Helmholtz-Zentrum Hereon - 18.04.2023
"Berliner Erklärung" zum Schutz der Polargebiete vor Schadstoffen
Die Polargebiete sind einer zunehmenden Belastung von Schadstoffen ausgesetzt. Unter Federführung des Helmholtz-Zentrums Hereon und des Umweltbundesamtes (UBA) formulierten nun Expertinnen und Experten der Europäischen Kommission, des Stockholmer Übereinkommens, des Arktischen Rats und der Antarktisvertragsstaatenkonferenz, Umweltprobenbanken, Datenzentren sowie führender Forschungseinrichtungen die "Berliner Erklärung". Die daraus resultierenden Handlungsempfehlungen wurden jüngst im Journal Chemosphere veröffentlicht.
Ökologische Krisen wirken sich auch in den entlegensten Ecken der Erde aus. So sind die Polargebiete durch langlebige Schadstoffe stark belastet. Das können bekannte Chemikalien sein, es kommen aber immer mehr bisher übersehene Substanzen dazu. Die Autoren der Berliner Erklärung (Berlin statement on legacy and emerging contaminants in polar regions) heben als Ergebnis ihres internationalen Workshops hervor, dass Gegenmaßnahmen unterschiedlicher Akteure nötig sind, um die verursachte Belastung wirksam zu reduzieren.
Deshalb haben die Forschenden um Prof. Ralf Ebinghaus, Leiter des Hereon-Instituts für Umweltchemie des Küstenraumes, zehn Handlungsempfehlungen entwickelt und sie mit Vorschlägen zur konkreten Umsetzung versehen. Die Berliner Erklärung will Screening, Überwachung, Risikobewertung, Forschungszusammenarbeit und den offenen Datenaustausch fördern und so die polare Umwelt besser schützen. Der auf dem Workshop erzielte Konsens lässt sich in drei Worten zusammenfassen: "Handeln Sie jetzt!"
1. Schärfung des Problembewusstseins in Politik und
Öffentlichkeit
Klimawandel, Verlust der Biodiversität und Schadstoffbelastung
hängen zusammen und stellen gemeinsam eine Gefahr für Ökosysteme
dar, die sich in den Polregionen besonders auswirkt. Um das
Bewusstsein für die Probleme der weit entlegenen Polargebiete zu
wecken, müssen Medien und Bildungsprojekte die Probleme den
Bürgerinnen und Bürgern nahebringen. Das Vorsorgeprinzip und die
Strategien zur Überwachung, Abschwächung und Beseitigung der
Schadstoffbelastung müssen indigenes und traditionelles Wissen
berücksichtigen.
2. Anwendung des Vorsorgeprinzips
Das Vorsorgeprinzip ist ein Ansatz, der frühzeitige
Entscheidungen zum Schutz der arktischen und antarktischen Umwelt
ermöglicht: Zum Beispiel umsetzbare Maßnahmen auf der Grundlage
automatisierter Erhebungen auf nationaler und internationaler
Ebene, die das Ausmaß der Giftigkeit, Langlebigkeit und
Umweltmobilität einzeln oder in Kombination mit einbeziehen.
3. Verbesserung der Vernetzung
Um aus Wissen Handlung abzuleiten, ist eine effektive Vernetzung
und Kommunikation zwischen relevanten Akteuren und
Interessengruppen nötig. So können Forschungsfragen
zielgerichteter adressiert werden, die von den nationalen und
internationalen Akteuren benötigt werden (z. B. Europäische
Kommission, Europäische Chemikalienagentur, Stockholmer
Konvention).
4. Bessere Nutzung von Überwachungsdaten
Bei ca. 350.000 registrierten Chemikalien ist eine Priorisierung
wichtig, wenn das Gefährdungspotential für polare Ökosysteme im
Vordergrund stehen soll. Hierzu sollten die Kriterien der
internationalen Regulierung herangezogen werden, besonders
Langlebigkeit und Reichweite. Wichtig ist, dass harmonisierte
Daten über das Vorkommen an beiden Polen regelmäßig erhoben und
veröffentlicht werden.
5. Aktualisierung der Paradigmen zum Schutz der
Polarregionen
Die Zahl der Schadstoffe nimmt rasant zu. Das wirft die Frage
auf, ob die bestehenden Ansätze zu Bewertung und Management von
Chemikalien noch zeitgemäß sind. Problematisch ist, dass
Schadstoffe vermehrt nachgewiesen werden, die an den Polen nach
bisherigen Bewertungen nicht zu erwarten wären. Derzeit gelten
mehr als 800 Substanzen als "potentiell bedenklich für die
Arktis".
6. Ausbau und Harmonisierung der Überwachung
Während das Monitoring in der Arktis durch nationale und
regionale Programme etabliert ist, ist dies für die Antarktis
bisher nicht der Fall, und eine systematische Probenahme und
Datensammlung ist zu entwickeln. Für die Arktis müssen zunehmend
lokale Schadstoff-emissionen untersucht werden wie Öl- und
Gasförderung sowie Bergbau und Industrie, militärische
Einrichtungen, kommunale Infrastruktur, Verkehr, Betrieb von
Forschungsstationen, Großfischerei, Tourismus und Siedlungen.
7. Entwicklung innovativer Screening-Programme
Neben der klassischen, zielgerichteten chemischen Analytik sind
neue Ansätze verfügbar, die zur Weiterentwicklung der
Schadstoffüberwachung nutzbar sind. Zusätzlich zum breiten
chemischen Screeningverfahren sind hier in erster Linie neue
Modellansätze zur Wirkungsabschätzung sowie maschinelles Lernen
zur Identifizierung neuer Problemstoffe zu nennen.
8. Ausbau von Umweltprobenbanken
Umweltprobenbanken sind nationale Einrichtungen, die formelle
Programme und standardisierte Protokolle für die Sammlung,
Verarbeitung und Archivierung von Umweltproben für die künftige
Forschung entwickeln und anwenden.
Ihre Probenarchive bieten Möglichkeiten zur rückwirkenden
Betrachtung und Bewertung zeitlicher und geografischer
Veränderungen der Chemikalienbelastung der letzten Jahrzehnte. In
der Arktis werden die Schadstoffprogramme schon systematisch
durch Umweltprobenbanken unterstützt, für die Antarktis ist das
ebenfalls dringend erforderlich.
9. Gewährleistung eines offenen Datenzugangs
Daten können heute schon von einzelnen etablierten
Datenplattformen zu spezifischen Themen abgerufen werden oder
sind in wissenschaftlichen Berichten oder Artikeln zu finden. Es
fehlt allerdings ein zentraler, umfassender und offener Zugang zu
Daten über Schadstoffe an den Polen. Generell gilt: Im Vergleich
zur Arktis gibt es in der Antarktis erhebliche Datenlücken, die
gefüllt werden müssen.
10. Einrichtung von digitalen Plattformen
Die digitale Einlagerung von Ergebnissen bereits vermessener
Proben in langfristig zugänglichen Repositorien und virtuellen
Umweltprobenbanken bietet neue Möglichkeiten für die
nachträgliche Auswertung von Daten, wenn neue Methoden oder
Erkenntnisse zu Schadstoffen in Polarregionen aufkommen.
Originalpublikation:
https://doi.org/10.1016/j.chemosphere.2023.138530
Weitere Informationen:
https://hereon.de/innovation_transfer/communication_media/news/110343/index.php.de
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Helmholtz-Zentrum Hereon - 18.04.2023
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 25. April 2023
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