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KATASTROPHEN/090: Zu wenig Wasser, zu viel Salz - Wie weiter nach dem Oder-Fischsterben? (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Winter 2022
Mitgliedermagazin des NABU (Naturschutzbund Deutschland) e.V.

Zu wenig Wasser, zu viel Salz
Wie weiter nach dem Oder-Fischsterben?

von Nicole Flöper


Inzwischen ist klar, wie es zu dem dramatischen Fischsterben in der Oder kommen konnte: Es war menschengemacht. Erhöhter Salzgehalt führte zum Wachstum einer Alge, die giftige Substanzen erzeugte. Die Uhr tickt, denn so eine Katastrophe kann sich an jedem anderen Fluss in Deutschland wiederholen.

Der Sommer 2022 war für alle hart: Krieg in der Ukraine, Klimakrise und Hitzewelle - fast täglich erreichten uns neue Schreckensmeldungen. Im August schockierten Bilder von Massen toter Fische an der Oder. Nach zwei Monaten Aufklärungsarbeit kam dann das Ergebnis: Neben einer bereits bestehenden permanenten Strapazierung des Flussökosystems durch industrielle Einleitungen gilt als letztendlicher Auslöser der sprunghaft gestiegene Salzgehalt. Dieser führte zur Blüte einer Brackwasseralge, die für Fische und andere Wasserorganismen tödliche Substanzen erzeugte.

Offen ist allerdings, wie die Brackwasseralge Prymnesium parvum, die normalerweise in Küstengewässern vorkommt, ins Binnenland geraten konnte. Klar ist: Durch die extreme Wetterlage in diesem Sommer mit hohen Temperaturen und geringem Wasserabfluss wurde die Salzeinleitung kaum verdünnt und die Algenblüte extrem begünstigt. Dies führte zur Katastrophe.

Davon sind auch Neunaugen, Muscheln, Krebse, Wasserflöhe, eine ganze Generation von Insekten im Larvenstadium und Vögel betroffen. Die Vögel finden kein Futter mehr, denn die Insekten und Flussbewohner sind verendet.

Regelmäßiges Fischsterben in Polen

"Die Oder ist kein sauberer Fluss. Es gibt seit Jahren ganz massive Abwassereinleitungen - vor allem in Polen. Wir wissen von Kolleg*innen vor Ort, dass Fischsterben dort regelmäßig auftritt. Die polnischen Naturschützer*innen waren daher überhaupt nicht überrascht. Für sie war nur interessant, dass das jetzt plötzlich so weit reicht", beurteilt Rocco Buchta, Leiter des NABU-Instituts für Fluss- und Auenökologie, die Situation. Es kommt häufig vor, dass chemische Abwässer und Salze in Flüsse geleitet werden, auch in Deutschland - und gerade Salze sind nicht alle meldepflichtig.

Klage gegen den geplanten Oderausbau

Die Bundesregierung hat sich dazu verpflichtet, die Auenlandschaft der Oder zu schützen. Im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition heißt es: "Das bestehende Naturerbe an Oder und Mittelelbe schützen wir." Das Bundesumweltministerium hat bereits Maßnahmen für eine Regeneration der Oder vorgelegt.

"Vielleicht kann man sich in 20 Jahren positiv an den Sommer 2022 erinnern, ab dem dann die Wunden der Oder geheilt wurden."

Der NABU fordert, den im deutsch-polnischen Abkommen von 2015 festgelegten Ausbau der Oder zu stoppen und stattdessen den Fluss zu regenerieren und alle Planungen an der Oder in Einklang mit EU-Umweltrecht zu bringen. Gegen die Ausbaupläne der polnischen Regierung klagt der NABU in einem Aktionsbündnis mit Deutschem Naturschutzring und BUND Brandenburg. Im Juni 2022 haben die Umweltverbände einen ersten Teilerfolg erreicht: Der Beschluss der zuständigen polnischen Umweltbehörde zum sofortigen Vollzug des Ausbaus wurde gerichtlich aufgehoben und die Behörde dazu verpflichtet, einen neuen Beschluss zu erlassen und dabei die grenzüberschreitenden Auswirkungen des Projektes auf geschützte Arten und Lebensräume besser zu berücksichtigen.

Vorbild Rhein-Zusammenarbeit?

Im November 1986 kam es in Basel zu einem verheerenden Chemieunfall, der auf dem Rhein auf rund 400 Kilometern Flusslänge ein Fischsterben verursachte. Die Auswirkungen auf das Ökosystem waren Jahrzehnte lang messbar. Ein Jahr nach der der Sandoz-Katastrophe startete das 'Aktionsprogramm Rhein': Damit sollten die Wasserqualität und das Ökosystem Rhein nachhaltig verbessert werden, was auch gelungen ist. "Am Rhein gab es den Beweis, dass, wenn alle zusammenarbeiten, am Ende auch das Gewässer wieder sauber wird. Schiffe fahren bis heute auf dem Rhein und trotzdem ist der Fluss sauber. Das könnte man auch an der Oder machen, ohne dass die Schifffahrt aufgegeben werden muss", findet Rocco Buchta.

Es bedarf also eines umfassenden Wiederherstellungsprogramms. Unter der Federführung der Internationalen Kommission zum Schutz der Oder gegen Verunreinigung (IKSO) müssen die drei Anrainer Polen, Deutschland und Tschechien beteiligt werden, fordert der NABU gemeinsam mit anderen Umweltverbänden. Das Programm soll dafür sorgen, dass die Schäden behoben und Wasserqualität und Trinkwasserschutz sowie der Schutz der Lebensräume verbessert werden. Auch das Ökosystem als Ganzes könnte so widerstandsfähiger gemacht und damit auch die begonnene Wiederansiedlung des Störs gesichert werden.

Wichtige Rolle der Auen für Klima und Artenvielfalt

Trotz der Katastrophe weisen die Oder und ihre Auen noch riesige naturnahe Lebensräume auf. Solche Auenlandschaften sind auch für uns Menschen wichtige Ökosysteme - nicht nur im Zusammenhang mit Klima- und Biodiversitätsschutz, sondern als Krisenvorsorge. Bei Hochwasser etwa helfen sie als Puffer, das überschüssige Wasser aufzunehmen und so die Gefahren für angrenzende Städte und Dörfer zu senken. Sie spielen für den natürlichen Hochwasserschutz eine große Rolle. Bedingt durch die Klimakrise und die Art, wie wir leben und die Flächen nutzen, werden solche Extremwetterereignisse vermutlich stark zunehmen.

Die Folgen der Oderkatastrophe sind dramatisch. Betroffen sind nicht nur die Tiere und Pflanzen des Flusses, sondern auch Anwohner*innen, Fischer*innen und der Tourismus. Aber vielleicht kann man sich in 20 Jahren positiv an den Sommer 2022 erinnern, weil ab dann die Wunden der Oder geheilt wurden.

Weitere Infos unter www.saveoder.org


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
• Blick über die Oder
• Der seltene Wasserschlauch
• Oderkatastrophe 2022: Tote Muscheln und Fische am Ufer

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Quelle:
Naturschutz heute - Winter 2022, Seite 20-21
(in der Online-Fassung)
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
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ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 2. Juni 2023

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