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INITIATIVE/414: Oderwiesen Neurüdnitz - Ausbau abwehren (BUND MAGAZIN)


BUND MAGAZIN - 4/2019
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Oderwiesen Neurüdnitz
Ausbau abwehren

von Severin Zillich


Per Abkommen verständigten sich Deutschland und Polen 2015 darauf, die Oder auszubauen. Noch präsentiert sich unser fünftgrößter Fluss auf seinem Weg zur Ostsee vergleichsweise naturnah und artenreich. Der BUND will, dass das so bleibt.

Fische stehen selten im Brennpunkt des Naturschutzes. Tatsächlich wirken sie ja wenig charismatisch, zu sehen bekommt man sie sowieso nicht oft. Und wenn, sind sie für uns Laien im Wasser nur schwer zu bestimmen. Doch auch viele Fischarten sind heute gefährdet. Zum Glück haben Fachleute ihre Lebensräume im Blick. Zum Beispiel an der Oder.

Geschützt, doch in Gefahr

So wie Sascha Maier, der Sprecher des Arbeitskreises Wasser im BUND Brandenburg. Wir stehen an einem sonnigen Herbsttag am Ufer der Oder, unweit von Hohenwutzen. Hier, am »Krummen Ort«, wo der Fluss einen Knick macht, half die Bundeswehr beim Hochwasser 1997 die brüchigen Deiche zu halten. Und von hier verlaufen 17 Kilometer flussaufwärts Richtung Küstrin die »Oderwiesen Neurüdnitz«, geschützt durch die europäische Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie. Über tausend Hektar extensiv genutzte Feuchtwiesen und Weiden schließt das Gebiet mit ein, samt kleiner Altarme und Seen sowie trockenrasiger Erhebungen; und die Oder selbst, bis zur Staatsgrenze in der Strommitte.

Wenn Polen und Deutschland - wie geplant - die Oder auf ganzer Strecke vertiefen, wäre auch dieser Flussabschnitt stark betroffen. Über 400 Buhnen will man allein auf deutscher Seite sanieren und verlängern, um den Abfluss in der Strommitte zu beschleunigen. Der Fluss soll sich selbst ein tieferes Bett graben. Und das vorgeblich zum Schutz vor Hochwasser: um freie Fahrt für die Eisbrecher zu gewährleisten, wenn sich im Winter das Eis staut und an die Deiche drückt. In Wirklichkeit will Polen die Oder wieder ganzjährig schiffbar machen, so Sascha Maier, notfalls mit Hilfe neuer Schleusen. Für die Flussnatur wäre das fatal.

Stör, Schnäpel und Co

Womit wir zu den Fischen in der Oder kommen. Vier Arten würden unter der Eintiefung der Strommitte besonders leiden, weiß Christian Wolter vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei. Stör und Ostseeschnäpel, Stromgründling und Quappe vereint, dass sie in der Strommitte leben und hier auch laichen. »Der geplante Ausbau der Oder würde einen Großteil ihres Lebensraums zerstören. Mit der Eintiefung würden wichtige Strukturen wie Unterwasserdünen und tiefe Kolke verschwinden«, so Wolter.

Nun sind Stör und Schnäpel ausdrücklich durch die FFH-Richtlinie geschützt. Zudem hat man, um den einst ausgerotteten Stör in der Oder wiederanzusiedeln, bereits über eine Million Jungfische aus Zuchtanlagen ausgesetzt - die entlang der »Oderwiesen Neurüdnitz« besonders zahlreich aufwachsen.

Die Quappe wiederum ist in der Oder so häufig wie kaum sonst wo in Europa. Auch sie droht dramatisch seltener zu werden, wenn die Oder ausgebaut wird.

Schließlich nutzen viele weitere Fische die Strommitte zum Fressen oder Überwintern; speziell die für die Fortpflanzung wichtigen großen Exemplare aller Arten.

Doppelt schädlich

Den Fischen würde der Ausbau also sehr schaden - wie dem Ökosystem der Oder und dem FFH-Gebiet als Ganzes. Denn vertieft sich die Flussmitte, sinkt der durchschnittliche Wasserspiegel. Damit wäre die natürliche Dynamik des Flusses unterdrückt, die wertvollen Auenwiesen vor und hinter dem Deich fielen trocken.

Doch was ist mit den Eisbrechern? Dazu zitiert Sascha Maier Brandenburgs Landesregierung: Bislang hätten die in den kurzen Eisperioden problemlos operiert, eine Vertiefung sei ihretwegen nicht nötig. Und zur Not gäbe es ja auch amphibische Eisbrecher. Sie ähneln schwimmenden Baggern und lassen sich über Land an ihren Einsatzort bringen.

Der BUND-Experte führt ein weiteres Argument an: Was vorgeblich dem Schutz vor Hochwasser diene, könne im Ernstfall mehr schaden als nützen. Denn mit verstärkten Buhnen erhöhe sich der Hochwasserscheitel und damit der Druck auf die Deiche. Dieser Fakt würde bislang von beiden Seiten ausgeblendet.

Ausbau illegal?

Nun dient der Hochwasserschutz Polen offenkundig nur als Vorwand. In Wirklichkeit will unser Nachbar die Oder ganzjährig für Güterschiffe öffnen. Dagegen wehren sich nicht nur Flussschützer*innen. Auch die deutschen Behörden betonen, eine »verkehrliche Erschließung« der Oder sei weder wirtschaftlich noch Teil des Abkommens.

Rechtlich ist der Ausbau sowieso fragwürdig. So ist es im Naturschutzgebiet »Oderwiesen Neurüdnitz« verboten, »bauliche Anlagen wesentlich zu verändern« - außer das öffentliche Interesse daran überwiegt, wovon aus BUND-Sicht keine Rede sein kann. Was die Wasserbehörden als Maßnahme für den Schutz vor Hochwasser werten, verstößt laut Sascha Maier auch gegen das Verschlechterungsverbot in FFH-Gebieten; und gegen die Maßgabe der europäischen Wasserrahmenrichtlinie, den ökologischen Zustand der Oder zu verbessern.

Umso unverständlicher ist, dass Polen seine Ausbaupläne großteils von der Weltbank, der Entwicklungsbank des Europarates und der EU-Kommission finanziert bekommt. Und dass sich weder Bundesumweltministerium noch Bundesamt für Naturschutz öffentlich schützend vor das Ökosystem Oder stellen.

Die Hoffnungen des BUND ruhen nun auf einer internen Prüfung der Weltbank. Sollte die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht auf die Einwände der Verbände und des Landes Brandenburg (zuständig für den Hochwasserschutz) eingehen, wäre zudem eine Beschwerde bei der EU-Kommission möglich - und als Ultima Ratio der Gang vor Gericht.

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Quelle:
BUND MAGAZIN 4/2019, Seite 34 - 35
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Kaiserin-Augusta-Allee 5, 10553 Berlin
Tel. 030/27586-457, Fax. 030/27586-440
E-Mail: redaktion@bund.net
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Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
des BUND und erscheint viermal im Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2020

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