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MASSNAHMEN/194: Zukunftskommission Landwirtschaft empfiehlt grundlegende Veränderungen (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Herbst 2021
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Argumente

Interview
Es soll sich lohnen, für Natur und Landwirtschaft

Die Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKl) empfiehlt grundlegende Veränderungen. NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger hat in der Kommission neun Mmonate lang mit verhandelt.

Die Fragen stellte Helge May.


Jörg-Andreas Krüger, das Abschlussdokument der Zukunftskommission liest sich stellenweise wie eine Bankrotterklärung der bisherigen Agrarpolitik. Vom NABU kann man so etwas erwarten. Mitgewirkt und unterschrieben haben unter anderem aber auch Spitzenvertreter aus dem Deutschen Bauernverband und dem Industrieverband Agrar.

Das zeigt, wie groß die Probleme der Landwirtschaft inzwischen sind. Nicht nur bei den Umweltauswirkungen, die uns als NABU besonders umtreiben, sondern ebenso wirtschaftlich und sozial. Die deutsche Landwirtschaft bewegt sich ja je nach Geschäftsmodell zwischen Hofladen und Weltmarkt. Man kann es also nicht über einen Kamm scheren. Aber das Gesamtsystem ist in seiner jetzigen Form nicht zukunftsfähig.

Dass man sich ehrlich macht und es eingesteht, ist dennoch ungewöhnlich.

Absolut. Im alltäglichen Lobbygetöse war das bisher sogar undenkbar. Da zeigt sich einer der großen Vorteile der ZKL: Wir waren "ad personam" berufen, nicht als Repräsentanten der Organisationen, und haben hinter verschlossenen Türen getagt - und ohne die Politik. Also ohne Publikum, das man hätte beeindrucken müssen.

Die Interessengegensätze bleiben...

Klar, aber die Kunst ist es, nach Übereinstimmungen und gangbaren Wegen für Alle zu suchen. Das ist nicht einfach. Es wurde hart gerungen und vieles war bis kurz vor Schluss umstritten. Aber am Ende war es einstimmig, von den Milchviehhaltern über den Lebensmittelhandel bis zum Tierschutzbund.

Was sind denn die Übereinstimmungen?

Vor allem, dass es besser und nachhaltiger ist, wenn die Landwirtschaft durch eigene Leistung leben kann und nicht länger am Subventionstropf hängt. Die ZKL hat sich daher auch für die Umwandlung der bisherigen Direktzahlungen ausgesprochen. Mit den Geldern sollen künftig zielgerichtet ökologische Leistungen der Betriebe honoriert werden. Umwelt- und Naturschutzleistungen werden so von einer lästigen Auflage zu einem Einnahmezweig, der auf den einzelnen Betrieben ausgebaut werden kann.

Damit sind wir bei der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Deutschland kann ja nicht alleine umsteuern.

Es ist schon jetzt einiges möglich. So enttäuschend die jüngsten EU-Beschlüsse waren, in der nationalen Umsetzung wurde der Spielraum von Bund und Ländern noch nicht ausgeschöpft. Außerdem hat die Bundesregierung in Brüssel eine starke Stimme. Sie muss den Systemwechsel mit Priorität angehen, damit er in der Vorbereitung des nächsten Mehrjahresplans Wirklichkeit wird.

Ein EU-Ziel lautet "Landschaftsstrukturelemente, Saumstrukturen und nichtproduktive Flächen" auf mindestens zehn Prozent der Agrarfläche.

Der NABU propagiert das schon lange. Unsere Offenlandschaften sind zu ausgeräumt. Die Diskussion in der Zukunftskommission wurde nicht so sehr darüber geführt, ob das erforderlich ist, sondern darum, wie die Finanzierung organisiert werden kann.

Die Kommission möchte mehr "kooperative Organisation von Agrarumweltmaßnahmen". Was ist damit gemeint?

Bisher werden Lerchenfenster, Blühstreifen und ähnliches meist auf Ebene einzelner Betriebe angelegt und kontrolliert. Der bürokratische Aufwand ist hoch und manchem Betrieb fehlt zudem die Ausrüstung. Durch größere Zusammenschlüsse bei Agrarumweltmaßahmen soll das effektiver werden. Auch die örtlichen Naturschützer*innen sollen mit einbezogen werden, was bisher kaum der Fall ist. Das wird das gegenseitige Verständnis ebenso verbessern wie die Ergebnisse.

Mit der Abgabe der Empfehlungen ist die Arbeit der ZKL offiziell beendet. Wie geht es weiter?

Auf jeden Fall werden wir im Oktober, nach der Bundestagswahl, noch Politiker*innen einladen, um unsere Vorstellungen zu erläutern und zu diskutieren. Ich zitiere mal Prof. Peter Strohschneider, ZKL-Vorsitzender und langjähriger Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft: "Wir haben ein äußerst strittiges Spannungsfeld systematisch sortiert. Wenn mögliche Koalitionäre diese Vorarbeit nutzen wollen, können sie sich viel Arbeit sparen."

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"Übernutzung von Natur und Umwelt"

So steht es um die deutsche Landwirtschaft.

Die von der Bundesregierung eingesetzte Zukunftskommission Landwirtschaft bildeten 32 Vertreter*innen aus (Land-) Wirtschaft, Wissenschaft und Umweltschutz. Am 6. Juli übergab Sie die Ergebnisse ihrer Arbeit an die Bundeskanzlerin. Aus dem einstimmig verabschiedeten Abschlussbericht:

→ (...) Mit stetigen Produktionssteigerungen hat die Landwirtschaft ein starkes Wachstum der Bevölkerung ermöglicht. Gleichzeitig hat sie die Versorgung dieser Bevölkerung mit Nahrung immer zuverlässiger und für die Haushalte immer günstiger gemacht. Daraus resultiert zu großen Teilen das, was heute allgemein als Wohlstand wahrgenommen wird: Große Teile der Ausgaben des Staates, der Wirtschaft und der Haushalte sind für andere als Ernährungszwecke verfügbar.
Die Kehrseite dieses Fortschrittes sind Formen der Übernutzung von Natur und Umwelt, von Tieren und biologischen Kreisläufen bis hin zur gefährlichen Beeinträchtigung des Klimas. Gleichwohl steckt die Landwirtschaft auch ökonomisch in einer Krise. Verschiedene (...) Faktoren haben zu Wirtschaftsweisen geführt, die weder ökologisch noch ökonomisch und sozial zukunftsfähig sind.

→ (...) Die Landwirtschaft [ist] immer weniger in der Lage, in ökologisch verträglichen Stoffkreisläufen innerhalb der Belastungsgrenzen der natürlichen Ressourcen zu wirtschaften. Angesichts der externen Kosten, die die vorherrschenden Produktionsformen mit sich bringen, scheidet eine un-veränderte Fortführung des heutigen Agrar- und Ernährungssystems aus ökologischen und tierethischen, wie auch aus ökonomischen Gründen aus.

→ Das Agrar- und Ernährungssystem (...) steht mitten in jenem globalen Wandel, welcher unsere Zivilisation zur Gänze erfasst hat, sowie am Beginn eines durchgreifenden Transformationsprozesses. Für diesen gibt es aus Verantwortung für heutige wie künftige Generationen nur eine sehr knappe Frist. Fest steht dabei: Der Umbau ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Ökologisches Handeln muss in betriebs- und volkswirtschaftlichen Erfolg umgesetzt werden und so auch soziale Anerkennung begründen.

→ (...) Das Agrar- und Ernährungssystem muss deswegen so angelegt sein, dass die Steigerung der positiven Wirkungen und die Vermeidung schädlicher Effekte auf Klima, Umwelt, Biodiversität, Tierwohl und menschliche Gesundheit im unternehmerischen Interesse der landwirtschaftlichen Produzent*innen liegen können. Die Politik ihrerseits muss diese Entwicklung befördern und beschleunigen.

→ Ziel muss es sein, dass die Landwirtschaft (...) ihre Möglichkeiten für positive Beiträge ausschöpft, um die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. So muss der Ausbau landwirtschaftlicher Treibhausgassenken (Moore, Humus) umgehend deutlich gesteigert und attraktiv gestaltet werden. Nicht weniger wichtig ist die Schaffung stabiler Agrarökosysteme, der Erhalt und die Bereitstellung biodiversitätsfördernder Strukturen und Landschaftselemente in ausreichendem Umfang (...)."

Den kompletten 188-seitigen Bericht
gibt es als Download unter www.NABU.de/ZKL

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Blick voraus in das Jahr 2030

Erholung der Natur oder Ökosystem-Kollaps?

Auch wenn sich im Rahmen der Zukunftskommission Landwirtschaft (ZKL) viele gesellschaftliche Akteur*innen auf ein "so kann es nicht weitergehen" verständigt haben, bleibt offen, welcher Weg von der Politik tatsächlich eingeschlagen werden wird. Um die Konsequenzen von Handeln und Nicht-Handeln zu verdeutlichen, wurden in der ZKL verschiedene Szenarien entwickelt. Hier eine Zusammenfassung zum Zustand der Biodiversität im Jahr 2030 für zwei dieser Szenarien:

Szenario A:
Vorwiegend gesellschaftlich getragener Wandel.
2030 sind Schutz und Förderung der Biodiversität ein zentrales gesellschaftliches Thema, eine Trendwende hat stattgefunden. Die Bedeutung der Agrobiodiversität wird zunehmend wahrgenommen, insbesondere ihre Rolle bei der Bereitstellung von Ökosystemdienstleistungen.
Die optimale Kombination verschiedener Möglichkeiten führt dazu, dass Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität greifen und der Trend des Artensterbens der letzten Jahrzehnte unterbrochen worden ist. Viele Arten konnten sich aus noch vorhandenen Restpopulationen regenerieren, ehemals zerstörte Lebensräume wurden wieder aufgewertet. Die Bereitstellung von Ökosystemleistungen wie Bestäubung, SchadorganismenRegulation oder auch Erholungswert ist stabil und wird ständig ausgebaut.
Die Landwirtschaft trägt erheblich zu dieser Entwicklung bei, da einerseits wirtschaftliche Anreize zielgerichtet ausgebaut wurden und gleichzeitig Innovationen genutzt werden, um ressourcenschonender zu wirtschaften und schädliche Praktiken zu ersetzen. Zulassungsbedingungen für Pestizide sind einerseits angepasst worden, andererseits werden jedoch auch viele andere Wege des Pflanzenschutzes eingesetzt.

Bei einem "weiter wie bisher" droht in der Agrarlandschaft der weitgehende Zusammenbruch der biologischen Vielfalt.

Szenario B:
Weitgehend unveränderte Rahmenbedingungen.
Die Maßnahmen zur Förderung der Biodiversität wurden weitgehend fortgesetzt, haben jedoch kaum Wirkung gezeigt, sodass sich das Artensterben weiter fortgesetzt hat. Die Zunahme einiger Tierarten - zum Beispiel Störche - täuschte dabei zunächst über den allgemeinen Trend hinweg. Es zeigt sich jedoch immer mehr, dass Kipppunkte überschritten sind und Quellpopulationen zum Wiederaufbau von Populationen wegfallen.

Ökosystemleistungen versagen in einigen Regionen, zum Beispiel Verlust von Bestäubungsleistung. Dieser Verlust wird teilweise durch den Einsatz von technischen Systemen (Drohnen für die Bestäubung) ersetzt, dies ist jedoch nur sehr eingeschränkt erfolgreich. Gleichzeitig kommt es gerade durch den Einsatz technischer Lösungen zum Verlust von weiteren Ökosystemleistungen und der landwirtschaftliche Raum verliert an Attraktivität als Erholungsraum. Eine radikale Verschärfung, einhergehend mit einem sehr weitgehenden Zusammenbruch der biologischen Vielfalt und dem Ausfall von Systemdienstleistungen ist ebenfalls vorstellbar. Schädlingsexplosionen, Pandemien oder die Einwanderung von Arten aus anderen Weltregionen könnten eine massive Verschiebung des Artenspektrums auslösen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Braunkehlchen
- Auf der Hälfte der deutschen landwirtschaftsfläche wird Futter für die Tierhaltung angebaut. Verringern wir den Fleischkonsum, lassen sich Äcker und Wiesen schonender bewirtschaften.

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Quelle:
Naturschutz heute - Herbst 2021, Seite 40-42
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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E-Mail: Naturschutz.heute@NABU.de
Internet: www.naturschutz-heute.de
Herausgeber: NABU, 10108 Berlin
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E-Mail: NABU@NABU.de
Internet: www.NABU.de
 
"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick zum 7. Dezember 2021

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