Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → LEBENSRÄUME


KATASTROPHEN/075: Fischsterben durch Havarien an Jagst und Peene (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1071, vom 20. Sept. 2015 - 34. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Wir können auch Fischsterben!


Wer bei uns an Flusskatastrophen denkt, hat eher China als Deutschland auf dem Focus. Dass wir aber fast 30 Jahre "nach Sandoz" auch noch große Fischsterben produzieren können, hat sich in diesem Jahr gezeigt. Nicht nur die Folge schwerer Havarien in landwirtschaftlichen Gülle- und Biogasanlagen hat in den letzten Monaten für verheerende Fischsterben gesorgt (s. RUNDBR. 1062/1-4). Auch Missstände in Industriebetrieben und im Agrarhandel haben zu millionenfachen Tod von Fischen geführt. Es steht zu befürchten, dass unsere Prognose über das verhängnisvolle Zusammenspiel von mangelnder behördlicher Kontrolle und personeller Ausdünnung in den Umweltabteilungen von Industrie und Gewerbe leider mehr und mehr in Erfüllung geht (s. RUNDBR. 970/3-4). Alle großen Fischsterben in den letzten Monaten sind darauf zurückzuführen, dass die Vorgaben der Verordnung über Anlagen wassergefährdende Stoffe (VAwS, die künftige AwSV - s. 1049/3-4) innerbetrieblich nur unzureichend oder gar nicht beachtet worden sind - und zugleich von den Behörden nicht ausreichend kontrolliert worden sind. In diesem RUNDBR. dokumentieren wir den Ablauf der fischtödlichen Havarien an der Jagst in Ba.-Wü. und an der Peene in Meck-Pomm. Im nächsten RUNDBR. wird das angeblich von einer Kuh ausgelöste Fischsterben in der Else thematisiert. Tragisch, dass es in diesem Sommer ausgerechnet naturnahe Flüsse getroffen hat, die sich noch durch einen großen Artenreichtum ausgezeichnet hatten.

Düngemittel in der Jagst: Über 20 Tonnen tote Fische

Nach bisherigen Ermittlungen der Polizei hat fahrlässige Brandstiftung in Baden-Württemberg im August 2015 eines der größten Fischsterben seit der Sandoz-Katastrophe von 1986 ausgelöst. Beim Löschen des Brandes einer Mühle am Mittellauf der Jagst gelangten mit dem Löschwasser am 22.08.15 Düngemittel in die Jagst. In dem Nebenfluss des Neckars am verendeten daraufhin mindestens 20 Tonnen Fische. Bemerkenswert war, dass die Kleintierwelt (Makrobenthosfauna) keine relevante Schäden davon getragen hat: "Den hohen fischfaunistischen Verlusten stehen praktisch unbeschädigte Verhältnisse bei der Wirbellosenfauna gegenüber", heißt es dazu in einem Gutachten. Ob der Mühlenbetrieb in Lobenhausen überhaupt die ammoniumnitrathaltige Düngemittel in unmittelbarer Gewässernähe hätte lagern dürfen, ist strittig. Während der Landkreis die Lagerung der Düngemittel als illegal einstufte, gibt sich der Mühlenbesitzer als verfolgte Unschuld. Polizei und Staatsanwalt ermitteln seit dem 8.9.15 gegen den Mühlenbesitzer wegen fahrlässiger Gewässerverunreinigung (sect; 324 StGB). Im Mittelpunkt der Ermittlungen stehe die Frage, "ob die für die Lagerung der wassergefährdenden Stoffe notwendigen Voraussetzungen vorlagen", berichtete das HOHENLOHER TAGBLATT am 9.9.15.

Jagst: Fehler in der Brandnacht? Hinterher ist man immer klüger

In den Lokalmedien wurden im Gefolge des Fischsterbens die Frage diskutiert, warum das Dichtkissen, mit dem die Feuerwehr den Überlaufkanal des - immerhin vorhandenen - Löschwasserrückhaltebecken abgesperrt hatte, für einen Zeitraum von angeblich fünf Minuten die Abdichtwirkung verloren hatte. Dadurch erst sei das mit Ammoniumnitrat hochbelastete Löschwasser in die Jagst gelangt. Damit geriet nun auch der Feuerwehreinsatz ins Visier der Ermittlungen. Nach Recherchen des HOHENLOHER TAGBLATTS gab es in der Brandnacht keine ständige Kontrolle des Überlaufkanals aus dem Löschwasserhavariebecken. Außerdem rückte nach Meinung der Zeitung dann auch die Frage in den Vordergrund, warum so viel Löschwasser (es waren mehr als 1.400 Kubikmeter) benötigt worden sind. Experten würden sich fragen, warum so viel "frisches" Wasser aus Jagst und Trinkwassernetz eingesetzt wurde, "anstatt mit Hilfe des kontaminierten Wassers aus dem Rückhaltebecken einen geschlossenen Kreislauf aufzubauen."

Jagst: Alles für die Oxidation des fischgiftigen Ammoniums

Freiwillige Feuerwehren und Technisches Hilfswerk folgten der Giftwelle in der Jagst. Die Feuerwehrleute pumpten das mit dem Ammoniumnitrat versetzte Wasser aus dem Fluss und sprühten es mit hohem Druck wieder in den Fluss bzw. auf angrenzende landwirtschaftliche Nutzflächen. Durch den intensiven Kontakt mit dem Luftsauerstoff strebte man an, das fischgiftige Ammonium zu Nitrat zu oxidieren. Zudem wurden sowohl Nebenarme an der Jagst als auch mit dem Neckar verbundene Baggerseen - u.a. mit riesigen Sandsäcken - abgesperrt, um das Eindringen von Ammoniumnitrat belasteten Jagstwasser zu verhindern. Die Nebenarme und Baggerseen sollten nicht nur als Rückzugsgebiete geschützt werden. Man erhoffte sich, dass sich die Jagst aus diesen Nebenarmen und Baggerseen heraus rasch wieder regenerieren möge: "Im Falle der Jagst konnten angrenzende aquatische Biotope effektiv vom Hauptfluss abgetrennt und geschützt werden. Es besteht aktuell berechtigte Hoffnung, dass viele der Tierarten hier überleben werden. Diese Lebensräume werden Keimzellen der Wiederbesiedlung sein," so der Stuttgarter Regierungspräsident. Zur Schadensminimierung hatten die Mitglieder von Angelverbänden versucht, vor dem Eintreffen der Giftwelle möglichst viele Fische noch lebend zu fangen. Die überlebenden Fische wurden in unbelastete Gewässer umgesetzt.

Da befürchtet wurde, dass die Oxidation des Ammoniums bis zur Mündung in den Neckar nur unzureichend gelingen könne, traf man auch Vorsorge an der Neckarmündung. In den Staustufen des Neckars oberhalb der Jagstmündung wurden 600.000 Kubikmeter Neckarwasser gespeichert. Beim Eintreffen der Schadstoffwelle an der Neckarmündung hatte man dadurch mehr Verdünnungswasser als Normal zur Verfügung. Allerdings war das Ammonium in der unteren Jagst soweit verdünnt und oxidiert worden, dass es an Neckarmündung keine Schäden mehr verursacht hatte.

Umweltminister Untersteller: So was darf sich nicht wiederholen!

Bei einem Vororttermin am 28.08.15 hatte der baden-württembergische Umweltminister, Franz Untersteller (GRÜNE), das Fischsterben in der Jagst als "furchtbar" eingestuft - und weiter: "Für die Zukunft müssen wir alles daran setzen, dass sich eine solche ökologische Katastrophe nicht wiederholen kann. Wir haben daher vor, in einer landesweiten Aktion Düngerlager in Gewässernähe zu überprüfen. Ein besonderes Augenmerk wollen wir dabei auf die Löschwasserrückhaltung werfen. Außerdem müssen wir uns Gedanken darüber machen, ob die bestehenden Regelwerke und Vorschriften tatsächlich ausreichen oder ob sie zum Schutz unserer Umwelt überarbeitet werden müssen."

Bereits zuvor hatten der NABU und der baden-württembergische Landesnaturschutzverband (LNV) "strengere Auflagen und Kontrollen bei der Lagerung gewässertoxischer Stoffe" gefordert. "Dies beginne bereits bei der Bau- und Betriebsgenehmigung des Lagergebäudes und bei der Frage, welche Informationen über Gefahrgut und Wasserableitung auf dem Betriebsgelände der Feuerwehr beim Einsatz vorlagen."

In der Pressemitt. der Umweltverbände vom 27.08.15 heißt es ferner:
"Da es zum einen landesweit zahlreiche ähnliche Konstellationen gibt, wo an Flüssen liegende Mühlen auch Handel mit Dünger und Pflanzenschutzmitteln betreiben, es zum anderen in Mühlen relativ häufig brennt, müsse auch grundsätzlich über die Lagerung von hoch gewässertoxischen Stoffen in Flussnähe nachgedacht werden. Zur Diskussion stehe ein grundsätzliches Verbot der Lagerung in Gewässernähe oder eine besonders abgeschirmte, völlig brandsichere Lagerung, wie sie heute schon für bestimmte Pflanzenschutzmittel gilt. Im Übrigen gelte diese Problematik auch für Landwirtschaftsbetriebe, welche größere Vorräte solcher Dünger in Gewässernähe lagern. Die regelmäßige Kontrolle der ordnungsgemäßen Lagerung, der Brandschutzeinrichtungen und der Oberflächenentwässerung für Dünger- und Gefahrstofflagerstätten müsse gewährleistet sein."

Das Bittere an den aktuellen Kontrollforderungen von Ministern und Verbänden im Hinblick auf die Sicherheit von Düngemittellagern ist, dass genau die gleichen Forderungen bereits vor 29 Jahren im Gefolge der Sandoz-Katastrophe im November 1986 aufgestellt worden waren.

Rasche Durchgängigmachung der Jagst als Wiedergutmachung?

Die für das Krisenmanagenmanagement zuständige Verwaltung des Landkreises Schwäbisch Hall sah sich herber Kritik ausgesetzt. Angel- und Naturschutzverbände - und ob des unaufhaltsamen Fischsterbens entsetze AnwohnerInnen der Jagst -hatten der Landkreisverwaltung ein zu spätes und ungenügendes Reagieren auf die Giftwelle vorgeworfen. Und in den Medien wurde kritisch gefragt: "Warum geht der Landrat trotz Jagst-Katastrophe in den Urlaub, während der Umweltminister wegen ihr seinen abbricht?"

Und NABU und LNV erklärten:
"Von den Behörden indes habe man den Eindruck, dass sie insbesondere zu Beginn der Gewässerkatastrophe überfordert waren. Weil lange unklar war, welche Maßnahmen die richtigen sind, ging wertvolle Zeit verloren."

Die Landräte der beiden vom Fischsterben am meisten betroffenen Landkreise Schwäbisch Hall und Hohenlohe reagierten auf die Kritik mit einer Einladung zu runden Tischen "Zukunft Jagst" bzw. "Unsere Jagst". Eines der Themen dieser Akteurskonferenzen war die Revitalisierung der schwer angeschlagenen Jagst. Dabei pochten die Fischerei- und Umweltverbände auf einen Abriss der 61 Wehranlagen an der 190 km langen Jagst - oder zumindest für den Bau von Fischtreppen, um die Wiederansiedlung der Fischfauna durch eine bessere Durchwanderbarkeit des Flusses zu begünstigen. Nach Meinung der Umweltverbände gehört die Jagst zu den "Naturschutzjuwelen" in Baden-Württemberg. Der Fluss sein "hochdekoriert" mit zahlreichen Naturschutzgebieten. Insofern dürfe man bei dem Maßnahmenplan zur ökologischen Wiedergesundung nicht kleingeistig vorgehen. Den Vorschlag der Verbände zur beschleunigten Durchgängigmachung der Jagst hatte der baden-württembergische Umweltminister aufgegriffen: Ein wichtiger Aspekt für die Wiederansiedlung von Lebewesen in der Jagst sei es, "die vielen Wanderungshindernisse in der Jagst möglichst zu beseitigen", hatte Franz Untersteller bei seinem Vororttermin am 28. Aug. betont.

"Die Eigentümer solcher Bauwerke können sich darauf verlassen, dass das Land sie bei Maßnahmen zur Herstellung der Durchgängigkeit unterstützen wird,"
versprach Umweltminister Untersteller. [Wir sind gespannt, welche Maßnahmen tatsächlich erfolgen werden!] Den hohen ökologischen Wert der Jagst hatte auch der baden-württembergische Landwirtschafts- und Naturschutzminister Alexander Bonde (GRÜNE) konstatiert:
"Die Jagst ist eines der wertvollsten Ökosysteme, das wir in Baden-Württemberg haben. Daher sind wir sehr besorgt über den durch das Ammoniumnitrat ausgelösten Schaden. Große Teile der Jagst und ihrer Nebengewässer sind als europäische Vogelschutz- und FFH-Gebiete ausgewiesen. (...)" Von den Auswirkungen der Gewässerverunreinigung sind insgesamt fünf FFH- und ein großflächiges europäisches Vogelschutzgebiet sowie einzelne Naturschutzgebiete betroffen. Die aus europäischer Sicht relevanten Arten sind die Kleine Flussmuschel, die Fischarten Bitterling und Groppe sowie der Eisvogel. Der Eisvogel ist mittelbar betroffen, da durch den Wegfall der gesamten Fischpopulation in der Jagst ein Großteil seiner Nahrungsgrundlage entfällt.

Alle Infos über das Jagst-Desaster

Eine gute, chronologisch angeordnete Übersicht über den Ablauf der Ereignisse an der Jagst bieten die HEIDENHEIMER ZEITUNG bzw. das HOHENLOHER TAGBLATT auf ihrer Homepage
http://iphoneapp.hz-online.de/crailsheim/Umweltkatastrophe_Jagst./
(ab dem zehnten abgerufenen Artikel ist eine Registrierung erforderlich.)

Informationen gibt es auch auf den Internetseiten
der Landratsämter
- Schwäbisch Hall (www.lrasha.de),
- Hohenlohekreis (www.hohenlohekreis.de) und
- Heilbronn (www.landkreis-heilbronn.de) - jeweils
unter "Aktuelles" (zumindest bis zum 13.09.15).


Bioethanol im "Amazonas des Nordens": Über 4 Tonnen tote Fische

Ein angeblich versehentlich geöffneter Schieber hat in der Bioethnal-Fabrik Anklam Ende August zu einem großen Fischsterben in der Peene in Mecklenburg-Vorpommern geführt. Die Behörden fischten aus einem mehren Kilometer langen Abschnitt der Peene 4,4 Tonnen tote Fischkadaver heraus. Dazu kommt eine unbekannte Menge von Fischen, die von ehrenamtlichen Helfern geborgen worden waren. Ferner sind wohl zahlreiche verendete Fische auf den Flussgrund abgesunken. Das große Fischsterben gilt als besonders tragisch, weil sich die Peene als "Amazonas des Nordens" durch eine besonders hohe Artenvielfalt auszeichnet. Die Peene ist Kern des 334 Quadratkilometer großen Naturparks Peenetal. Die Penne ist einer der letzten unverbauten Flüsse Deutschlands. Aus der Bioethanol-Fabrikation sollen vom 29. August bis zum 1. Sept. unbemerkt 1.000 Kubikmeter einer Mischung aus Bioethanol (20%) und Wasser (80%) ausgelaufen sein. Im Nahbereich der Einleitung sollen die Fische direkt an einer Alkoholvergiftung verendet sein. Weiter weg von der Einleitungsstelle habe der mikrobielle Abbau des Alkohols in der Peene derart viel Sauerstoff gezehrt, dass die Fische erstickt seien. "Tausende Fische trieben tot auf der Peene oder rangen sterbend nach Luft, darunter meterlange Hechte, starke Zander, Barsche und andere Arten", hieß es in Presseberichten. Die Wasserschutzpolizei sei "bei Kontrollen auf rund zehn Kilometern durch einen regelrechten Teppich aus toten Fischen" gefahren. Die Einleitungsstelle war von der Feuerwehr großräumig abgesperrt worden, weil durch den verdunstenden Alkohol Explosionsgefahr befürchtet wurde. Eine Schwimmhalle und vier anliegende Wohnhäuser waren sicherheitshalber evakuiert worden. Wie bei derartigen Vorfällen inzwischen üblich, sprach die Geschäftsführung der Zuckerfabrik zunächst von "Sabotage". Ansonsten sei es nicht erklärbar, wie das Bioethanol-Wasser-Gemisch in den Fluss gelangt sein könnte. Der umweltpolitischen Sprecherin der GRÜNEN Landtagsfraktion im Schweriner Landtag waren die gewundenen Erklärungen der Fabrik und der Behörden mehr als sonderbar vorgekommen - Dr. Ursula Karlowski:

"Nach den wasserrechtlichen Vorschriften muss sichergestellt werden, dass im Havariefall von Industrieanlagen keine wassergefährdenden Stoffe in ein angrenzendes Gewässer gelangen. So verstehe ich nicht, warum im Bereich der Bioethanolanlage offenbar Rohrverbindungen in Richtung Peene existieren, über die das Ethanolgemisch sehr leicht abfließen konnte. Regelkonform wären hier Auffangbehälter, die im Fall einer Havarie die wassergefährdenden Stoffe zurückhalten. (...) Auch die Kontrolltätigkeit der Behörden werde ich hinterfragen."

Die Umweltverbände in Meck-Pomm hatten ebenfalls Akteneinsicht bei den zuständigen Behörden beantragt. Die Umweltverbände haben schon seit langem den Eindruck, dass in der Zuckerfabrik und in der Bioethanolproduktion nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Die Anklamer Bioethanol GmbH gehört zur Zuckerfabrik Anklam. Und die Zuckerfabrik ist wiederum in Besitz des niederländischen Suiker-Unie-Konzerns.

Agrosprit-Desaster zwischen Fischsterben und fehlender Alkoholsteuer

Am 2. Sept. hatte die Firma bekannt gegeben, dass man eine geöffnete Revisionsleitung im Bioethanol-Tanklager festgestellt habe. "Ein Hahn habe offen gestanden und ein zur Sicherung vorhandener Deckel sei entfernt gewesen." Das Leitungssystem des Bioethanol-Tanklagers sei seit 2008 in Betrieb und erst Ende August der vorgeschriebenen Sicherheitsüberprüfung unterzogen worden. "Unklar sei, wieso die Sicherheitsarmatur nicht verschlossen war. Dadurch sei der geschlossene Charakter des Rohrleitungssystems nicht mehr gewährleistet gewesen und Bioethanol in das Regenwassersystem gelangt." Bis zur genaueren Klärung der Havarieursachen war die Bioethanol-Produktion kurzzeitig eingestellt worden. Nach Aussage des Hauptzollamtes Stralsund muss aber bei Leckagen dieser Art die Produktion generell ausgesetzt werden. Hintergrund ist die Besteuerung von Ethanol: Solange nicht klar ist, ob und wieviel davon verloren gegangen ist und wieviel Steuereinnahmen dadurch fehlen, muss die Anlage stillstehen. Für Verwirrung haben außerdem Äußerungen des Zolls gesorgt, dass nach einer Prüfung gar kein Ethanol gefehlt habe. Nach Recherchen des NDR soll darüber hinaus für die Verbindung zwischen dem Rohrsystem in der Produktion und dem Rohrsystem der Regenwasserableitung keine Genehmigung vorgelegen haben. Die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg muss jetzt all diesen Unklarheiten nachgehen. Die Staatsanwalt ermittelt bereits in zwei weiteren Fällen gegen die Zuckerfabrik. Zum einen hatte das Staatliche Amt für Landwirtschaft und Umwelt schon im März 2015 Strafanzeige wegen "ungenehmigten Betriebes einer Anlage" gestellt. Konkret geht es um die zur Zuckerfabrik gehörenden Klärteiche. Bei einer Kontrolle sei aufgefallen, dass "organisch hoch belastetes Abwasser" in Teichen zwischengelagert worden sei, die dafür nicht genehmigt waren, so ein Amtssprecher. Zum anderen hatte das Landesamt für Umwelt und Geologie im Febr. 2015 eine Anzeige eingereicht, weil die Zuckerfabrik dubiose und falsch deklarierte Abfälle aus den Niederlanden verarbeitet habe.

Minister: "Keine Umweltkatastrophe - nur ein erheblicher Unfall"

Am 15. Sept. hatte der Umweltminister von Meck-Pomm, Till Backhaus (SPD), die Zuckerfabrik in Anklam besucht, um die Zuckerrübenkampagne 2015 zu eröffnen. Dabei erklärte der Minister, was Minister in solchen Fällen immer erklären: "Was hier passiert ist, darf nicht noch ein Mal geschehen" (vgl. die obenstehend zitierten Ministeräußerungen zum Fischsterben in der Jagst). Das verheerende Fischsterben stufte der Minister nicht als Umweltkatastrophe, sondern nur als "erheblichen Unfall" ein. Für eine Umweltkatastrophe hätte "mehr als ein Landkreis betroffen" sein müssen. Backhaus deutet an, dass der Zuckerfabrik-Mutter und ihrer Agrosprit-Tochter in der weitgehend deindustrialisierten Ostseeregion tunlichst nicht allzu viel passieren dürfe. Der Minister unterstrich die ökonomische Bedeutung der Zuckerfabrik für die strukturschwache Region: Für die Zuckerfabrik bauen 378 Vertragslandwirte in Meck-Pomm Zuckerrüben an. Für dieses Jahr werden 1,2 bis 1,3 Millionen Tonnen Rüben erwartet. Darauf werden in Anklam etwa 112.000 Tonnen Zucker und 70.000 Kubikmeter Bioethanol sowie über 10 Millionen Kubikmeter Biogas hergestellt.

"Das zeigt die Vielseitigkeit der Rübe und dank ihr können rund 220 Menschen aus der Region direkt in der Zuckerfabrik sowie weitere Mitarbeiter in den Fuhrunternehmen beschäftigt werden. Außerdem wird für die Landwirte Planungssicherheit geschaffen", bilanzierte der Minister anlässlich seines Besuchs.

*

Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1071
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU),
Rennerstr. 10, 79106 Freiburg i. Br.
Tel.: 0761 / 27 56 93, 456 871 53
E-Mail: nik[at]akwasser.de
Internet: www.akwasser.de, www.regioWASSER.de
 
Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF kann abonniert werden durch Voreinzahlung
von 30 Euro für 30 Ausgaben auf das Postbankkonto Arbeitsgruppe
Wasser, Kto-Nr. 41952 757, Postbank Klrh., BLZ 660 100 75.
 
Meinungsbeiträge geben nicht in jedem Fall die Position des BBU wieder!
Die Weiterverwendung der Informationen in diesem RUNDBRIEF ist bei
Quellenangabe (!) erwünscht!
© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Oktober 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang