BUND MAGAZIN - 2/2023
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany
Allgäuer Alpen
Seelenrettung
von Severin Zillich
Der den Allgäuer Hochalpen vorgelagerte Grünten drohte in ein
Sport- und Spaßresort verwandelt zu werden. Doch der Investor
machte die Rechnung ohne das starke BUND-Team vor Ort.
Der 1738 Meter hohe Grünten im Oberallgäu ist ein beliebter Wanderberg - und Lebensraum seltener Tiere und Pflanzen. Als die Winter noch zuverlässig weiß waren, betrieben Einheimische hier ein kleines Skigebiet. Doch das rentierte sich nicht mehr. Ein Investor plante den Berg ganzjährig touristisch zu erschließen. Und das in großem Stil, mit Gondelbahn, Event-Gastronomie und im Winter massiver Beschneiung. Dass daraus nichts wurde, ist vielfältigen Protesten zu verdanken; und einer Stellungnahme des BUND in Bayern, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ.
An einem freundlichen Märztag steigt Alfred Karle-Fendt die ehemalige Skipiste zur Grüntenhütte hinauf. Wo die Sonne den Schnee geschmolzen hat, blühen erste Schlüsselblumen, Frühlingsenziane und Buchsblättrige Kreuzblümchen. Aus einer freistehenden alten Fichte fliegen Ring- und Wacholderdrosseln.
Der pensionierte Hauptschullehrer aus Sonthofen kennt den Grünten wie seine Westentasche. Zahllose Stunden hat er hier Pflanzen kartiert, hat nach Vögeln, nach seltenen Kleinschmetterlingen oder Schnecken gesucht. Und das aus gutem Grund.
Noch birgt der Grünten einige echte Raritäten. So brüten an seiner Ostflanke Hasel- und Auerhuhn, auch das Birkhuhn hat sich rund um den Berg halten können. Steinadler, Uhu und Steinrötel werden regelmäßig beobachtet, in den Wäldern leben Dreizehen- und Weißrückenspecht. Und die Wanstschrecke kommt in den bayerischen Alpen nur noch hier vor. Zudem weist die Gipfelregion »eine Vielzahl bayernweit seltenster Alpenpflanzen« auf, wie aus den Unterlagen des FFH-Gebiets »Grünten« hervorgeht.
Entsprechend alarmiert ist der Artenexperte der BUND-Kreisgruppe Kempten-Oberallgäu, als er 2019 von den Plänen des Investors erfährt. Alfred Karle-Fendt ist klar: Eine derartige Über-Erschließung würde der bedrohten Natur am Grünten den Garaus bereiten.
Was da alles geplant war, weiß niemand besser als Thomas Frey. Später am Tag im nahen Immenstadt zählt der BUND-Regionalreferent auf: eine 10er-Gondelbahn, die stündlich 1500 Personen transportiert. Bis zu vierstöckige Gebäude im Bereich der Tal-, Mittel- und Bergstation. Zwei große Gastrobetriebe an der Bergstation und Grüntenhütte, für Veranstaltungen und Feiern bis tief in die Nacht. Eine sechs Kilometer lange Straße durch geschützte Waldmoore und Bergwälder. Und das obligatorische Parkhaus plus Parkplatz und Zufahrtstraße im Tal.
Außerdem wollte man die Hänge auf 24 Hektar beschneien. Dafür nötig: umfangreiche Erdarbeiten am ganzen Berg und ein zwei Fußballfelder großes Speicherbecken mit 15 Meter hohen Dämmen.
Nicht nur der BUND stellt sich rasch gegen das folgenschwere Szenario. Öffentlich wird ebenfalls Kritik laut, wie Thomas Frey erzählt: »Unseren Seelenberg derart zu verbauen, das hat vielen nicht gepasst. Auch die um sich greifende Beschneiung stößt neuerdings auf Widerstand. Und am Grünten ist schon heute einiges los, noch mehr Trubel am Berg braucht es nicht.«
Der Investor kommt aus der Gegend. Mit der benachbarten »Alpsee Bergwelt« verdient er bereits auf ganz ähnliche Weise Geld. Als er seine Pläne 2021 im Detail vorlegt, kontert der BUND Naturschutz mit einer 54-seitigen Stellungnahme.
Die Lektüre lohnt sich. Im Ton sachlich, in der Aussage kompromisslos, pflückt er die Unterlagen Punkt für Punkt auseinander. Sei es die labile Geologie, der zusätzlich drohende Verkehr, das fehlende Besucherkonzept oder die Vernichtung geschützter Lebensräume: Mustergültig ist hier aufgeführt, warum dieser Investorentraum nicht wahr werden darf.
Schon im Sommer 2019 schiebt der BUND zudem die Gründung der Bürgerinitiative »Rettet den Grünten« an. Sie bündelt das spürbare Unbehagen in der Region und mobilisiert den Widerstand. Unvergessen die rote Linie, die sich an einem verregneten Herbsttag quer über den Nordhang des Grünten zieht. Adrian Gioja, Sprecher der BI, erinnert bei unserem Treffen in Immenstadt an all die Infostände und Mahnwachen, an Tausende Protestkarten in die bayerische Staatskanzlei und an die 2000 schriftlichen Einwendungen gegen das Projekt. Dabei habe man immer eng mit dem BUND kooperiert.
Auch eine Klage hätte der BUND nicht gescheut. Die aber erweist sich als unnötig. Ende Januar 2023 gibt der Investor auf. Ein Tag der Freude, auch für den Landesvorsitzenden Richard Mergner: »Derartige Großprojekte sind im bayerischen Alpenraum nicht mehr vermittelbar.«
Thomas Frey und Adrian Gioja wollen die Entwicklung am Grünten
weiter begleiten. Und zeigen, dass das Oberallgäu in Zukunft weit
mehr gewinnt, wenn es den sanften Tourismus fördert und seine
Naturschätze pflegt.
Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Mehr zum Thema
und die erwähnte Stellungnahme:
https://kempten.bund-naturschutz.de/gruenten
*
Quelle:
BUND MAGAZIN 2/2023, Seite 34-35
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Kaiserin-Augusta-Allee 5, 10553 Berlin
Tel. 030/27586-457, Fax. 030/27586-440
E-Mail: redaktion@bund.net
Internet: www.bund.net/bundmagazin
Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
des BUND und erscheint viermal im Jahr
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 19. Mai 2023
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang