landtag zur Abstimmung steht, gilt für Niemann von der AbL als ausgemacht. Auch von einem Erfolg der Anhörung - 'die Fronten sind wie eh und je' - will er nicht sprechen. Notwendig sei der Meinungsaustausch aus zwei Gründen dennoch gewesen. Er habe den Politikern wenigstens gezeigt, dass andere anderer Auffassung sind, wenn es um Massentierhaltung geht, und der Protest gegen Agrarfabriken an Stärke zunimmt. Und weil das so sei, besonders in Wietze, will er die Hoffnung nicht begraben, dass der Bau der Schlachterei vielleicht doch noch verhindert wird. Ein Gedanke, der für Rothkötter komplett abwegig ist: 'Entweder wird die Produktion im April 2011 oder 2012 beginnen - produziert wird auf jeden Fall.'

Artikel-URL: http://www.weser-kurier.de/Artikel/Region/Niedersachsen/146598/Widerstand-gegen-Haehnchen-Highway.html


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Quelle:
Weserkurier, 14.04.2010
Bremer Tageszeitungen AG, Bremen
mit freundlicher Genehmigung des Autors
Internet: www.weser-kurier.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2010