Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → LANDWIRTSCHAFT

TIERE/102: Ein tierischer Konflikt - Mega-Schweinemastanlage in der Uckermark (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 152 - Oktober/November 09
Die Berliner Umweltzeitung

Ein tierischer Konflikt
In der Uckermark soll eine Mega-Schweinemastanlage neu erstehen

Von Martin Sprenger


Haßleben ist eine kleine Gemeinde von 750 Einwohnern im Norden Brandenburgs, eingebettet in die seenreiche, hügelige Landschaft der Uckermark. Seit nunmehr sieben Jahren spaltet ein tierischer Konflikt die Region in zwei Lager: die Bürgerinitiativen Pro und Kontra Schwein.

Anlass dafür sind die Pläne des holländischen Investors Harrie van Gennip, welche die Wiederinbetriebnahme der dortigen, 1991 geschlossenen Schweinemastanlage vorsehen. Nach den Vorstellungen des Investors sollen hier zukünftig auf einer Fläche von 98 Hektar 67.000 Schweine gezüchtet werden.

Diese Pläne wirken noch bescheiden im Vergleich zur früheren Nutzung des Geländes.

Zwischen 1978 und 1991 wurden hier pro Jahr durchschnittlich 136.000 Nutztiere gehalten. Damit galt Haßleben als das viehwirtschaftliche Vorzeigeobjekt der DDR.

Direkt nach 1989 wurde die Anlage jedoch prompt geschlossen. "Erhebliche Bedenken aus Umweltschutzgründen" lautete die Begründung der Verantwortlichen.

Für die Verwaltung der ehemaligen DDR war das durchaus nichts Neues. "Zu den vorgesehenen Standortvarianten bei Hassleben muss aus unserer Sicht gesagt werden, dass sie wasserwirtschaftlich als sehr ungünstig angesehen werden müssen", so die militärische Territorialverwaltung der DDR.

Nachdem Boden, Bäche, Seen und Grundwasser nach zehnjähriger Begüllung also recht gründlich vergiftet worden waren, konnte die Region nach Schließung der Anlage endlich aufatmen und sich langsam (sehr langsam) regenerieren.

Wohl gab es im Laufe der Jahre immer wieder Versuche zur Wiederinbetriebnahme der Schweinemastanlage durch verschiedenste Investoren, doch scheiterten diese zumeist aus finanziellen Gründen. So wurde es allmählich ruhiger um Haßleben.


Arbeitslosenquote 28 Prozent

Doch horch!

Im Jahre 2002 fand sich ein neuer Investor. Harrie van Gennip schienen weder die finanziellen, noch die ökologischen Schrecken einer Reanimierung der Mega-Anlage zu beeindrucken. Was unterscheidet diesen Herrn von seinen Vorgängern? Zunächst einmal hat er ein paar sehr schlaue und handfeste Argumente und Vorstellungen für sein Projekt. Eines der großen Schlagworte, dass wohl auch die relativ große Zahl seiner Anhänger aus der Region erklärt: Arbeitsplätze. Mit einer regionalen Arbeitslosenquote von 28 Prozent lagen Haßleben und Umgebung 2005 deutlich über den bundesweiten 12 Prozent. Van Gennip weiß das, und so verspricht der Investor mindestens 54 neue Arbeitsplätze.

Angesichts der geplanten 67.000 Tiere und der Tatsache, dass den umliegenden Kleinbauern mit ihren viel kleineren Viehbeständen durch solche Mega-Anlagen die Lebensgrundlage regelrecht entzogen wird, wirkt ein Versprechen über 54 neue Arbeitsplätze allerdings eher kläglich.

Tatsache ist, dass Massentierhaltung unter hohem Aufwand technischer Hilfsmittel und mit möglichst wenig Personal- und Zeitaufwand passiert, um Kosten einzusparen und hohe Gewinne zu erwirtschaften. Des Weiteren erwartet van Gennip eine "Zusammenarbeit mit anderen Wirtschaftszweigen der Region infolge der Investition." Welche etwaigen Synergien in welchen Wirtschaftszweigen zu erwarten sind, bleibt jedoch unklar.

So sind es doch eher gängige monotone Phrasen, mit denen für die Wiederinbetriebnahme der Anlage geworben und auf recht plumpe Art versucht wird, von den Problemen des Vorhabens abzulenken. Diese werden recht höflich ausgeklammert oder banalisiert. Auf Fragen nach etwaigen umweltschädlichen Konsequenzen reagiert van Gennip abwiegelnd und schwammig. "Wir machen die Sachen anders als früher, wir setzen neueste Technik ein. Deswegen wird es nur wenige Probleme geben."

Aber was ist nun eigentlich konkret gegen die Pläne des holländischen Investors einzuwenden?


Hundesitz, Leerkauen und Stangenbeißen

Hier wollen wir uns einmal mit den Lebensbedingungen unserer kringelschwänzigen Freunde befassen, die, ganz nach Wesensart der Massentierhaltung, signifikant grauenvoll sind.

Das gemeine Mastschwein verbringt sein ganzes Leben auf engstem Raum - etwa 0,5 Quadratmeter pro Tier-, ohne Tageslicht, ohne Frischluft und unter übelsten hygienischen Bedingungen. Auf nacktem Betonspaltenboden stehen die Tiere eng zusammengepfercht und fressen sprichwörtlich genau da, wo sie scheißen.

Da Schweine über einen besonders sensiblen Geruchssinn verfügen, bedeutet es ihnen eine besondere Drangsal, den ganzen Tag lang über ihren eigenen Exkrementen zu stehen. Weil ihnen jedweder Bewegungsfreiraum fehlt, weisen die Tiere enorme durch Stress bedingte Verhaltensstörungen auf. Aggressives bis apathisches und schockähnliches Verhalten ist eher Norm als Ausnahme. So sieht man häufig Tiere mit angefressenen oder gänzlich abgerissenen Ohren und Ringelschwänzen.

Auch kann man die verstörten Tiere dabei beobachten, wie sie grundlos in die Gitterstäbe ihrer Boxen beißen, mit leeren Mäulern kauen und eher untypisch für Schweine auf dem Hinterteil sitzen.

Zudem leiden die Tiere an einer Reihe von körperlichen Erkrankungen, zum Beispiel durch die Gase der Exkremente verursachte Lungenerkrankungen oder schmerzhafte Gelenkverletzungen, verursacht durch den rauen Spaltenboden. Doch erhalten die Tiere keinerlei medizinische Behandlung, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Üblicherweise werden Beruhigungsmittel dem Futter beigemengt. Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Mastschweins ist direkt an sein so genanntes Schlachtgewicht von 100-110 kg gebunden und beträgt ungefähr 6-7 Monate. Das Geburtsgewicht eines Ferkels hingegen liegt bei etwa 1,5 kg, was eine durchschnittliche Gewichtzunahme von 16 kg pro Monat bedeutet. Das althochdeutsche Wort Mast bedeutet ja schließlich auch: Das von Fett Triefende. Man muss hier von Tierquälerei im großindustriellen Rahmen sprechen.

Glücklicherweise jedoch haben wir in unserem schönen Land ein ausführlich ausformuliertes Tierschutzgesetz, dessen Grundsatz wie folgt lautet:

§ 1 Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen." Schön gedacht... Wirtschaftliche Profitgier geht leider über Tier, Ethik und Gesetz.


Gülle, Gülle und noch mehr Gülle

Bei einem Schweinemastbetrieb in der geplanten Größenordnung von Haßleben fallen pro Jahr etwa 150.000 Tonnen Gülle an. Obwohl Gülle ideal und auch notwendig zum Düngen von Agrarnutzflächen ist, können solch gigantische Mengen unmöglich ausgebracht werden, ohne umliegende Wälder, Wiesen, Bäche und Seen nachhaltig zu schädigen.

Es entsteht ein Überschuss an Magnesium, Kalium, Phosphor und Stickstoff im Boden, der je nach Grad der Überdüngung bis ins Grundwasser vordringen kann. An die Begüllungsflächen angrenzende Seen und Fließgewässer sind ebenso stark betroffen. Eine Überproduktion von Algen und Fischsterben sind die Folgen.

Nicht zu vergessen ist auch der bestialische Gestank, der aus den Ställen zieht. Mensch und Tier gleichermaßen wird so einiger Ekel abgenötigt, wenn das angesichts der erwähnten ökologischen Folgen auch vergleichsweise belanglos erscheint.


(Zu viel) Schweinefleisch für alle

Angesichts der offensichtlichen Tierquälerei und den katastrophalen Folgen für Natur und Umwelt stellt man sich die Frage: Wie viel Fleisch braucht der Mensch eigentlich und ist eine solche Mega-Mastanlage selbst nach rein ökonomischen Gesichtspunkten überhaupt noch vertretbar?

In Deutschland werden jährlich über 7 Millionen Tonnen Fleisch erzeugt. 59 Prozent davon sind Schweinefleisch. Pro Kopf werden in Deutschland jährlich durchschnittlich 8,4 kg Rind- und Kalbfleisch, 0,7 kg Schaf- und Ziegenfleisch, 10,5 kg Geflügel und 39,2 kg Schweinefleisch verzehrt. In Deutschland verzeichnen wir eine Produktionsauslastung bei Schweinefleisch von 98 Prozent. Europaweit gibt es eine deutliche Überproduktion an Schweinfleisch von 107 Prozent.

Und der Überschuss? Was passiert, wenn die eigenen Märkte übersättigt, ja die Bäuche quasi voll gestopft sind mit Schweinefleischprodukten aller Art? Es wird entweder vernichtet oder aber durch enorme Subventionen der Herstellerländer im Preis so weit gedrückt, dass es zu Spottpreisen auf dem Weltmarkt abgesetzt werden kann.

Das hat vor allem für die so genannten Entwicklungs- und Schwellenländer katastrophale ökonomische Folgen, nämlich Wettbewerbsnachteile und daraus resultierend Arbeitslosigkeit.


Nicht nur in Haßleben

Wie auch immer man den exemplarischen Fall Haßleben betrachtet, kommt man nicht um eine der überstrapazierten Platitüden herum: Das Vorhaben des Investors van Gennip ist eine Riesen-Schweinerei, die weder der Region noch den Menschen und schon gar nicht der sus scrofa domestica zum Vorteil gereicht, sondern ausschließlich van Gennip selbst. Er kann bei minimalen Produktionskosten eine maximale Gewinnspanne erreichen.

Man mache sich aber keine Illusionen darüber, dass van Gennip der einzige seiner Art sei, der mit derartigen Vorhaben versucht, ländlichen Regionen wie der Uckermark wirtschaftlich "aus der Patsche zu helfen."

Die Gebrüder Nooren beispielsweise planen in Allstedt im Saalekreis eine Schweinemastanlage mit einer Kapazität von 95.000 Tieren. Der Wahnsinn gipfelt in dem wohl ehrgeizigsten Projekt in Sachen Massentierhaltung: Adrian Straathof plant derzeit in der Gemeinde Alt-Tellin nahe Greifswald mit 250.000 Ferkeln pro Jahr den größten Ferkelzuchtbetrieb Europas.

Die Gemeinde Haßleben sollte jedoch besonders im Augenmerk der Öffentlichkeit stehen, denn in nicht allzu ferner Zukunft werden die zuständigen Behörden über die künftige Nutzung des Geländes entscheiden.

Werden die Anträge des Investors bewilligt, wäre das ein erneuter Schlag ins Gesicht von Tierschützern, Ökologen und nicht zuletzt in das von Mutter Natur.

www.kontraindustrieschwein.de
www tierschutzbund.de
www. die-tierfreunde.de


*


Quelle:
DER RABE RALF - 20. Jahrgang, Nr. 152, Oktober/November 09, S. 6-7
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.grueneliga-berlin.de/raberalf

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2009