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RECHT/048: Streitfall Meeresschutz (BUND SH)


Gemeinsame Pressemitteilung von DNR, BUND, DUH, GREENPEACE, NABU, WDC, WWF

Streitfall Meeresschutz

Allianz aus Umweltorganisationen verklagt Bundesregierung wegen fehlendem Meeresschutz in Nord- und Ostsee



Meeresschutz findet in Deutschland nur auf dem Papier statt: In den zehn Offshore-Schutzgebieten in Nord- und Ostsee sind auch acht Jahre nach ihrer Ausweisung keinerlei Schutzmaßnahmen in Kraft. Dagegen klagt jetzt eine Allianz der Umweltorganisationen Greenpeace, WWF, BUND, NABU, Deutsche Umwelthilfe, WDC (Whale und Dolphin Conservation) und dem Deutschen Naturschutzring (DNR), der die formell gegen das Bundesamt für Naturschutz gerichtete Klage heute am Verwaltungsgericht Köln einreichte. "Die Bundesregierung verschleppt den Schutz von Nord- und Ostsee seit Jahren und gefährdet damit bedrohte Meeresbewohner und ihre Lebensräume", kritisierten die Verbände. "In den ausgewiesenen Gebieten müssen nach EU-Recht Schweinswale, Seevögel, wertvolle Sandbänke und Riffe geschützt werden schützen. Tatsächlich darf aber jeder Quadratmeter im Schutzgebiet befischt werden, obwohl Fischerei der schwerste Eingriff ins Ökosystem Meer ist." Neben der Fischerei finden auch Sand- und Kiesabbau, der Bau von Offshore-Windkraftanlagen und die Suche nach Öl- und Gasvorkommen in den Schutzzonen statt.

Für die Regulierung der Fischerei ist in Deutschland das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) zuständig. Für das Management der zehn Schutzgebiete in der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone, dem Seegebiet zwischen 12 und 200 Seemeilen zur Küste, ist das Bundesumweltministerium (BMUB) verantwortlich. Da sich die beiden Ministerien nicht einig werden können, verwaist der Schutz der Meere seit Jahren im toten Winkel der Zuständigkeiten. Ein unhaltbarer Zustand, den die Klage der Umweltorganisationen beenden soll. Sie fordert, den Einsatz umweltschädlicher Fischereimethoden wie Grundschleppnetze und Stellnetze aus den Schutzgebieten zu verbannen. "Die skandalöse Blockadehaltung zwischen den Ministerien gefährdet unsere wertvollsten Meeresgebiete und verstößt gegen EU-Recht. Es ist absurd, wenn Schweinswale selbst in Rückzugsräumen in Stellnetzen ersticken und der Meeresboden in Schutzzonen von schwerem Fischereigerät durchpflügt wird. Zerstörerische Fischerei hat in Meeresschutzgebieten nichts zu suchen", kritisieren die Umweltschützer die Tatenlosigkeit des Fischereiministeriums. Seit die Sechs-Jahresfrist zur Einführung von Schutzgebietsverordnungen Ende 2013 abgelaufen ist, verstößt der Zustand in deutschen Gewässern auch gegen die europäische FFH-Richtlinie.

Die negativen Umweltfolgen sind den politisch Verantwortlichen bekannt: Der Zustand von wichtigen "Schutzgütern" wie Schweinswalen, Seevögeln und Riffen verschlechtert sich, wie der aktuelle FFH Bericht der Bundesregierung an die EU-Kommission beweist. Trotz wissenschaftlicher Gutachten und zwei ministeriellen Anhörungen wurden die bereits 2011 erarbeiteten Regulierungsmaßnahmen für die Fischerei nicht in Kraft gesetzt, weil der politische Streit zwischen den Ministerien BMUB und BMEL nicht beigelegt wurde. Dass es auch besser geht, zeigen europäische Nachbarn: Irland, Spanien, UK, und die Niederlande haben längst Schutzauflagen für die Fischerei in marinen Natura 2000 Gebieten durchgesetzt.

Formal sind 47 Prozent der Meeresfläche in deutschen Gewässern als Schutzgebiet ausgewiesen. Von den küstennahen Gewässern stehen 70 Prozent unter Schutz, der Schutzgebietsanteil in der deutschen AWZ beträgt über 30 Prozent.

Link zum gemeinsamen Hintergrundpapier:
http://bit.ly/1CrVrC2

Raute


Hintergrund zur Verbändeklage - Schutz den Meeresschutzgebieten in Nord- und Ostsee!

Am 27. Januar 2015 hat der Deutsche Naturschutzring in Vertretung einer Allianz deutscher Umweltverbände aus BUND, DUH, Greenpeace, NABU, WDC und WWF Klage gegen das Bundesamt für Naturschutz (BfN) in Vertretung der Bundesrepublik Deutschland am Verwaltungsgericht Köln eingelegt, um die Fischerei mit Grundschlepp- und Stellnetzen in ausgewählten Natura 2000-Gebieten der deutschen Nord- und Ostsee zu unterbinden. Nach Jahren des Stillstands und der politischen Blockaden sehen die Verbände die Klage als letzte Möglichkeit, Schweinswalen, Seevögeln und Lebensräumen wie Riffen und Sandbänken zu dem Schutz zu verhelfen, der ihnen nach europäischem und nationalem Umweltrecht verpflichtend zusteht. Dieses Hintergrundpapier erläutert die naturschutzfachlichen sowie die naturschutzrechtlichen Zusammenhänge des Verfahrens.

Deutschland ist zwar in Europa bei der Ausweisung von Meeresschutzgebieten hinsichtlich der prozentualen Bedeckung der nationalen Gewässer durch Schutzgebiete führend. Ca. 70% der Küstengewässer im Zuständigkeitsbereich der Küstenbundesländer sind bereits formal unter Schutz gestellt. In der unter Verwaltung des Bundes stehenden Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), dem Seegebiet zwischen 12 und 200 Seemeilen zur Küste, sind es ca. 30%. Insgesamt sind so 47% der deutschen Meeresfläche der Nord- und Ostsee als Schutzgebiete ausgewiesen. Diese Flächen sind gesetzlich geschützte Gebiete, in denen nach EU-Recht und Bundes- bzw. Ländernaturschutzgesetzen ein angemessener Schutz für Arten, Lebensräume und Naturprozesse vor Beeinträchtigungen zu gewährleisten ist.

In den zehn seit 2007 insbesondere zum Schutz von Meeressäugetieren, Seevögeln, Sandbänken und Riffen nach EU-Richtlinien ausgewiesenen Natura 2000-Gebieten in der AWZ von Nord- und Ostsee wurden jedoch bis heute keine Schutzmaßnahmen eingeführt.

Beschränkungen ökologisch unverträglicher Fischereimethoden (mobiles bodenberührendes Fanggerät; Stellnetze) blieben trotz konkreter Fachvorschläge der zuständigen Behörden aus. Notwendige Schutzgebietsverordnungen wurden nicht erlassen. Gleichzeitig wurde über die letzten Jahre eine Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Schutzgüter Schweinswal, Seevögel und Riffe festgestellt.

Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung heißt es: "Für die zehn Natura 2000-Gebiete wird ein Fischereimanagement verankert, um die Schutzziele zu erreichen." Wie schleppend die Umsetzung dieses und anderer Vorhaben des Meeresschutzes verläuft, ist der jüngsten Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen zum Thema Meeresschutz zu entnehmen1.

Natura 2000: Biodiversitätsschutz in Nord- und Ostsee

1992 verabschiedeten die Staaten der Europäischen Union die Fauna-Flora-Habitat Richtlinie2 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-Richtlinie). Sie verpflichteten sich damit, den "günstigen Erhaltungszustand" der Lebensräume und Arten wiederherzustellen bzw. zu erhalten. Wichtigstes Instrument dabei sind Schutzgebiete. Gemeinsam mit den Vogelschutzgebieten gemäß der EU-Vogelschutzrichtlinie3 von 1979 entstand ein zusammenhängendes System geschützter Lebensräume: das Schutzgebietsnetzwerk Natura 2000.

Karte NABU nach BfN 2009 - Einzelfakten zu den 10 Schutzgebieten in der Ausschließlichen Wirtschaftszone von Nord- und Ostsee siehe4


Schweinswale, Seevögel, Riffe und Sandbänke bedroht

Um den "günstigen Erhaltungszustand" von nach EU-Vogelschutzrichtlinie und FFH-Richtlinie geschützten Arten und Lebensräumen ist es schlecht bestellt: Einst charakteristische Meeresentenarten in der Ostsee (Bergente, Eiderente, Eisente) sind seit 1995 um über 60% zurückgegangen. Und auch der Schweinswalbestand in der zentralen Ostsee ötlich der Halbinsel Darss ist seit Jahren auf einem Tiefststand. Wissenschaftler schätzten ihn 2014 auf lediglich 450 Tiere5. Er gilt gemäß der IUCN als vom Aussterben bedroht. Der Bestand westlich von Rügen bis nach Schleswig-Holstein ging in den letzten zwei Jahrzehnten ebenfalls signifikant zurück. Wertvolle Unterwasserlebensräume wie Riffe und Sandbänke und ihre Lebensgemeinschaften werden, vor allem in der Nordsee, bis zu viermal jährlich von Bodenschleppnetzen durchpflügt6. Auch der jüngste Bericht der Bundesregierung zur Umsetzung der FFH-Richtlinie bescheinigt diesen Bodenlebensräumen einen ungünstigen bis schlechten Erhaltungszustand7. Gleichzeitig stranden an den deutschen Küsten jedes Jahr hunderte Schweinswale8, von denen viele Netzmarken aufweisen. Ein Indiz dafür, dass sie in Stellnetzen ertrunken sind. Die Rate der aufgrund menschlicher Aktivitäten getöteten Tiere verhindert, dass sich die Populationen, langfristig erholen.

Schlechte Noten für die deutschen Meere

Die 2008 verabschiedete EU-Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie9 (MSRL) schafft einen Ordnungsrahmen, um Schutz und Nutzung der europäischen Meere in Einklang zu bringen. Bis zum Jahr 2020 sollen die Meere einen "guten Umweltzustand" erreichen bzw. soll dieser erhalten werden. Die MSRL ist eng mit der FFH-Richtlinie verzahnt, denn beide verfolgen ähnliche Ziele und können sich durch geeignete Maßnahmenpakete gegenseitig unterstützen. Der MSRL liegt dabei ein ganzheitlicher, integrativer Ansatz zugrunde, d.h. Anliegen des Umweltschutzes sollen in alle meeresrelevanten Politik- und Planungsbereiche (Agrar, Fischerei, Energie, Verkehr) einfließen. Die MSRL verpflichtet die EU-Mitgliedsstaaten, bis 2012 eine Erstbewertung vorzunehmen, um anhand von elf Deskriptoren und zahlreicher Indikatoren und Merkmale den aktuellen Zustand von Lebensräumen und Arten in der Nord- und Ostsee zu ermitteln.

Das alarmierende Ergebnis lautet: Kaum eines der untersuchten Merkmale konnte den gewünschten "guten Umweltzustand" aufweisen. Im Klartext: Der deutschen Nord- und Ostsee geht es nach wie vor schlecht. Die Ursache ist die kumulative Belastung durch eine nahezu unregulierte Nutzung durch den Menschen. Zu viel zerstörerische Fischerei, Rohstoffabbau, Unterwasserlärm und zu viele Schad- und Nährstoffe. Und dies alles findet auch inmitten von ausgewiesenen Schutzgebieten und Nationalparks statt.

2015 ist auch für die Umsetzung der MSRL ein entscheidendes Jahr. Dann sollen nationale Maßnahmenprogramme auf den Weg gebracht werden, um das 2020-Ziel zu erfüllen. Die Umweltverbände haben die notwendigen Maßnahmen im Rahmen der MSRL in einer Schattenliste veröffentlicht.10 Effektive Maßnahmen zur Regulierung der Fischerei sind dabei von entscheidender Bedeutung. Der ökologische und ökonomische Nutzen fischereilicher Regulierungen in Meeresschutzgebieten für das gesamte Ökosystem und die Fischerei selbst wird durch jüngste Veröffentlichungen des BfN belegt11.

Gefährliche Auswirkungen der Fischerei

Es ist wissenschaftlich anerkannt, dass die Fischerei in den deutschen Meeresgewässern und insbesondere in den Schutzgebieten einen erheblichen, wenn nicht den größten negativen Einfluss auf die Meeresumwelt und geschützte Arten hat12. Der unbeabsichtigte Beifang in den Stellnetzen führt zu hohen Todesraten bei Seevögeln und Schweinswalen. Mobiles, den Meeresboden berührendes Fanggerät wie Schleppnetze und Kurren, zerstört die Integrität der Bodenlebensgemeinschaften von Sandbänken und Riffen. Darüber hinaus entzieht die Industriefischerei auf Sandaale und Sprotten den Seevögeln und Meeressäugetieren ihre Nahrungsgrundlage. Die Fischerei repräsentiert damit genau diejenigen "erheblichen Eingriffe", deren mögliche Folgen gemäß der FFH-Richtlinie auf ihre Verträglichkeit genau zu prüfen sind.

Um Beifänge und Zerstörungen am Meeresboden zu vermeiden und gleichzeitig die deutsche Küstenfischerei zu erhalten, bedarf es grundlegender Veränderungen und gemeinsamer Anstrengungen von Politik, Fischerei, Wissenschaft und Naturschutz. Neben räumlichen und zeitlichen Ausschlussgebieten gilt es auch alternative umweltschonende Fischereigeräte zu entwickeln und zur Anwendung zu bringen. Der neugeordnete europäische Meeres- und Fischereifonds13 (EMFF) bietet hier die Möglichkeit, Forschungsprojekte oder die Umstellung auf selektivere und alternative Fanggeräte zu fördern.

Die Umweltverbände fordern, mindestens 50% der deutschen Meeresschutzgebiete in Nord- und Ostsee von extraktiven Nutzungen (Fischerei, Sand & Kiesabbau, Öl- & Gasförderung) freizustellen und Fischereimethoden, die nicht mit den Schutzzielen vereinbar sind, durch selektivere, umweltschonendere Verfahren zu ersetzen14.

Deutschland verstößt gegen FFH-Richtlinie

2007 wurden die von Deutschland gemeldeten Natura 2000-Gebiete in der AWZ von Nord- und Ostsee durch die Europäische Kommission (EC) bestätigt. Doch sind bis heute keine Schutzmaßnahmen umgesetzt. Hierfür setzt die FFH-Richtlinie eine verbindliche Frist von sechs Jahren (s.u.). Die Richtlinie enthält ferner ein Verbot der Verschlechterung des Erhaltungszustands der Schutzgüter und sieht Verträglichkeitsprüfungen für Vorhaben und Projekte vor, die diese Schutzgüter erheblich beeinträchtigen können.

Trotz ihrer negativen Auswirkungen und relevanter Rechtsprechung wurde für die Fischerei in deutschen Gewässern jedoch bisher in keinem Fall eine solche Verträglichkeitsprüfung durchgeführt. In anderen EU-Staaten wird dies bereits praktiziert. Als Vorwand dient hier gern die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinsamen Fischereipolitik (GFP) der EU. Sie gibt den Prozess zur Einführung von Fischereimaßnahmen in marinen Natura 2000-Gebieten für die Mitgliedsstaaten vor15. Anders als Deutschland setzten Irland, das Vereinigte Königreich, Spanien und die Niederlande auf diese Weise Auflagen für Fischereien (vor allem für Bodenschleppnetze) in den vergangenen Jahren durch. Seit Januar 2014 regelt Artikel 11 der Grundverordnung der GFP das Verfahren neu16. Dänemark macht derzeit schon davon Gebrauch, um Bodenfischerei in seinen küstennahen Schutzgebieten einzuschränken.

Blockade von Fachvorschlägen

Frühzeitig hatte das Bundesamt für Naturschutz (BfN) beim Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) ein entsprechendes Gutachten für potentielle Fischereimaßnahmen in Natura 2000-Gebieten angefordert17. Auf der Basis des sogenannten EMPAS-Projektes18 19vereinbarten die Fachbehörden der beiden verantwortlichen Ministerien, das BfN in Vertretung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) und das Thünen-Institut (TI) für das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gemeinsame Vorschläge mit insgesamt 21 räumlich oder zeitlich definierten fischereilichen Maßnahmen in den zehn Natura 2000-Gebieten der AWZ. Die Umwelt- und Fischereiverbände sowie die EU-Nachbarstaaten wurden 2011 zu diesen Vorschlägen formal angehört. Seitdem liegen die vorgeschlagenen Maßnahmen auf ministerieller Ebene auf Eis. Faktisch blieben die von den Fachbehörden des Bundes ausgearbeiteten Vorschläge zu Beschränkungen ökologisch unverträglicher Fischereimethoden bis zuletzt zwischen den beteiligten Ministerien politisch umstritten. Hauptverantwortlich für diesen Stillstand ist das für Fischerei zuständige BMEL. Auch zahlreiche Schreiben der Umweltverbände an die zuständigen Minister und die Bundeskanzlerin sowie Diskussionen mit den Fachbehörden konnten daran bis heute nichts ändern.

Warum klagen die Verbände?

Mit jedem Tag, der aufgrund der festgefahrenen politischen Situation vergeht, sterben Seevögel und Meeressäugetiere, während gleichzeitig ihre Lebensräume zerstört werden. Die Umweltverbände halten es angesichts des Mangels an politischem Willen und der fortgesetzten erheblichen Beeinträchtigung der Natura 2000-Gebiete in der deutschen AWZ durch Fischerei für geboten, den Rechtsweg zu beschreiten.
Gegenstand der Klage sind die Umgehung des Verbandsbeteiligungsrechts bei FFH-Verträglichkeitsprüfungen (hier Fischerei als erheblicher Eingriff bzw. als Projekt im Sinne der FFH-Richtlinie) und das Initiativrecht eines EU-Mitgliedsstaats im Rahmen der Gemeinsamen Fischereipolitik bei notwendigen Naturschutzmaßnahmen.
Am 29. Juli 2014 beantragten die Verbände durch ihre Anwälte beim BfN, umgehend die Fischerei mittels mobilen grundberührenden Fanggeräten (Grundschleppnetzen) bzw. Stellnetzen in ausgewählten Schutzgebieten (s.u.) zu untersagen. Hilfsweise sollte angeordnet werden, dass die beschriebene Fischerei in diesen Gebieten vorläufig eingestellt wird, bis entweder eine FFH-Verträglichkeitsprüfung erhebliche Beeinträchtigungen der maßgeblichen Erhaltungsziele der Gebiete ausschließt oder - nach Beteiligung der anerkannten Umweltvereine - eine Abweichungsprüfung die Fischerei trotz erheblicher Beeinträchtigungen gestattet. Dieser Antrag wurde vom BfN im Oktober 2014 abgelehnt. Ende Dezember 2014 wurde auch der Widerspruch der Verbände gegen den Anfangsbescheid zurückgewiesen.

gerichtig haben die Umweltverbände gegen diesen Bescheid am 27. Januar 2015 fristgemäß Klage beim Verwaltungsgericht Köln eingelegt, um dem Naturschutzrecht in deutschen Meeresschutzgebieten zum Erfolg zu verhelfen.

Klagerelevante Rechtsgrundlagen sowie Schutzgebiete und betroffene Arten und Lebensräume
Schutzgüter, Arten und Lebensraumtypen (mit EU-Code):
Seevögel1(VS), Schweinswal (FFH Annex II Code 1351), Sandbänke (FFH Annex I Code 1110), Riffe (FFH Annex I Code 1170)
Exemplarisch ausgewählte Schutzgebiete (mit EU-Nummer):
• Nordsee: FFH Gebiet Sylter Außenriff (DE 1209-301) - Fischerei mit mobilen, grundberührenden Fanggeräten
• Ostsee: FFH-Gebiet Pommersche Bucht mit Oderbank (DE 1652-301) und Vogelschutzgebiet Pommersche Bucht [DE 1552-401] - Fischerei mittels Stellnetzen (Kiemen- und Verwickelnetze)
Rechtsgrundlagen:
• Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen - Amtsblatt Nr. L 206 vom 22/07/1992 S. 0007 - 0050 - Artikel 6(1,2,3)
• Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG): õ 34 Abs. 6 Satz 4 und Abs. 3

Begleitende EU-Beschwerde

Neben dem Klageverfahren reichen die Umweltverbände parallel eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission ein. Ihr Ziel ist, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland zu erreichen, da seit der Ausweisung der acht FFH-Gebiete in der AWZ 2007 bis 2013 keine Schutzgebietsverordnungen bzw. Managementpläne erlassen wurden. Inhaltlich hängt diese Beschwerde also eng mit der oben beschriebenen Klage zusammen. Die 6-Jahresfrist ist bindend und ergibt sich aus Art. 4(4) der FFH-Richtlinie (s.o.). Die Nichtbeachtung der Bestimmungen von Art. 4 schadet nicht nur der biologischen Vielfalt und den Ökosystemen, sondern hat auch erhebliche negative politische Auswirkungen: Nach Schweden (2004) ist Deutschland (2007) der zweite Mitgliedsstaat, der in küstenfernen Meeresgewässern Natura 2000-Gebiete eingerichtet, sie aber nicht fristgerecht durch Verordnungen unter Schutz gestellt hat. Es folgten Ausweisungen in der AWZ von Irland, Portugal (Azoren), den Niederlanden, Dänemark, dem Vereinigten Königreich und Belgien, für die die 6-Jahresfrist z.Zt. noch nicht abgelaufen ist. Mit der EU-Beschwerde soll in diesem Umfeld nicht nur mittelfristig bindendes EU-Fallrecht geschaffen, sondern auch ein Zeichen gesetzt werden, dass so genannte "paper parks" (Schutzgebiete, die nur auf dem Papier bestehen, aber ohne wirksame Schutzmaßnahmen bleiben) politisch und gesellschaftlich nicht akzeptiert sind.


1 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/034/1803459.pdf
2 http://ec.europa.eu/environment/nature/legislation/index_en.htm
3 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2010:020:0007:0025:de:PDF
4 http://www.bfn.de/0314_meeresschutzgebiete.html
5 http://www.deutsches-meeresmuseum.de/dmm/presse/pressemeldungen/details/?news=121
6 http://qsr2010.ospar.org/media/assessments/p00465_JAMP_QSR_fisheries_assessment.pdf
7 http://www.bfn.de/0316_bericht2013.html
8 An der deutschen Ostseeküste im Jahr 2013: 130 Schweinswale
9 http://www.meeresschutz.info/index.php/berichte.html
10 http://www.bund.net/msrl
11 http://www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/themen/meeresundkuestenschutz/downloads/Berichte-und-Positionspapiere/Nutzen-fischereil-Regulierungen-in-Meeresschutzgebieten.pdf
12 Siehe Seiten 107-120 in
http://www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/themen/meeresundkuestenschutz/downloads/Fachtagungen/PMCE-2009/PMCE_2009.pdf
13 http://ec.europa.eu/fisheries/cfp/emff/index_de.htm
14 Siehe z.B. WWF-Vorschlag für notwendige Managementmaßnahmen in den Schutzgebieten unter
http://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/WWF_Fischereireport_Web.pdf
15 http://ec.europa.eu/environment/nature/natura2000/marine/docs/fish_measures.pdf
16 http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2013:354:0022:0061:DE:PDF
17 http://www.bfn.de/18588.html
18 http://icesjms.oxfordjournals.org/content/66/1/155.full.pdf+html
19 ICES (2009): Report of the EMPAS project (Environmentally Sound Fisheries Management in Protected Areas), 20062008, an ICESBfN project. International Council for the Exploration of the Sea, Copenhagen, 123 pp.

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Quelle:
Gemeinsame Presseinformation, 27.01.2015
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V.
BUND Landesverband Schleswig-Holstein
Lorentzendamm Nr. 16, 24103 Kiel
Tel.: 0431/66060-0, Fax: 0431/66060-33
E-mail: bund-sh@bund-sh.de
Internet: www.bund-sh.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2015


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