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UMWELTSIEGEL/035: Zertifizierung von Biokraftstoffen in kritischer Phase (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2010
2010 Entscheidungsjahr für die Biologische Vielfalt

Der leichteste Weg führt immer bergab
Zertifizierung von Biokraftstoffen in kritischer Phase

Von László Maráz


Kaum ist das jahrelange Gezerre um die richtigen Beimischungsquoten und Nachhaltigkeitskriterien vorbei, könnte der Streit um die Zertifizierung flüssiger Biokraftstoffe in eine neue Runde gehen. Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) hat zwar inzwischen dem Zertifizierungssystem ISCC und sechs Zertifizierungsstellen die vorläufige Anerkennung erteilt. Doch die Verbände der Agrarwirtschaft wollen nun ein eigenes Zertifizierungssystem gründen. Offen ist, ob es gelingt, bis zum 1. Juli 2010 die erforderlichen Mengen zu zertifizieren, wie es der Gesetzgeber vorsieht.

Schon fordern einige der Akteure längere Übergangsfristen und Ausnahmeregeln. Zu allem Überfluss könnte nun auch die Europäische Kommission dafür sorgen, dass die Regeln verwässert werden: Ein Kommissions-Vorschlag sieht vor, dass Ölpalmenplantagen einfach als Wald umdeklariert werden können.

Am 18. Januar 2010 hatte die BLE eines der ersten marktreifen Zertifizierungssysteme vorläufig anerkannt, das übergreifend für alle Agrarrohstoffe angewendet werden kann. Das "International Sustainability and Carbon Certification" (ISCC) wurde von der Beraterfirma Meó Consult mit Förderung des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMELV) und der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) entwickelt. Der WWF Deutschland begrüßte dies als wichtigen Schritt für die Erfüllung der deutschen Nachhaltigkeitsverordnungen für flüssige Biomasse und Biokraftstoffe.

"Ab sofort kann die Nachhaltigkeit von Produkten besser ausgewiesen werden", erklärte Martina Fleckenstein, Leiterin Agrarpolitik des WWF Deutschland. "Vor allem die ökologischen und sozialen Aspekte bei der Herstellung von Biokraftstoff für den Tank oder flüssiger Biomasse für die Stromproduktion sind mit dem ISCC-Kriterienkatalog nachvollziehbar." Entlang der gesamten Wertschöpfungskette würden auch die Treibhausgasemissionen bilanziert und in dem Zertifikat mit aufgeführt. Dies ermögliche eine fundierte Aussage über die tatsächliche Klimafreundlichkeit einzelner Produkte, die eine Entscheidung über das Für und Wider der Bioenergienutzung stark beeinflussen.

Der WWF sieht den entscheidenden Vorteil des ISCC gegenüber anderen Zertifizierungssystemen in der Anwendbarkeit Anwendbarkeit auf jegliche Formen von Biomasse. Damit ist die Grundlage für die Zertifizierung aller Agrarrohstoffe und nicht nur der Biomasse für energetische Zwecke gelegt. Spätestens ab dem 01. Juli 2010 müssen Unternehmen, die entweder eine Vergütung im Rahmen des EEG oder eine Anrechnung auf die Biokraftstoffquote erreichen wollen, die Nachhaltigkeit ihrer Rohstoffe mit Hilfe von Nachhaltigkeitsnachweisen dokumentieren.

Natürlich gibt es auch Kritik. So sind etwa gentechnisch manipulierte Rohstoffe nicht ausgeschlossen und das System hatte nur zurückhaltend über die Pilotvorhaben informiert, in denen es zunächst getestet wurde. Doch immerhin geht man bei den Kriterien über die Minimalanforderungen der Nachhaltigkeitsverordnungen hinaus.

So müssen etwa im sozialen Bereich Gewerkschaftsfreiheit oder Mindestlöhne nachgewiesen werden. Negative Auswirkungen auf die örtlichen Lebensmittelpreise sollen ausgeschlossen sein, wobei unklar ist, wie der Nachweise zu erbringen ist. ISCC besteht aus der ISCC System GmbH und dem ISCC Verein e.V., bei letzterem ist allerdings außer dem Agrarsektor (z.B. dem VDB und den Firmen Cargill, Bunge und Alfred C. Töpfer International) bislang nur die Umweltstiftung WWF als Mitglied beteiligt.


Wettlauf der Systeme beginnt

Der Wettlauf der Systeme hat inzwischen begonnen. So berichtet die TAZ Berlin darüber, dass die ersten Getreidehändler und Ölmühlen zurzeit Zertifikate beantragen, die ihre Rohstoffe als nachhaltig produziert auszeichnen. Ab dem 1. Juli 2010 dürfen die Mineralölkonzerne dem fossilen Dieselkraftstoff nur noch zertifiziertes Pflanzendiesel hinzufügen, um die vorgeschriebene Beimischungsquote von 6,25 Prozent zu erfüllen. "Die Betriebe stehen Schlange", sagt Jan Henke von der Kölner Beratungsfirma Meó, die das vorläufig einzige zugelassene Zertifizierungssystem ISCC umsetzt. Rund 2.500 Betriebe aller Verarbeitungsstufen müssen bis Juli in Deutschland zertifiziert werden.

Ob sich das ISCC System am Markt durchsetzen wird, bleibt offen. Denn schon wurde eine weitere Zertifizierungsinitiative gestartet. So haben Verbände der deutschen Agrarwirtschaft (u.a. der Deutsche Bauernverband und der Biokraftstoffverband VDB), Ende Februar das Zertifizierungssystem REDcert GmbH gegründet. Der Name RED leitet sich dabei aus der zugrundeliegenden europäischen Erneuerbare-Energien-Richtlinie ab (Renewable Energy Directive) ab. Interessant ist, dass hier auch Verbände mitwirken (wie z.B. der Verband der ölsaatenverarbeitenden Industrie in Deutschland OVID oder der VDB), die im ISCC System und Verein eine führende Rolle spielen.

Nun also steht zu befürchten, dass dieses System mit niedrigeren Standards arbeiten könnte. Legal wäre dies allemal, solange die Kriterien der Nachhaltigkeitsverordnungen erfüllt werden. So gibt es bereits Anzeichen dafür, dass die Agrarwirtschaft versucht, mit Übergangsfristen und Ausnahmeregelungen die ohnehin schwachen Kriterien der Nachhaltigkeitsverordnungen zu umgehen.

Die Industrie fordert Fristverlängerungen und gibt zu bedenken, eine Nachhaltigkeitszertifizierung sei bis Juli kaum umsetzbar. Allein 2000 landwirtschaftliche Betriebe müssten überprüft werden, in der nachfolgenden Verarbeitungsstufe seien es noch 560 Betriebe, sagt Dieter Bockey von der Union zur Förderung von Energiepflanzen (UFOP). "Es muss reichen, dass sich die Unternehmen bei einem Zertifizierer angemeldet und damit Handlungsbereitschaft signalisiert haben", sagt Bockey. Andreas Schütte von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) sieht dies allerdings etwas anders. Es werde zwar eine Herausforderung, für den Start eine ausreichende Menge an zertifiziertem Rapsöl zur Verfügung zu stellen. Zertifiziertes Palm- und Sojaöl gebe es aber in ausreichenden Mengen.

Während das Umweltministerium eine Fristverlängerung ausschließt, scheint das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMELV) den Anliegen der Agrarwirtschaft mehr zugeneigt zu sein. Man wolle erst erstmal beobachten, ob es Schwierigkeiten gebe. Die EU-Nachhaltigkeitsverordnung dürfe kein Wettbewerbsnachteil für deutsche Bauern werden, schließlich sei Deutschland das einzige Mitgliedsland, das die Zertifizierungspflicht schon Mitte des Jahres umsetze.


EU-Kommission agiert kontraproduktiv

Nach Auffassung von Befürwortern könnte die Zertifizierung von Bioenergierohstoffen ein wichtiger Schritt zur Einführung von Nachhaltigkeitsstandards für alle Agrarprodukte werden. Dafür sprechen sich auch Agrarverbände, Abgeordnete der Regierungsparteien und das BMELV aus. Wie das allerdings umzusetzen wäre, dazu gibt es noch keine Vorstellungen. Gut möglich, dass manche solche Forderungen auch deshalb unterstützen, weil sie wegen der mangelnden Umsetzbarkeit unrealistisch und darum folgenlos bleiben könnten. Und die neuesten Aktivitäten der Europäischen Kommission lassen das Schlimmste befürchten: per Federstrich sollen Ölpalmen-Plantagen zu Wald umdeklariert werden.[1] Zwar rechnet die Welternährungsorganisation FAO seit Jahren in ihrem Waldbericht auch solche Plantagen zur bewaldeten Fläche und versucht dadurch, eine Verlangsamung der Entwaldung zu belegen. Doch immerhin sind solche Flächen noch als Plantagen gekennzeichnet.

Hermann Edelmann von der Münchner Organisation Pro REGENWALD zeigt sich schockiert von solchen Initiativen. "Wozu haben wir uns all die Jahre für bessere Nachhaltigkeitskriterien für Agrotreibstoffe eingesetzt, wenn die Kommission mit solchen Tricks das ganze Vorhaben zunichte machen droht?


Glaubwürdigkeit der Biokraftstoffpolitik steht auf dem Spiel

Am 8. März haben einige Umweltverbände die Kommission verklagt, weil diese seit Monaten die Herausgabe von Studien zu den Auswirkungen von indirekten Landnutzungsänderungen durch den Biomasseanbau zurückhält. Die Erkenntnisse sind aber für die Einschätzung und Berechnung der Treibhausgaseinsparungen wichtig, die durch die Erzeugung und Nutzung von Biokraftstoffen erzielt werden können. So verursacht etwa die Nutzung von Ethanol aus Zuckerrohr zwar nur einen Bruchteil der Emissionen an Treibhausgasen wie die Verbrennung der gleichwertigen Menge an Benzin. Doch dies gilt nur, wenn man die indirekte Landnutzungsänderung nicht einrechnet. Welche Klimaschäden verursacht der Landwirt, der seine Viehzucht wegen der Ausweitung des Zuckeranbaus in den Amazonasregenwald verlagert hat?

Die vehementen Kritiker der Bioenergienutzung könnten Recht bekommen, wenn die Nachhaltigkeitsanforderungen für Biokraftstoffe verwässert werden. Wenn die Europäische Kommission oder gar die Bundesregierung das ohnehin ramponierte Ansehen von Biokraftstoffen aufs Spiel setzen, stehen nicht nur die Klimaschutzziele auf dem Spiel.

Der Autor ist Koordinator der Plattform nachhaltige Biomasse.


[1] European Commission/BI (19) 381/2009 Draft: Communication from the Commission to the Council and the European Parliament on the practical implementation of the EU biofuels and bioliquids sustainability scheme and on counting rules for biofuels (http://www.foeeurope.org/agrofuels/ EC_implementation_sustainability_scheme.pdf)


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2010, S. 27-28
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2010