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MASSNAHMEN/349: Sumpfgebiete statt Suppenschüssel - Wiederansiedelung der Europäischen Sumpfschildkröte (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Herbst 2023
Mitgliedermagazin des NABU (Naturschutzbund Deutschland) e.V.

Sumpfgebiete statt Suppenschüssel
Wiederansiedelung der Europäischen Sumpfschildkröte

von Nicole Flöper


Bis nach 1945 war die Europäische Sumpfschildkröte ein beliebtes Fastengericht. Von der Speisekarte ist sie verschwunden, auf der Roten Liste steht sie trotzdem noch. Ein Projekt in Leiferde in Niedersachsen will das ändern.

Die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) ist in Deutschland vom Aussterben bedroht und streng geschützt. Sie kann bis zu 100 Jahre alt werden - wurde sie jedoch früher selten. Der Verlust des Lebensraumes durch trockengelegte Feuchtgebiete, zersiedelte Landschaften und zerstörte Sanddünen gab ihr den Rest, nachdem sie bis in die 1940er Jahre noch gerne verzehrt wurde: Vor allem zur Fastenzeit wurde sie verspeist, sie galt bei den Katholiken als "Fisch". Gut, dass sich Artenkenntnisse und Traditionen ändern können. In Deutschland gibt es mittlerweile mehrere Projekte, um die scheuen Wesen wieder anzusiedeln. Der NABU ist an einigen Projekten in Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen beteiligt.

Erfolg mit Eiablage

Beim NABU Leiferde, ein Ort zwischen Hannover und Wolfsburg, sitzen die "Emys" auf Steinen und Baumstämmen und genießen ihr Sonnenbad im Schildkrötenrondell. Die "Wiederansiedelung der Europäischen Sumpfschildkröte in Niedersachsen" ist bislang das Lieblingsprojekt von Leiterin Sabrina Schmidt, seit sie als Biologin im Naturschutz arbeitet. Begeistert erzählt sie uns von dem bisher größten Erfolgserlebnis: "2022 konnte ein Tier erstmals bei der Eiablage beobachtet werden, und der Nachwuchs ist auch geschlüpft."

Das Projekt läuft schon seit 2013, mittlerweile wurden 406 Tiere am Steinhuder Meer ausgewildert. Dafür werden die Schildkröten des Haplotyps 2a in Leiferde gezüchtet. Die genetische Bestimmung ist wichtig, um die heimischen Arten zu erhalten und nicht zu vermischen, und wird vom Senckenberg-Institut durchgeführt.

Auswilderung

Wenn die Tiere groß genug sind, dürfen sie ins Schildkrötenrondell umziehen - eine Außenanlage auf dem Gelände. Dort lernen sie, ihr Futter selbst zu fangen, und werden auf die Auswilderung vorbereitet. Wenn sie älter sind, lassen sich Männchen und Weibchen einfach unterscheiden: Die Weibchen sind größer, haben einen runderen Panzer und gelbe Augen. Männchen sind flacher und haben rote Augen. Die Kombination in den Teichbecken mit drei Weibchen zu einem Männchen sei am besten. Mehr Tiere sollten es auch nicht sein, das komme aber immer auf die Teichgröße an, so Schmidt.

Die Jungtiere in der Innenanlage werden regelmäßig gewogen. Damit man sie unterscheiden kann, bekommen sie Nagellackfarbe auf den Panzer. Das ist ungefährlich und reibt sich nach ein paar Monaten sogar häufig von allein wieder ab. Das Auswilderungsgewicht beträgt rund 54 Gramm, dann sind die Schildkröten zwei bis drei Jahre alt.

Anlage der Brutplätze

Im Steinhuder Meer wurden dafür nahe den Wohngewässern der erwachsenen Sumpfschildkröten Flachgewässer angelegt. Mit dem ausgehobenen Erdreich konnten Brutplätze angelegt werden. Diese müssen dabei stark sonnenexponiert und südlich ausgerichtet sein. "Werden Gelege durch uns gefunden, dann schützen wir diese durch Elektrozäune und Schutzgitter vor Zerstörung und Nesträubern. Besonders Waschbären setzen den Schildkröten zu - sie kommen gut mit ihren Pfoten unter den Panzer", erklärt Schmidt. Aktuell kontrollieren die Brutplätze und Gelege NABU-Mitarbeitende und ein Team aus Ehrenamtlichen. "Wir müssen die Stelle täglich von 18 bis 21 Uhr ablaufen, denn die Weibchen legen ihre Eier abends, wenn es nicht mehr zu warm ist. Dabei müssen wir die Brutplätze der Vögel meiden bzw. dürfen in bestimmte Gebiete nicht rein." Zudem helfen Kameras, das Geschehen an den Plätzen zu dokumentieren.

Nach der Schutzzeit ab September hat das Team noch eine Aufgabe: Die Schildkröten werden gefangen und wieder freigelassen, um ihre Anzahl zu ermitteln. Spezielle Fangreusen kommen dabei zum Einsatz, damit die Tiere keinen Schaden nehmen. Doch warum die Schildkröten überhaupt wieder ansiedeln? Sabrina Schmidts Hauptaufgabe ist es, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren.

"Erstens sind wir ja schuld, dass die Tiere in Niedersachsen ausgestorben sind, und zweitens benötigen die Schildkröten saubere Gewässer. Schützen wir diese, profitieren auch andere Arten davon", erklärt sie. Trotzdem ist es möglich, dass sich die Europäische Sumpfschildkröte immer mal wieder auf den Straßen Niedersachsens verirrt. Sichtungen dürfen gerne gemeldet werden.

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

  • Europäische Sumpfschildkröte
  • Die Schildkrötenweibchen sind größer, haben einen runderen Panzer und gelbe Augen. Männchen sind flacher und haben rote Augen
  • Um die Europäischen Sumpfschildkröten auseinanderzuhalten, werden sie mit Nagellack markiert
  • Außengelände der Aufzuchtstation des Wiederansiedelungsprojektes Europäische Sumpfschilkdkröte beim NABU Leiferde
  • Kontrollgang im Projekt Europäische Sumpfschildkröte am Steinhuder Meer
  • Bernd Breitfeld und Sabrina Schmidt wiegen den Schildkrötennachwuchs


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Alle Infos unter www.NABU.de/NH-Patenschaft-Schildkroete

Alle Infos zum Projekt unter www.NABU.de/NH-Schildkroete

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Quelle:
Naturschutz heute - Herbst 2023, Seite 22-23
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
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"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
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ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 31. Oktober 2023

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