DNR
Deutscher Naturschutzring
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen
EU-News | 10.11.2023
Natur wiederherstellen: Vorläufige Einigung steht
Aufforsten, renaturieren, wiedervernässen: Donnerstagnacht haben Rat, Parlament und Kommission eine Einigung über die Naturwiederherstellungsverordnung (NRL) erzielt. Eine formale Bestätigung steht aber noch aus. Umweltverbände reagieren verhalten positiv, beklagen aber "Schlupflöcher".
Das lange Ringen um Kompromisse hat ein vorläufiges Ende gefunden. Bis 2030 sind mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresflächen der EU (flächenbezogenes Ziel) und bis 2050 alle sanierungsbedürftigen Ökosysteme wiederherzustellen. Für jedes der in der NRL aufgelisteten Ökosysteme - von landwirtschaftlichen Flächen und Wäldern bis hin zu Meeres-, Süßwasser- und städtischen Ökosystemen - werden außerdem spezifische, rechtsverbindliche Ziele und Verpflichtungen für die Naturwiederherstellung festgelegt (habitatbezogene Ziele).
Der Chefverhandler und Berichterstatter César Luena (S&D, Spanien) nannte die Einigung einen "bedeutsamen kollektiven Moment", schien doch das gesamte Gesetzeswerk zwischendurch auf der Kippe zu stehen, weil Konservative und Rechtspopulist*innen es torpedierten. Die EU-Abgeordnete Jutta Paulus (Grüne/EFA, Deutschland) beklagte gegenüber dpa "schmerzhafte Kompromisse"[1], Christine Schneider (EVP, Deutschland) kündigte an, die EVP-Fraktion werde die Ergebnisse vor der formalen Abstimmung sorgfältig überprüfen.
Die EU-Kommission begrüßte [2] die Einigung, die die Verhandler*innen erreicht haben. Nun müssen das Europäische Parlament und der Rat die neue Verordnung noch förmlich annehmen. Sobald dies geschehen ist, wird die NRL 20 Tage nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU in Kraft treten. Die Mitgliedstaaten müssen der Kommission dann innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der Verordnung ihren ersten Plan zur Wiederherstellung der Natur vorlegen.
Es geht um Feuchtgebiete, Grasland, Wälder, Flüsse und Seen, aber auch Meeresökosysteme wie Seegras, Schwamm- und Korallenbänke, die in den Anhängen I und II der Verordnung aufgelistet sind. Die EU-Länder müssen bis 2030 mindestens 30 Prozent der unter das neue Gesetz fallenden Lebensraumflächen wiederherstellen, bis 2040 60 Prozent und bis 2050 90 Prozent. Natura-2000-Gebiete sollen dabei Vorrang haben.
Die Verordnung ist integraler Bestandteil der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 und soll internationalen Verpflichtungen erfüllen helfen, besonders den auf der UN-Biodiversitätskonferenz (COP15) 2022 in Kunming-Montreal vereinbarten globalen Biodiversitätsrahmen.
Landwirtschaft
Die Mitgliedstaaten müssen bei mindestens zwei der drei folgenden
Indikatoren "steigende Tendenzen" zu erreichen: dem
Grünland-Schmetterlingsindex, der Anteil der landwirtschaftlichen
Flächen mit Landschaftsmerkmalen mit hoher Vielfalt (HDLF)
beziehungsweise der Bestand an organischem Kohlenstoff in den
Mineralböden der Ackerflächen. Außerdem werden zeitlich befristete
Ziele für die Erhöhung des gemeinsamen Indexes für Feldvögel auf
nationaler Ebene festgelegt.
Moore
Bei der Wiedervernässung von Moorgebieten sollen die Mitgliedstaaten
viel Flexibilität haben. Die Verordnung schreibt aber vor, dass 30
Prozent der entwässerten, landwirtschaftlich genutzten Moore bis 2030,
40 Prozent bis 2040 und 50 Prozent bis 2050 wiederhergestellt werden
sollen. Mitgliedstaaten, die stark betroffen sind, können aber einen
niedrigeren Prozentsatz anwenden. Das Erreichen der
Wiedervernässungsziele ist nicht verpflichtend für Landwirtinnen und
Landwirte sowie private Landbesitzer*innen.
Waldökosysteme
Die Mitgliedstaaten müssen die biologische Vielfalt der Waldökosysteme
verbessern und auf nationaler Ebene steigende Trends bei bestimmten
Indikatoren wie stehendem und liegendem Totholz und dem gemeinsamen
Waldvogelindex erreichen, wobei auch die Gefahr von Waldbränden
berücksichtigt wird. Bis 2030 sollen EU-weit insgesamt mindestens drei
Milliarden zusätzliche Bäume gepflanzt worden sein.
Städtische Ökosysteme
"Steigende Tendenz" für städtische Grünflächen, "bis ein
zufriedenstellendes Niveau erreicht ist". Zwischen dem Inkrafttreten
der Verordnung und Ende 2030 dürfen die Mitgliedstaaten keinen
Nettoverlust an städtischen Grünflächen und städtischen Baumkronen
zulassen. Dies gilt nicht, wenn städtische Ökosysteme bereits mehr als
45 Prozent der Grünflächen vor Ort stellen.
Anbindung von Flüssen
Menschgemachte Hindernisse für die Durchgängigkeit von
Oberflächengewässern sollen ermittelt und so viele davon beseitigt
werden, dass bis 2030 auf mindestens 25.000 Kilometer Länge Flüsse
wieder frei fließen können. Die wiederhergestellte natürliche
Durchgängigkeit der Flüsse ist zu erhalten.
Der WWF Zentral- und Osteuropa (WWF CEE) sowie ClientEarth freuten sich zwar, dass alle ursprünglich von dem Gesetz abgedeckten Ökosysteme weiterhin in dem Abkommen enthalten sind, allerdings seien die Ziele erheblich abgeschwächt worden und es gebe zahlreiche Schlupflöcher. "Enttäuschend sind die vielen Ausnahmen und die übermäßige Flexibilität bei den Verpflichtungen der Mitgliedstaaten", so der WWF. Der Geltungsbereich der terrestrischen Wiederherstellung sei nicht ausschließlich auf Natura 2000-Gebiete beschränkt worden, mit den hinzugefügten Änderungen könne sich die Gesamtfläche, die wiederhergestellt werden muss, verringern. Die Anforderung, eine Verschlechterung zu verhindern, sei stark ausgehöhlt worden. Zwar seien Moore und einige Anforderungen zur Verbesserung der Natur auf landwirtschaftlich genutzten Flächen in der Vereinbarung (wieder) enthalten, dafür mussten erhebliche Zugeständnisse gemacht werden, wie zum Beispiel die "Notbremse", die letztlich Rechtsvorschriften aushebelt.
Der Deutsche Naturschutzring (DNR) nennt den Kompromiss zum EU-Renaturierungsgesetz einen "dringend überfälligen Teilerfolg". Es sei ein "enorm wichtiges Signal, dass sich EU-Kommission, Rat und Parlament überhaupt auf einen Kompromiss für ein europäisches Renaturierungsgesetz einigen konnten, das alle Ökosysteme in- und außerhalb von Schutzgebieten beinhaltet". Ein Ausklammern von landwirtschaftlichen Ökosystemen und entwässerten Mooren wäre vollkommen inakzeptabel gewesen. Allerdings könne man das Verhandlungsergebnis auch als "Gesetz mit angezogener Handbremse" bezeichnen. Zu viele Abschwächungen ließen Zweifel aufkommen, dass es tatsächlich in der Fläche Wirkung zeigen wird. Deshalb müsse die EU großzügig Finanzmittel bereitstellen.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) wertet die Einigung trotz aller Bedenken grundsätzlich als einen Erfolg. Obwohl das Ergebnis hinter dem ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission zurückbleibe, gebe es nun eine neue Rechtsgrundlage für wirksame Renaturierungspläne in den Mitgliedstaaten. "Wir erwarten nun, insbesondere von den europäischen Konservativen, keine weitere Verzögerung im legislativen Verfahren in der EU mit Billigung durch Umweltrat und Parlament", so die DUH. Die Organisation werde sich in Deutschland für die ambitionierte Umsetzung des Renaturierungsgesetzes einsetzen.
Der NABU nannt die Trilog-Einigung ein "wichtiges Ergebnis mit
schmerzhaften Abstrichen". Immerhin sei die entscheidende
Grundstruktur des Gesetzes erhalten geblieben. [jg]
EU-Parlament: EU Nature restoration law: MEPs strike deal to restore
20% of EU's land and sea
https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20231031IPR08714/eu-nature-restoration-law-meps-strike-deal-to-restore-20-of-eu-s-land-and-sea
Rat: Council and Parliament reach agreement on new rules [...]
https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2023/11/09/nature-restoration-council-and-parliament-reach-agreement-on-new-rules-to-restore-and-preserve-degraded-habitats-in-the-eu/
WWF CEE: Nature Restoration Law one step closer to becoming reality -
but with loopholes
https://wwfcee.org/news/nature-restoration-law-one-step-closer-to-becoming-reality-but-with-loopholes
sowie ClientEarth
https://www.clientearth.org/latest/press-office/press/nature-restoration-law-one-step-closer-to-becoming-reality-but-with-loopholes/
DNR: Kompromiss zum EU-Renaturierungsgesetz ist ein dringend
überfälliger Teilerfolg
https://www.dnr.de/presse/pressemitteilungen/kompromiss-zum-eu-renaturierungsgesetz-ist-ein-dringend-ueberfaelliger
DUH: [...] bewertet Abschluss des EU-Trilogs als Erfolg für den
Naturschutz
https://www.duh.de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/renaturierungsgesetz-deutsche-umwelthilfe-bewertet-abschluss-des-eu-trilogs-als-erfolg-fuer-den-natu/
NABU-Blog: Nature Restoration Law: Wichtiges Ergebnis mit
schmerzhaften Abstrichen
https://blogs.nabu.de/naturschaetze-retten/nrl-trilog/
Links:
[1] https://www.eu-info.de/dpa-europaticker/323314.html
[2] https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_23_5662
*
Quelle:
Pressemitteilung, 10.11.2023
Deutscher Naturschutzring (DNR)
Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzorganisationen
Marienstraße 19-20, 10117 Berlin
Tel.: 030/678 1775 70, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@dnr.de
Internet: www.dnr.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 10. November 2023
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