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GEFAHR/163: Insel Rügen - Der Sündenfall (BUND MAGAZIN)


BUND MAGAZIN - 3/2023
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Insel Rügen
DER SÜNDENFALL

von Severin Zillich


Auf Rügen will die Bundesregierung ein Flüssiggas-Terminal errichten, im Schnellverfahren und ohne die Umweltverträglichkeit zu prüfen. Der BUND fürchtet dadurch bleibende Schäden für eine der schönsten Naturregionen Deutschlands und lehnt den Plan strikt ab.
Still liegt er da, der prächtige Buchenwald in dem Nationalpark Jasmund. Grundiert vom Blätterrauschen schmettern an diesem Frühsommermorgen unzählige Buchfinken ihr Lied, begleitet vom Gurren einiger Hohltauben und dem Ruf des Schwarzspechts. Wo der Wanderweg nah an den Rand der Kreideklippen rückt, mischt sich von tief unten her das Plätschern der Wellen in die Klangkulisse. Wie erholsam das ist! Doch mit der Ruhe dürfte es hier bald vorbei sein.

NOCH BESCHAULICH

Sassnitz ist das Tor zum Jasmund. Das Städtchen und der Nationalpark bilden den nördlichen Abschluss der Binzer Bucht. Im Süden liegt das namensgebende Seebad, das größte auf Rügen. Ein feiner Sandstrand reicht von Binz bis Mukran in die Mitte der Bucht. Am ehemaligen Fährhafen haben sich Betreiber von Offshore-Windparks angesiedelt, zwei der Wartungsschiffe hängen am Pier. Ein weiteres Schiff wurde wohl lang nicht mehr bewegt, auf dem Deck nisten Flussseeschwalben, die zappelnde Fische verfüttern.
Noch wirkt alles recht beschaulich. Noch - denn genau hier lässt die Bundesregierung ein großes LNG-Terminal errichten. Schnell soll es gehen, um schon nächstes Jahr zehn Milliarden Kubikmeter Gas anlanden zu können.

ERSTE VORBOTEN

Susanna Knotz, die Meeresbiologin des BUND Mecklenburg-Vorpommern, deutet auf einen Vorboten der nahen Zukunft am Horizont. Ein gewaltiger Flüssiggas-Tanker ankert vor der Bucht. Kleinere Schiffe bringen seine Ladung durchs Vogelschutzgebiet Greifswalder Bodden zur »Neptune« nach Lubmin. Auf dem 284 Meter langen Riesenpott wird das verflüssigte Gas wieder verdampft und ins Gasnetz gespeist. Weil der Shuttleverkehr teuer ist, soll die Neptune nach Mukran wechseln.
Die BUND-Landesvorsitzende Bettina Baier zeigt auf Berge gestapelter Rohre im Hafengelände, Überbleibsel der Pipeline »Nordstream 2«. Durch sie könnte in wenigen Monaten das Gas von Mukran nach Lubmin strömen.

URLAUBSZIEL BEDROHT

Man muss sich das vorstellen: In Sichtweite des Nationalparks und Weltnaturerbes Jasmund soll in eine der schönsten Badebuchten der beliebtesten deutschen Urlaubsinsel bald ein schwerindustrieller Komplex gesetzt werden. Vor den Folgen warnen nicht nur der BUND und mit ihm Deutsche Umwelthilfe, Nabu und WWF. Auch die Gemeinden auf Rügen wehren sich gegen das Terminal, in Sorge um ihre Natur und den Tourismus.
Denn wer will hier noch im Strandkorb liegen, wenn die großen Gastanker kommen und gehen? Wenn das andauernde Rumoren der Spezialschiffe im Hafen die Stille verscheucht? Mit dem Bau eines Offshore-Anlegers vor Mukran könnte zudem weniger Sand in die Bucht gespült werden. Die Badegäste säßen womöglich bald auf Steinen.
Weniger augenfällig, jedoch ungleich drastischer droht das Terminal die Lebenswelt unter Wasser zu schädigen.

RIFFE, ENTEN, HERINGE

So wird die 50 Kilometer lange Pipeline von Mukran nach Lubmin gleich vier Meeresschutzgebiete in Mitleidenschaft ziehen. Darunter den besonders sensiblen Greifswalder Bodden und geschützte Riffe, Sandbänke und Seegraswiesen. Von ihrem Tierreichtum profitieren bisher Tausende von rastenden und überwinternden Vögeln wie Eis-, Berg- und Trauerenten.
Die Boddengewässer sind auch ein wichtiger Lebensraum für die seltenen Kegelrobben und Schweinswale. Zusätzlicher Schiffsverkehr, der nötige Ausbau des Hafens und laufende Baggerarbeiten in der Zufahrt werden die Meeressäuger stark belasten.
Und als wäre das noch nicht genug: 80 Prozent aller deutschen Heringe entstammen einem Laichgebiet im Greifswalder Bodden. Für die Heringe gelten in der Ostsee seit Jahren stark reduzierte Fangquoten. Der Bau der neuen Pipeline dürfte den Bestand weiter dezimieren.

ÜBERFLÜSSIG UND SCHÄDLICH

Angesichts solcher Risiken scheut die Bundesregierung offenbar eine Prüfung der Umweltverträglichkeit und die angemessene Beteiligung der Umweltverbände und Menschen vor Ort. Sie beruft sich auf einen möglichen Gasmangel. Die Energie-versorgung in Süddeutschland und Osteuropa brauche einen »Sicherheitspuffer«. Kapazitäten wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung oder das New Climate Institute halten das LNG-Terminal dagegen für überflüssig und schädlich. Und schließlich gibt es nur 50 Kilometer östlich von Lubmin in Swinemünde/Polen ein großes, gut erreichbares Terminal.
Bettina Baier ist überzeugt: »Ohne Not und aus unserer Sicht rechtswidrig baut die Bundesregierung hier eine milliardenteure fossile Energieversorgung auf. Für den Klimaschutz und für die einzigartige Natur Rügens ist das ein schwerer Schlag. Der BUND wird alles tun, um das Terminal noch zu verhindern.«

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Nationalpark Jasmund: Gleich südlich der Kreideküste öffnet sich die Binzer Bucht.
  • Meeresbiologin Susanna Knotz und die BUND-Landesvorsitzende Bettina Baier (rechts) mit Planungsunterlagen vor dem Hafen in Mukran.
  • Die geplante Gasleitung von Mukran nach Lubmin würde wertvolle und geschützte Meereslebensräume schädigen und zerstören.
  • Zu den Vogelarten, die östlich von Rügen in großer Zahl überwintern, zählt die arktische Eisente

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Quelle:
BUND MAGAZIN 3/2023, Seite 34-35
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Kaiserin-Augusta-Allee 5, 10553 Berlin
Tel. 030/27586-457, Fax. 030/27586-440
E-Mail: redaktion@bund.net
Internet: www.bund.net/bundmagazin
 
Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
des BUND und erscheint viermal im Jahr

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 22. August 2023

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