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EUROPA/059: EU-Deregulierung - Angriff auf NATURA2000 droht (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1060, vom 22. März 2015 - 34. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

EU-Deregulierung: Angriff auf NATURA2000 droht


Als eine ihrer wichtigsten Vorhaben hat die neue EU-Kommission die Deregulierung und Entbürokratisierung auf ihre Agenda gesetzt. Ins Visier hat die Kommission dabei als erstes die NATURA2000-Richtlinien genommen - also die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH) und die Vogelschutzrichtlinie. Die Schutzgebiete nach der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie bilden zusammen das NATURA2000-Netzwerk, das quer durch die EU die Naturräume vernetzen soll. Die beiden Richtlinien sollen damit EU-weit die Bewahrung der Artenvielfalt (Biodiversität) von Finnland bis Portugal gewährleisten Die NATURA2000-Richtlinien will die Kommission jetzt einem "Fitness-Check" unterwerfen. Diese Überprüfung soll dazu dienen, die beiden Richtlinien zu einem "modernen" Naturschutzrecht weiterzuentwickeln. Das ist die offizielle Lesart.

Bei einem Meeting des Bundesarbeitskreises Wasser des BUND wurde dagegen vermutet, dass die EU-Kommission die beiden Richtlinien glattbügeln will. Denn die FFH-Richtlinie und die Vogelschutzrichtlinie sind der Schrecken aller Autobahnbauer und sonstiger Natur-Plattmacher. Wer Beton durch hochwertige Naturschutzgebiete ziehen will, fühlt sich durch die NATURA-Richtlinien arg gehemmt. Und weil für die EU-Kommission Wirtschaftswachstum prioritäres Ziel ist, müssen derartige Hemmnisse minimiert werden. In Vorbereitung auf die NATURA2000-Deregulierung will die Kommission über ein Fachbüro zunächst in den Mitgliedsstaaten die Erfahrungen bei der Umsetzung der NATURA2000-Richtlinien abfragen lassen. In Deutschland wurde dazu ab Januar 2015 begonnen, das Bundesumweltministerium, ein weiteres Ministerium, einen Umweltverband sowie einen zweiten Lobbyverband zu befragen.

Im Anschluss an diese Befragungen soll in zehn Mitgliedsstaaten die jeweilige NATURA 2000-Umsetzung im Detail untersucht werden. Und dann steht ab April 2015 eine öffentliche Internet-Konsultation auf der Zeitschiene. Im Rahmen der Konsultation kann jede Bürgerin und jeder Bürger in der EU an Hand einer internetbasierten Frageliste seine Meinung zur FFH- und zur Vogelschutz-Richtlinie an die Kommission übermitteln. Anschließend sollen auf einer Fitness-Check-Konferenz am 29.09. 15 die Befragungs- und Konsultationsergebnisse vorgestellt werden. Auf der Basis der Konferenzergebnisse ist anschließend vorgesehen, ab 2016 eine "Öffnung" der beiden Richtlinien in Angriff zu nehmen. Innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten wird vor allem Großbritannien und den Niederlanden der Wille attestiert, das Aufweichen der NATURA2000-Richtlinien voranzutreiben.

Wie auf der BUND-Konferenz in Fulda ferner berichtet wurde, sollen auch Teile der Industrie hinter der angestrebten NATURA-Deregulierung stehen - allerdings die »unklugen« Teile der Industrie, die nicht kapiert hätten, dass eine Aufweichung der bestehenden Richtlinien einen eklatanten Verlust an Rechtssicherheit zur Folge haben würde. Denn in der Praxis dürfte es kaum gelingen, bei der Weiterentwicklung der NATURA-Schutzgebiete die komplexe Anwendung der "alten" Richtlinien und der deregulierten Bestimmungen der "modernisierten" Richtlinien rechtssicher zu gestalten.

Nach NATURA2000 kommt die Wasserrahmenrichtlinie in die Schusslinie

In Fulda bei der BUND-Konferenz sowie am 19. Febr. 2019 bei einem Verbändeseminar zur EG-Wasserrahmenrichtlinie in Hannover wurde ferner gemutmaßt, dass der Angriff auf die beiden NATURA2000-Richtlinien auch die Umsetzung der EG-Wasserrahmenrichtlinie in Mitleidenschaft ziehen könnte. Denn 702 FFH-Gebiete würden vollständig oder teilweise innerhalb der rezenten Flussauen liegen! Zudem hätten die FFH-Gebiete eine wichtige Pufferfunktion für die Gewässer und damit letztlich auch für den Schutz des Trinkwassers, das indirekt via Uferfiltrat aus den Flüssen gefördert wird. Darüber hinaus könnten die Gewässer ihre Vernetzungsfunktion nur wahrnehmen, wenn die NATURA-Schutzgebiete entlang der Gewässer intakt seien ("Grüne Infrastruktur"; s. RUNDBR. 875/1-2). Der Angriff auf NATURA2000 sei damit auch als "Generalangriff auf den Gewässer- und den Wasserschutz" zu werten. Ferner wurde die Befürchtung geäußert, dass nach NATURA2000 im Rahmen der angestrebten Deregulierung auch die anderen EU-Umweltschutz- und Beteiligungsrechte unter die Räder kommen könnten. Bereits jetzt sei vorgesehen, die Wasserrahmenrichtlinie ab dem Jahr 2017 ebenfalls einem "Fitness-Check" zu unterwerfen. In nicht wenigen Lobbygruppierungen würde auch die Wasserrahmenrichtlinie als wachstumshemmendes Relikt aus dem letzten Jahrhundert betrachtet (s. RUNDBR. 1037/1-2, 811/2)

Der BUND plant eine NATURA2000-Kampagne mit dem Motto "Ein Recht auf Natur!"

Weitere Auskunft:
Magnus J. K. Wessel
Leiter Natur- und Wasserschutzpolitik
BUND - Bundesgeschäftsstelle, Berlin
Fon: 030 - 275 86 - 543
Mail: Magnus.Wessel@bund.net

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1060
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2015

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