BUND MAGAZIN - 3/2023
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany
Insel Rügen
DER SÜNDENFALL
von Severin Zillich
Auf Rügen will die Bundesregierung ein Flüssiggas-Terminal errichten,
im Schnellverfahren und ohne die Umweltverträglichkeit zu prüfen. Der
BUND fürchtet dadurch bleibende Schäden für eine der schönsten
Naturregionen Deutschlands und lehnt den Plan strikt ab.
Still liegt er da, der prächtige Buchenwald in dem Nationalpark
Jasmund. Grundiert vom Blätterrauschen schmettern an diesem
Frühsommermorgen unzählige Buchfinken ihr Lied, begleitet vom Gurren
einiger Hohltauben und dem Ruf des Schwarzspechts. Wo der Wanderweg
nah an den Rand der Kreideklippen rückt, mischt sich von tief unten
her das Plätschern der Wellen in die Klangkulisse. Wie erholsam das
ist! Doch mit der Ruhe dürfte es hier bald vorbei sein.
Sassnitz ist das Tor zum Jasmund. Das Städtchen und der Nationalpark
bilden den nördlichen Abschluss der Binzer Bucht. Im Süden liegt das
namensgebende Seebad, das größte auf Rügen. Ein feiner Sandstrand
reicht von Binz bis Mukran in die Mitte der Bucht. Am ehemaligen
Fährhafen haben sich Betreiber von Offshore-Windparks angesiedelt,
zwei der Wartungsschiffe hängen am Pier. Ein weiteres Schiff wurde
wohl lang nicht mehr bewegt, auf dem Deck nisten Flussseeschwalben,
die zappelnde Fische verfüttern.
Noch wirkt alles recht beschaulich. Noch - denn genau hier lässt die
Bundesregierung ein großes LNG-Terminal errichten. Schnell soll es
gehen, um schon nächstes Jahr zehn Milliarden Kubikmeter Gas anlanden
zu können.
Susanna Knotz, die Meeresbiologin des BUND Mecklenburg-Vorpommern,
deutet auf einen Vorboten der nahen Zukunft am Horizont. Ein
gewaltiger Flüssiggas-Tanker ankert vor der Bucht. Kleinere Schiffe
bringen seine Ladung durchs Vogelschutzgebiet Greifswalder Bodden zur
»Neptune« nach Lubmin. Auf dem 284 Meter langen Riesenpott wird das
verflüssigte Gas wieder verdampft und ins Gasnetz gespeist. Weil der
Shuttleverkehr teuer ist, soll die Neptune nach Mukran wechseln.
Die BUND-Landesvorsitzende Bettina Baier zeigt auf Berge gestapelter
Rohre im Hafengelände, Überbleibsel der Pipeline »Nordstream 2«. Durch
sie könnte in wenigen Monaten das Gas von Mukran nach Lubmin strömen.
Man muss sich das vorstellen: In Sichtweite des Nationalparks und
Weltnaturerbes Jasmund soll in eine der schönsten Badebuchten der
beliebtesten deutschen Urlaubsinsel bald ein schwerindustrieller
Komplex gesetzt werden. Vor den Folgen warnen nicht nur der BUND und
mit ihm Deutsche Umwelthilfe, Nabu und WWF. Auch die Gemeinden auf
Rügen wehren sich gegen das Terminal, in Sorge um ihre Natur und den
Tourismus.
Denn wer will hier noch im Strandkorb liegen, wenn die großen
Gastanker kommen und gehen? Wenn das andauernde Rumoren der
Spezialschiffe im Hafen die Stille verscheucht? Mit dem Bau eines
Offshore-Anlegers vor Mukran könnte zudem weniger Sand in die Bucht
gespült werden. Die Badegäste säßen womöglich bald auf Steinen.
Weniger augenfällig, jedoch ungleich drastischer droht das Terminal
die Lebenswelt unter Wasser zu schädigen.
So wird die 50 Kilometer lange Pipeline von Mukran nach Lubmin gleich
vier Meeresschutzgebiete in Mitleidenschaft ziehen. Darunter den
besonders sensiblen Greifswalder Bodden und geschützte Riffe,
Sandbänke und Seegraswiesen. Von ihrem Tierreichtum profitieren bisher
Tausende von rastenden und überwinternden Vögeln wie Eis-, Berg- und
Trauerenten.
Die Boddengewässer sind auch ein wichtiger Lebensraum für die seltenen
Kegelrobben und Schweinswale. Zusätzlicher Schiffsverkehr, der nötige
Ausbau des Hafens und laufende Baggerarbeiten in der Zufahrt werden
die Meeressäuger stark belasten.
Und als wäre das noch nicht genug: 80 Prozent aller deutschen Heringe
entstammen einem Laichgebiet im Greifswalder Bodden. Für die Heringe
gelten in der Ostsee seit Jahren stark reduzierte Fangquoten. Der Bau
der neuen Pipeline dürfte den Bestand weiter dezimieren.
Angesichts solcher Risiken scheut die Bundesregierung offenbar eine
Prüfung der Umweltverträglichkeit und die angemessene Beteiligung der
Umweltverbände und Menschen vor Ort. Sie beruft sich auf einen
möglichen Gasmangel. Die Energie-versorgung in Süddeutschland und
Osteuropa brauche einen »Sicherheitspuffer«. Kapazitäten wie das
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung oder das New Climate
Institute halten das LNG-Terminal dagegen für überflüssig und
schädlich. Und schließlich gibt es nur 50 Kilometer östlich von Lubmin
in Swinemünde/Polen ein großes, gut erreichbares Terminal.
Bettina Baier ist überzeugt: »Ohne Not und aus unserer Sicht
rechtswidrig baut die Bundesregierung hier eine milliardenteure
fossile Energieversorgung auf. Für den Klimaschutz und für die
einzigartige Natur Rügens ist das ein schwerer Schlag. Der BUND wird
alles tun, um das Terminal noch zu verhindern.«
Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
*
Quelle:
BUND MAGAZIN 3/2023, Seite 34-35
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Kaiserin-Augusta-Allee 5, 10553 Berlin
Tel. 030/27586-457, Fax. 030/27586-440
E-Mail: redaktion@bund.net
Internet: www.bund.net/bundmagazin
Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
des BUND und erscheint viermal im Jahr
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 22. August 2023
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang