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MELDUNG/170: Erosion der Pflanzenzüchtung (Informationsdienst Gentechnik)


Informationsdienst Gentechnik

Nachrichten - 16.02.2015

Erosion der Pflanzenzüchtung


Die Zukunft der Pflanzenzüchtung in Deutschland, aber auch in Entwicklungsländern, war eines der Diskussionsthemen auf der BioFach-Messe in Nürnberg, die am Samstag endete. Dabei wurde klar: kleine und mittelständische Züchter ringen ums Überleben, während Konzerne große Summen in Gentechnik-Methoden stecken. Uneinig waren sich Vertreter von konventioneller und Öko-Zucht sowie Politiker aus Deutschland und der Schweiz, welche Auswirkungen internationale Saatgut-Abkommen zum "Schutz des geistigen Eigentums" haben.

Gebhard Rossmanith, Vorsitzender der ökologisch ausgerichteten Bingenheimer Saatgut AG, erinnerte sich an seine Anfänge als Gemüsegärtner in den 1970er Jahren. Damals habe es eine große Vielfalt bei den Sorten gegeben. Heute gebe es keinen einzigen Gemüsezüchter mit einem breiten Sortiment mehr. Neue Gemüsesorten kämen fast nur noch vom Verein Kultursaat.

Erschwert wird die Lage nach Ansicht des Öko-Züchters, weil viele Standorte für Prüfverfahren dicht gemacht worden seien - von ehemals fünf sei beim Bundessortenamt heute nur noch eine Stelle für Gemüse übrig. Die Prüfung neuer Sorten, die Voraussetzung für eine Vermarktung ist, finde zunehmend im EU-Ausland statt. Das stelle die Züchter nicht nur vor sprachliche Herausforderungen. Denn ihre Gemüsesorten müssen so teils an Orten getestet werden, für deren Klima sie gar nicht gedacht sind - entsprechend schwer ist es, die Stabilitäts- und Homogenitätskriterien für die Zulassung zu erfüllen.

Die Schließung von Sortenamt-Standorten kritisierte auch Stephanie Franck. Als Vorstandsvorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter vertritt sie 130 Unternehmen, darunter Mittelständler, aber auch Konzerne wie Monsanto, Bayer und Syngenta, die neben konventionellen Hybrid-Sorten auch Gentechnik-Saatgut herstellen. Sie verteidigte das internationale UPOV-Übereinkommen (Union internationale pour la protection des obtentions végétales), das den Züchtungsunternehmen die Vermarktung ihres Saatguts sichern soll. UPOV sei "ein sehr gutes System", so die BDP-Chefin. Falle es weg, käme stattdessen der viel rigidere Patentschutz, den es heute - mit Ausnahmen, die einer rechtlichen Grauzone geschuldet sind - nur für gentechnisch verändertes Saatgut gibt, warnte Franck in Richtung von Kritikern. Diese sehen in UPOV ein Werkzeug multinationaler Agrarkonzerne, das ihnen den Weg in die oft noch vom Tausch geprägten Saatgut-Märkte des globalen Südens ebnen soll.

Rossmanith bezeichnete das Abkommen als "Verhinderungsinstrument", das zu einer Einschränkung der dringend nötigen genetischen Vielfalt führe. Werde es beispielsweise in Indien eingeführt, sei das für die bäuerliche Züchtung dort "eine Riesenkatastrophe". Kritik äußerte auch ein Bio- und Entwicklungsberater, der im Publikum saß. BDP-Vorsitzende Franck räumte ein, es habe "keinen Sinn", UPOV in Entwicklungsländern wie Äthiopien flächendeckend einzuführen. Zunächst müsse sich die Züchtung dort auf ein konkurrenzfähiges Niveau entwickeln.

Maya Graf, Grünen-Nationalrätin aus der Schweiz, berichtete von einer Initiative des eidgenössischen Parlaments: die soll zu einer deutlichen Aufstockung öffentlicher Mittel für die Pflanzenzüchtung führen, die mit jährlich 10 Millionen Franken zurzeit pro Kopf viermal niedriger sei als in Deutschland. Zugleich sollen Nischensorten, die nicht für den Massenmarkt bestimmt sind, von den UPOV-Kriterien ausgenommen werden. Das Korsett von Unterscheidbarkeit, Uniformität und Stabilität erweist sich für viele lokal angepasste Sorten als zu eng. Graf will ihnen mehr "Spielraum" geben.

Zu mehr "Open Source von natürlichen Ressourcen" mahnte auch Grafs deutscher Parlamentskollege Harald Ebner. Es gebe einerseits eine "große Erosion" bei eigenständigen Züchtern, andererseits Investitionen in teure Gentechnik - in den USA habe das bei Mais zu einem Schwund von 70 Prozent der Sorten geführt. Auch in Deutschland würden viele Züchter von Konzernen aufgekauft. Deswegen müsse der Mittelstand stabilisiert, die Zulassungskritieren für neue Sorten gelockert werden.

Außerdem müsse der Patentierung von Pflanzen und Tieren endlich ein politischer Riegel vorgeschoben werden. Das habe der Bundestag zwar schon 2012 beschlossen, doch sei das unter Schwarz-Gelb "mit vielen Zugeständnissen erkauft" worden - immer noch mache das Europäische Patentamt in München, was es wolle, so Ebner. Das Amt, das keine EU-Behörde sondern ein von zahlreichen Staaten vertraglich ins Leben gerufenes Gebilde ist, wird häufig wegen der Vergabe von Patenten auf konventionell gezüchtete Pflanzen kritisiert.

Ebner verlangte ebenfalls mehr Gelder für die Forschung in Öko-Züchtung und -Landbau. Jährlich 15 bis 17 Millionen Euro stünden Hunderten Millionen für den Bioökonomie-Bereich gegenüber, in dem die Bundesregierung die Zukunft sieht. Dabei geht es um die Nutzung nachwachsender Rohstoffe, wobei die nötige Biomasse wohl auch von Monokultur- und Gentechnik-Feldern stammen darf. Die Gentechnik sei, gemessen an ihrem tatsächlichen Nutzen, jedoch ohnehin "überfördert", so der Parlamentarier. [dh]



Infodienst: Hintergrund Patente in der Landwirtschaft
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Infodienst: Hintergrundinfos zu Saatgut
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Quelle:
Nachricht, 16.02.2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Februar 2015

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