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MASSNAHMEN/183: Ein Vogelparadies auf dem "Land des Friedens" (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 7/2011

Ein Vogelparadies auf dem "Land des Friedens"

Von Peter Berthold und Arnold Sombrutzki


Auch in Deutschland lässt sich Artenrückgang von Vögeln stoppen und sogar Artenvielfalt von Tieren und Pflanzen wieder aufbauen. Ein Beispiel dafür bieten die neu eingerichteten Feuchtgebiete in Sielmanns "Biotopverbund Bodensee". Selbst unsere Offenland-Fauna ist noch regenerationsfähig, wenn man ihr durch Renaturierung hilft: Eine seit 15 Jahren tier- und pflanzenfreundlich bewirtschaftete Hofgutfläche beherbergt wieder eine Vogelfülle, wie sie bei uns bis in die 1950er Jahre typisch war.


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Als Peter Berthold im Mai 2009 auf dem "Land des Friedens" bei Würzburg zu Aufnahmen für eine TV-Sendung über die ganzjährige Zufütterung von Vögeln eingeladen war, fiel ihm die Konzentration auf das Thema schwer. Ständig tauchten Vögel auf, die heute relativ selten geworden sind. In der Hecke vor ihm sang eine Dorngrasmücke, unweit von ihr stieg ein Baumpieper auf, dahinter ließen eine Klappergrasmücke und ein Feldschwirl ihr Lied erklingen, in der Nähe sangen weitere Dorngrasmücken, ans Futterhaus am Waldrand flog eine Turteltaube, und der Himmel über den Feldern war voll singender Feldlerchen, die gar nicht zu zählen waren. Eine derartige Fülle an offenkundigen Brutvögeln hatte er in Deutschland seit den 1950er Jahren nicht mehr erlebt; in Mitteleuropa in jüngerer Zeit nur in Ostpolen. Schnell war beschlossen, im Gebiet eine möglichst genaue Bestandserfassung zu organisieren, um die geradezu paradiesischen Vogelbestände zu dokumentieren. Diese Arbeit übernahm 2010 Arnold Sombrutzki; sie führte zu erstaunlichen und beachtenswerten Ergebnissen.



Ein Stück Land wie in der "guten alten Zeit"

2000 begann die Internationale Gabriele-Stiftung in Zusammenarbeit mit dem Hofgut "Terra Nova" in Unterfranken etwa 10 km westlich von Würzburg eine bis 1990 intensiv (zur Saatgutproduktion) genutzte und dabei verödete Agrarlandschaft wieder zu beleben. Dabei sollten zum einen durch ausschließlich ökologisch ausgerichteten Landbau und zum anderen durch vielfältige Biotop-Neugestaltung auch viele Wildtiere und -pflanzen eine neue Heimat finden. Das insgesamt 550 ha große Hofgut wurde eingerichtet mit 110 ha Ackerflächen, 100 ha Wiesen und Weiden, 100 ha Wald und 240 ha kleineren Biotopen. Die Ackerflächen werden nach dem Prinzip der Dreifelderwirtschaft für Getreideanbau genutzt, wobei das Drittel an ruhenden Brachflächen mit der Einsaat von Klee, Ölrettich, Insektenweide usw. für Nährstoffzufuhr sorgt. Auf Düngung mit Mist und Gülle sowie auf den Einsatz jeglicher Agrarchemikalien wird verzichtet. Die genutzten Äcker werden von etwa 12 ha Ackerrandstreifen mit Blütenpflanzen umsäumt. Auf den Weiden leben rund 500 Rinder und Schafe. Der Wald umfasst neben größeren Flächen 35 Feldgehölze und Bauminseln, 70 ha aufgeforsteten Jungwald sowie 2,5 ha Sukzessionsflächen, die Wald allmählich wieder entstehen lassen. An der Spitze der kleineren Biotope stehen 20 km (!) Hecken (Baum- und Benjeshecken), 5 ha Trockenrasen mit einem aufgelassenen Steinbruch, sechs kleine Feuchtbiotope sowie Regenwasserauffangbecken und vier Steinbiotope. Für höhlenbrütende Kleinvögel stehen 2800 Nistkästen zur Verfügung, für Dohlen, Eulen, Fledermäuse u.weitere 140 Nisthilfen. Zwanzig übermannshohe Futterhäuser mit Vorratssilos sowie viele weitere kleinere Futterstellen und Tränken versorgen Vögel u. a. rund ums Jahr mit zusätzlicher Nahrung (Näheres siehe www.gabriele-stiftung.de). Damit ist das "Land des Friedens" ein Eldorado für Tiere und Pflanzen, wie es etwa den Idealvorstellungen einer Lina Hähnle und ihrem einstmaligen "Bund für Vogelschutz" entsprochen hätte. Als eine "Insel der Glückseligen" liegt es inmitten einer ausgeräumten Agrar-Einöde.



Vogelzählung von März bis Juli

Für eine große Probefläche sollte eine kommentierte Artenliste mit weitgehend verlässlicher Erfassung der jeweiligen Brutpaare gewonnen werden. Um dieses Ziel mit vertretbarem Aufwand zu erreichen, wurde etwa die Hälfte der Fläche (270 ha) im Kernbereich des Gutes mit viel offenem Gelände und Kleinbiotopen als Untersuchungsfläche gewählt, die sich wie folgt zusammensetzt: Wiesen und Weiden 55%, Äcker 30%, Wald 15%, darauf an Kleinbiotopen 14 km Hecken, 13 Feldgehölze, 18 ha Spalierobstanlagen, 7,5 ha Streuobstwiesen, fünf Feuchtgebietszellen und vier Regenrückhaltebecken. Die Bestandserfassung umfasste vier flächendeckende Kartierungen in jeweils zwei Tagen, und zwar am 17./18. März, 21./22. April, 4./5. Mai und 1./2. Juni 2010, jeweils von der Morgendämmerung bis gegen elf Uhr. An sechs Tagen wurde auch abends bis in die Nacht hinein beobachtet. Zusätzlich sind von Ende April bis Mitte Mai alle 720 künstlichen Nisthilfen auf der Probefläche kontrolliert und ihre Bewohner registriert worden. Die Ermittlung der Anzahl der Brutpaare der beobachteten Arten erfolgte hauptsächlich nach der Revierkartierungsmethode bei reduziertem Begehungsaufwand, ergänzt durch vielerlei Zusatzbeobachtungen. Damit ist davon auszugehen, dass die Brutvogelarten des Gebietes zumindest nahezu vollständig erfasst wurden. Die Revierzahlen sind als Näherungswerte anzusehen, was für die hier vorgesehene Gebietscharakterisierung ausreicht. Um eine Vergleichsstichprobe der konventionell bewirtschafteten Feldfluren vom Umland des Hofgutes zu erhalten, wurden am 22. April zwischen Greußenheim und Hettstadt alle revieranzeigenden Vögel auf 27 ha registriert, die mit Ackerland, etwas Grünland, Feldgehölz und Hecken der typischen landwirtschaftlich genutzten "Normallandschaft" der Region entsprechen.



Das Vogelparadies

Auf der Probefläche des Hofgutes "Land des Friedens" ließen sich 88 Vogelarten feststellen, davon 69 als Brutvögel mit einer Gesamtsumme von 1100 Brutpaaren (4,1 Brutpaare pro Hektar). Von den 19 weiteren Arten waren elf Nahrungsgäste (Dohle, Graureiher, Kolkrabe, Mauersegler, Mehlschwalbe, Rohrweihe, Rotmilan, Schleiereule, Schwarzmilan, Sperber und Turmfalke) und acht Durchzügler (Bergfink, Braunkehlchen, Erlenzeisig, Fichtenkreuzschnabel, Reiherente, Rohrammer, Steinschmätzer und Wiesenpieper). Eine solch hohe Arten- und Individuendichte von Brutvögeln auf kleinem Raum in der "Normallandschaft" war für Deutschland bis in die 1950er/1960er Jahre typisch. So wies etwa eine Probefläche der Mosaiklandschaft im Bodenseeraum (Gemeinde Möggingen bei Radolfzell) zu jener Zeit auf 4 km2 sogar über 100 Brutvogelarten auf, bedingt durch einen wesentlich höheren Anteil an Feuchtbiotopen. Die 1650 Brutpaare machten wie im "Land des Friedens" ebenfalls 4,1 Brutpaare pro Hektar aus. Schon vor zehn Jahren waren jedoch Artenzahl und Individuendichte der Fläche in Möggingen um rund ein Drittel zurückgegangen, die Abnahme hält an.

Was die "Normallandschaft" heutzutage an Vögeln beherbergt, zeigt die Stichprobe auf den 27 ha konventionell bewirtschafteter Agrarfläche im Umland des "Land des Friedens". Dort wurden gerade einmal neun Vogelarten mit insgesamt zwanzig Brutpaaren festgestellt (also 0,7 Brutpaare pro Hektar; Feldlerche acht, Goldammer und Mönchsgrasmücke je drei Paare, Blaumeise, Buchfink, Buntspecht, Kohlmeise, Rotkehlchen und Zilpzalp je eines). Hochgerechnet auf die 270 im "Land des Friedens" wären das rund 200 Brutpaare, also nur 18% der Brutpaare im "Vogelparadies". Wäre die Kontrollfläche von 27 ha öfters begangen worden, hätte sich die ermittelte Anzahl an Vögeln sehr wahrscheinlich noch etwas erhöht, wäre aber dennoch weit unter der des Hofgutes geblieben. Ähnlich niedrige Brutvogeldichten wie für die Kontrollfläche werden bereits für die 1970er Jahre z. B. für Bayern und Mecklenburg aufgeführt. Ein eindrucksvolles Beispiel für den drastischen Rückgang der Vogelwelt in der "Normallandschaft" liegt auch aus einem Nachbargebiet des "Land des Friedens" vor: Hassel hatte 1962 in Klepsau im mittleren Jagsttal (Nordwürttemberg, mit einem bäuerlich geprägten Ortskern) den Bestand aller Brutvögel quantitativ erfasst. Im 9,3 ha großen Ortskern konnten 28 Brutvogelarten mit insgesamt 254 Revieren ermittelt werden (27,3 Brutpaare pro Hektar). Die Bestandserfassung wurde im Jahr 2000 im selben Untersuchungsgebiet von Hölzinger wiederholt - sie ergab einen deutlichen Einbruch bei den Brutvogelarten auf nur noch 19 und bei den Brutpaaren auf 77, also Rückgänge von 32% bzw. 70%.

Die herausragenden Besonderheiten der Vogelwelt im "Land des Friedens" sind: Von den 69 festgestellten Brutvogelarten werden 21 - also 30% - in der Roten Liste Bayerns geführt und 13 - rund 20% - in der Roten Liste Deutschlands. Davon sind vor allem die stark gefährdeten und gefährdeten Arten von Interesse, also Grauspecht, Rebhuhn und Wendehals sowie Baumpieper, Bluthänfling, Feldlerche, Gartenrotschwanz, Schafstelze und Turteltaube, wobei die Feldlerche mit 55 Brutpaaren eine erstaunliche Dichte erreicht. Auch zwei Arten der Vorwarnliste sind in hervorragender Dichte vertreten: der Feldsperling mit 116 und die Goldammer mit 95 Paaren. Und wenn man bedenkt, dass von der Dorngrasmücke bis in die 1960er Jahre rund 50 Paare allein in Möggingen brüteten, während man heutzutage im ganzen Bodenseeraum restliche Einzelpaare sozusagen mit der Lupe suchen muss, sind 27 Paare auf der Probefläche geradezu sensationell. Das gilt auch für die Klappergrasmücke als Art der Vorwarnliste mit sieben Paaren. Nimmt man die 20 Paare Garten- und 53 Paare Mönchsgrasmücken hinzu, ist das Gebiet geradezu ein Grasmückenparadies. Man kann auf dem "Land des Friedens" selbst auf einer kurzen Vogelstimmenexkursion an vielen Stellen alle vier heimischen Grasmückenarten vorführen, was vor Jahrzehnten noch vielerorts, heute hingegen nur noch in Ausnahmefällen möglich ist. Ähnliches gilt für die drei Laubsängerarten Fitis, Waldlaubsänger und Zilpzalp.

Nachgewiesene Vogelarten im Untersuchungsgebiet, aufgeschlüsselt nach Vogelart und Anzahl der entsprechenden Reviere


Wiederbelebung einer verödeten Umwelt

Das "Land des Friedens" - ein Vogelparadies - ist nicht etwa durch behutsames Wirtschaften aus "grauer Vorzeit" herübergerettet worden, sondern eine gelungene Wiederbelebung unserer Heimat. Bis vor etwa 15 Jahren war das Land eine typisch verödete Nutzlandschaft Mitteleuropas. Durch ökologisch ausgerichtete Landwirtschaft, verbunden mit Biotop-Neugestaltung, ließ sich in nur eineinhalb Jahrzehnten eine staunenswerte Lebensvielfalt wieder "herstellen". Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger: Auch wenn wir in unserer inzwischen öden Agrar-"Normallandschaft" nur isolierte Ökozellen in der Größe von mehreren Quadratkilometern neu gestalten, ist unser inzwischen vogelarm gewordenes Land noch in der Lage, Zustände zu regenerieren, wie sie zuletzt vor einigen Jahrzehnten herrschten. Diese Regenerationsfähigkeit sollten wir mit allen Mitteln nutzen, um Artenvielfalt wieder aufzubauen, solange dies noch möglich ist. Sind erst einmal Zustände erreicht wie z. B. in riesigen Gebieten Chinas, in denen kaum noch ein Vogel singt, könnte auch ein "Land des Friedens" kein Vogelparadies mehr aufleben lassen.


Prof. Dr. Peter Berthold, Direktor am Max-Planck-Institut für Ornithologie, Vogelwarte Radolfzell, Tätigkeiten: Grundlagenforschung zum Naturschutz und Aufbau des Biotopverbundes Bodensee.

Arnold Sombrutzki ist beruflich als selbstständiger Landschaftsökologe mit Schwerpunkt Ornithologie tätig. Von 1988 bis 1990 Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie (Vogelwarte Radolfzell), bis heute auf ehrenamtlicher Basis.


Literatur zum Thema:

Berthold P 2003: Die Veränderungen der Brutvogelfauna in zwei süddeutschen Dorfgemeindebereichen in den letzten fünf bzw. drei Jahrzehnten oder: verlorene Paradiese? J. Ornithol. 144: 385-410.

Berthold P 2010: Sielmanns "Biotopverbund Bodensee": Artenvielfalt durch Restrukturierung. Falke 57: 88-94.

Bezzel E 1982: Vögel in der Kulturlandschaft. Ulmer Stuttgart.

Fischer S, Flade M, Schwarz J 2005: Standard-Erfassungsmethoden - Revierkartierung. In: Südbeck P et al (Hrsg.): Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands, Radolfzell.

Fünfstück H-J, Lossow G v, Schöpf H 2003: Rote Liste gefährdeter Brutvögel (Aves) Bayerns, Schr.-R. Bayer. Landesamt Umweltschutz 166: 39-44.

Oelke H 1984: Siedlungsdichte. In: Berthold P, Bezzel E, Thielcke G (Hrsg.): Praktische Vogelkunde, Kilda-Verlag Greven.

Südbeck P, Bauer H-G, Boschert M, Boye P, Knief W 2007: Rote Liste der Brutvögel Deutschlands, 4. Fassung, Ber. Vogelschutz 44: 23-81.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 7/2011
58. Jahrgang, Juli 2011, S. 268-273
mit freundlicher Genehmigung der Autoren und des AULA-Verlags
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2011