NATURSCHUTZ heute - Herbst 2023
Mitgliedermagazin des NABU (Naturschutzbund Deutschland) e.V.
Hier finden Schellenten ein Zuhause
von Lisa Gebhard
Nistkästen sind fester Bestandteil des praktischen Naturschutzes, helfen Gebäudebrütern oder Gartenvögeln. Doch auch für die offene Landschaft gibt es Nisthilfen, etwa für Schellenten. In Schleswig-Holstein entwickelte sich daraus ein einmaliges Forschungsprojekt.
Seit den 1930ern erschließt sich die Schellente Europa. Von Skandinavien breitete sie sich bis nach Schottland aus und von Osten bis nach Schleswig-Holstein. Entsprechend gering war ihr Bestand, als die Vogelschutzgruppe der Evangelischen Jugend Preetz Anfang der 1960er am Rand der Ostholsteinischen Seenplatte Nistkästen für sie aufhing. "Die Art war zwar selten, aber nicht bedroht. Mit unserer Hilfe wuchs ihr Bestand kontinuierlich an", berichtet Ingo Ludwichowski, Diplom-Biologe und Geschäftsführer des NABU Schleswig-Holstein.
Da Schellenten am liebsten in Baumhöhlen brüten, waren Nistkästen ein Mittel, dem Bestand zu helfen. Wie in klassischen Naturschutzprojekten für bedrohte und seltene Arten wollten die Vogelschützer*innen der Schellente mehr Brutplätze schaffen. Gemeinsam mit vielen Freiwilligen betreut der NABU Preetz-Probstei seit 1971 mittlerweile über 100 große Nisthöhlen verschiedener Bauart. "Eine Mindesthöhe gibt es nicht, doch je höher sie hängen, desto sicherer sind die Enten vor Störungen."
Die künstlichen Nistplatzangebote zeigten schnell Wirkung. "Zugute kommt uns sicher auch, dass die Schellente eine eher konfliktarme Art ist, die auch die Fischerei nicht stört", erklärt der Biologe. Sie ernährt sich vor allem von aquatischen Insekten wie Köcher- und Steinfliegen oder von Süßwassermuscheln. Heute ist die Schellente im Projektgebiet eine vergleichsweise häufige Art. Vogelarten wie der Waldkauz profitierten ebenfalls. Gänsesäger, Hohltaube oder die Dohle nutzen die Nisthilfe zeitweise mit, später im Jahr können Wespen und Hornissen einziehen. Probleme bereitet den Schellenten lediglich der Kleiber. Manchmal klebt er schon im Frühjahr den Eingang zur Höhle so zu, dass nur noch er durchpasst - und die Enten für den Rest des Jahres ausgesperrt sind.
Eine besondere Ausstattung brauchen die schleswig-holsteinischen Nistkästen nicht, um sie für die Höhlenbrüter attraktiv und sicher zu machen. Lassen sich kleinere Vögel wie Meisen in "ihren" Wohnungen nieder, scheucht die Schellente sie raus, bevor sie zu brüten beginnen. "Prädatoren wie der Waschbär sind bei uns noch nicht verbreitet und selbst Marder stellen für unsere Schellenten erstaunlicherweise keine größere Gefahr dar. Diese interessieren sich meist für die Eier und kaum für die brütenden Weibchen", erklärt Ludwichowski.
Nähert sich ein Marder, verlassen manche Weibchen schnell die Nisthöhle. Viele aber harren starr auf dem Gelege aus. So stiehlt der Marder nur ein Ei und zieht von dannen, ohne das brütende Weibchen zu töten. Bislang kommt der Bestand damit gut zurecht. "Schellenten brüten weniger als die Hälfte aller gelegten Eier aus, ein gewisser Verlust ist also einkalkuliert", so Ludwichowski. Allerdings sei unklar, wie die Weibchen diese Strategie für sich entdeckt haben. Während sie sich in Skandinavien ähnlich verhielten, seien die Enten andernorts stärker von Raubtieren gefährdet: Hier werden die Kästen aufwändig vor Mardern gesichert, um Verluste zu verringern.
Den vielen Freiwilligen, die Ludwichowski bis heute beim Anbringen und
Kontrollieren der Kästen unterstützen, wird nie langweilig.
Mittlerweile steht die Forschung im Mittelpunkt des Projektes. In der
Brutzeit von Mitte Februar bis in den Juli werden alle Kästen im
Zwei-Wochen-Rhythmus kontrolliert. "So finden wir heraus, wann die
Schellenten ihre Eier legen und wie viele davon sie erfolgreich
ausbrüten. Zudem beringen wir die brütenden Weibchen und ihre
Jungvögel, um ihren weiteren Lebensweg individuell verfolgen zu
können. Mittlerweile ist es die weltweit zeitlich am längsten
untersuchte Schellenten-Population", fasst Ludwichowski stolz
zusammen.
Im Flug erzeugen die Flügel der Schellenten ein klingendes Geräusch wie von kleinen Schellen
"Wir erfassen, wann die Vögel zum ersten Mal brüten und wo sie
überwintern. Durch den Vergleich über die Jahre hinweg sehen wir zudem
Auswirkungen des Klimawandels auf das Brutverhalten", erläutert der
Biologe. So beeinflusst die ansteigende Frühjahrstemperatur die Zahl
der Bruten. Jüngst wies das Team nach, dass zwei Schellenten-Weibchen
nun nacheinander erfolgreich im selben Kasten brüten können. Sie
nutzen den Nistplatz durch die verlängerte Brutzeit zweimal.
Übertragbar sind die Ergebnisse nicht immer. "Schellenten verhalten sich je nach Region unterschiedlich, bevorzugen sogar andere Gewässerarten. Bei uns kommen sie mit einem hohen Nährstoffgehalt zurecht und profitieren vom Klimawandel. In Skandinavien bevorzugen sie dagegen klare, nährstoffarme Seen, ohne die positive Wirkung eines früheren Brutbeginns. Dort geht der Brutbestand tendenziell eher zurück."
Dass die Schellente um Preetz in so einem guten Zustand ist, liegt also zum einen an ihrer Anpassungsfähigkeit. Zum anderen aber an den Aktiven vor Ort, die ihr erfolgreich Wohnraum geschaffen haben. Artenschutz in einer Form, wie er heutzutage noch häufig praktiziert werde. Doch die Ziele haben sich laut Ludwichowski erweitert: "Der Schutz von Ökosystemen ist wichtiger geworden. An oberster Stelle muss daher - egal ob für Schellente, Fledermaus, Meise oder Waldkauz - eine andere Waldpolitik stehen. In naturnahen Wäldern mit Totholz und alten Bäumen wären Nistkästen weitgehend überflüssig."
Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten
Abbildungen der Originalpublikation:
• Ob formschön oder eher ein Bretterverschlag: Schellenten sind
bei der Wahl des Nistkastens wenig wählerisch
• Der Brutbestamd von Schellenten steigt, weil Nistkästen nun
doppelt genutzt werden können
*
Quelle:
Naturschutz heute - Herbst 2023, Seite 14-15
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 31. Oktober 2023
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