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INITIATIVE/243: Es muß sich vieles ändern (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 3/17
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Es muss sich vieles ändern
Landwirtschaft zwischen Subventionsmilliarden und Artenschwund

von Helge May


Politiker setzen sich ungern selbst unter Druck. Und deshalb nennt die Bundesregierung zu ihrem schönen Ziel, in Deutschland einen Ökolandbau-Anteil von 20 Prozent zu erreichen, auch keine Jahreszahl. Natürlich möglichst bald, aber halt irgendwann. Nach der bisher lange schleppenden Entwicklung wäre es um das Jahr 2070 soweit. Angela Merkel ist dann ziemlich sicher nicht mehr Kanzlerin.

Wie kurz vor Drucklegung des Heftes bekannt wurde, hat die Ökobranche aber zuletzt überraschend stark zugelegt. Um satte 160.000 Hektar stiegen die Ökoflächen auf nun 1,25 Millionen Hektar. Hier kommen möglicherweise endlich verbesserte Umstellungs-Förderbedingungen einiger Bundesländer zum Tragen. Die Quote liegt jetzt bei 7,5 Prozent der Fläche und fast zehn Prozent der Betriebe. Ginge es so weiter, würden die 20 Flächenprozent immerhin schon 2030 erreicht. In Österreich ist das bereits heute der Fall.

Öko weiter in der Nische

"Der Ökolandbau hat sich neben dem konventionellen Landbau als wichtige Säule der deutschen Land- und Ernährungswirtschaft etabliert", stellt Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt zufrieden fest. Wichtig ja, aber immer noch ist Ökolandbau die Ausnahme. Die Regel-Landwirtschaft sieht in Deutschland anders aus: Import von Millionen Tonnen gentechnisch verändertem Soja zur Tiermast, Einsatz von jährlich 140.000 Tonnen Pestiziden, immer größere Betriebe, immer größere Äcker - in der Folge immer weniger Strukturen wie Raine oder Hecken, dramatischer Artenschwund innerhalb kürzester Zeit, besonders gut erkennbar bei Vögeln und Insekten.

Selbst wenn also die 20 Prozent Ökolandbau mehr oder minder schnell erreicht würden: Im Sinne von Natur und Umwelt muss auch die konventionelle Landwirtschaft grüner werden. Einzelne konventionelle Bauern bemühen sich schon heute um den Naturschutz, aus eigenem Antrieb oder im Rahmen von Vertragsnaturschutz. Das ist anzuerkennen, aber am Ende nur "Pritzelkram en Detail", wie Hermann Löns es schon vor hundert Jahren nannte, während eben "die Naturverhunzung en gros" vorgeht.

Subventionstöpfe umwidmen

Der Naturschutz muss endlich auch "en gros" ansetzen. Der Schlüssel dafür ist die sogenannte Gemeinsame Agrarpolitik der EU. Hier wird nämlich über Verordnungen und Subventionsbedingungen die Richtung bestimmt. Mit den jährlich 60 Milliarden Euro Agrarsubventionen ist es wie mit konventioneller und Öko-Landwirtschaft: Es gibt zwei Säulen, eine ganz dicke, aus der die Bauern an die Flächengröße gebundene sogenannte Direktzahlungen erhalten, und eine dünne zweite mit Förderprogrammen für die umweltschonende Bewirtschaftung sowie die ländliche Entwicklung.

Geringe Erzeugerpreise führen zu Abhängigkeit: Im Durchschnitt machen die Direktsubventionen aus Brüssel 40 Prozent der bäuerlichen Einnahmen aus.

Der NABU hält diese Förderpraxis für fehlgeleitet und ineffizient. Während sie Anreize zu immer intensiverer Nutzung gibt, fällt die Honorierung von Umweltleistungen viel zu gering aus. Im Auftrag des NABU haben daher Wissenschaftler ein neues Modell entwickelt. Dieses setzt auf wesentlich stärkere Zahlungen an Landwirte, die ihre Flächen naturverträglich bewirtschaften und besondere Maßnahmen für die Artenvielfalt umsetzen. Betriebe, die nur die Mindeststandards der Umweltgesetze einhalten, sollen keine Steuergelder mehr erhalten.

Die Autoren der Studie berechneten, dass bei gleichem Fördervolumen Landwirte, die ein Fünftel ihres Grünlands als ökologisch hochwertige Flächen bewirtschaften, finanziell mindestens genauso gut oder besser gestellt würden als bisher. Insgesamt wäre zu erwarten, dass damit künftig 75 Prozent der deutschen Agrarfläche besonders naturverträglich bewirtschaftet werden könnten - mit höherem Einkommen der teilnehmenden Landwirte.

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Pestizidverbot auf Vorrangflächen

Schon bei der letzten EU-Agrarreform wurde ein "Greening" der Subventionen eingeführt, das aber kaum Wirkung zeigt und vor allem das System weiter verkompliziert. Unter anderem müssen die Landwirte nun fünf Prozent ihres Betriebs als Ökologische Vorrangflächen ausweisen. Werden darauf aber Feldfrüchte wie Erbsen, Linsen, Ackerbohnen oder Soja angebaut, dürfen die Äcker weiter mit Pestiziden behandelt werden.

Diese Regel fand sogar der EU-Agrarkommissar merkwürdig und schlug nun vor, sie abzuschaffen. Der Agrarausschuss des Europaparlamentes lehnte den Vorschlag jedoch klar ab. Der NABU hat daraufhin im Juni eine Protestaktion gestartet. Innerhalb von nur einer Woche sind über 9.000 Menschen dem Aufruf gefolgt und haben Protestmails an einflussreiche EU-Abgeordnete verschickt. Am Ende stimmte das Europaparlament dem Pestizidverbot mit knapper Mehrheit zu. Ein kleiner Sieg der Vernunft.

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Neustart in der Agrarpolitik

Wer auch immer nach der Wahl am 24. September die neue Bundesregierung stellt: An einer Neuausrichtung der Landwirtschaftspolitik wird man nicht vorbeikommen, dazu sind die Probleme zu groß. In den Wahlforderungen des NABU ist die Ökologisierung der Landwirtschaft daher einer von zehn Hauptpunkten. Im Detail fordert der NABU unter anderem:

- Die Bundesregierung muss sich für eine zielgerichtete und umfassende Neustrukturierung der Agrarförderung auf EU-Ebene einsetzen, so dass künftig ausschließlich Leistungen für das Gemeinwohl honoriert werden. Insbesondere bedarf es attraktiver Anreize für Naturschutzmaßnahmen.

- Es muss endlich gesetzlich definiert werden, was als "gute fachlichen Praxis" erlaubt ist. Grünlandumbruch auf sensiblen Standorten wie Moorböden soll verboten werden, innerhalb der 100-Jahres-Hochwasserlinien soll kein Ackerbau mehr erlaubt sein, Stickstoffüberschüsse müssen verringert werden.

- Der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel ist durch Reduktionsvorgaben und eine Weiterentwicklung des integrierten Pflanzenschutzes deutlich zu verringern. Besonders gefährliche Stoffe sollen verboten werden.

- Die aus der intensiven Tierhaltung und Landbewirtschaftung resultierende Nitratbelastung ist deutlich zu verringern. Der Düngeverordnung muss verschärft werden.

- Über die Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes (GAK) sollen künftig investive Naturschutzmaßnahmen und Vertragsnaturschutz gefördert werden.

- Der Flächenanteil des ökologischen Landbaus ist durch gezielte Förderung deutlich zu steigern, um rasch das 20-Prozent-Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie zu erreichen.

- In Natura-2000-Gebieten und Naturschutzgebieten sowie in einem Puffer um die Schutzgebiete herum ist der Einsatz von Pestiziden und Gülle zurückzudrängen. Innerhalb der Schutzgebiete ist dem ökologischen Landbau Vorrang einzuräumen.

- Der Verzicht auf "Grüne Gentechnik" soll auf nationaler Ebene festgeschrieben werden. Dem Verbraucherwillen ist durch eine klare Kennzeichnung von Produkten mit gentechnisch veränderten Bestandteilen Rechnung zu tragen. Die "Ohne Gentechnik"-Kennzeichnung ist auf Fleisch, Milch und Eier von Tieren auszuweiten, die nicht mit gentechnisch verändertem Futter ernährt wurden.

- Die Bindung der Tierhaltung an die Fläche bei der Futtermittelversorgung und der Entsorgung des Mistes beziehungsweise der Gülle ist konsequent umzusetzen.


Komplette NABU-Wahlforderungen unter www.NABU.de/Wahl2017.

Weitere Infos unter www.NABU.de/Agrarreform2021.

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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 3/17, Seite 10-12
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-1530, Fax: 030/284984-2500
Hausanschrift: Charitéstraße 3, 10117 Berlin
E-Mail: naturschutz.heute@nabu.de
Internet: www.naturschutz-heute.de
Herausgeber: NABU, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-0, Fax: 030/284984-2000
E-Mail: nabu@nabu.de
Internet: www.NABU.de
 
"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2017

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