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SCHUTZGEBIET/711: Umweltbund Leipzig klagt gegen Baumfällungen auf sächsischen Deichen (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 164 - Oktober/November 2011
Die Berliner Umweltzeitung

Lieber ein gefälltes Urteil als ein gefällter Baum
Klage des Ökolöwen - Umweltbund Leipzig klagt gegen Baumfällungen auf sächsischen Deichen

von Thorsten Glawe


Der Ökolöwe, Umwelt- und Naturschutzverein aus Leipzig und Mitglied im Netzwerk GRÜNE LIGA, hat beim Verwaltungsgericht Dresden Klage gegen einen umstrittenen Erlass des sächsischen Umweltministeriums eingereicht. Dabei geht es um den Erhalt von über 100.000 zum Teil jahrhundertealten Bäumen.


Reflexartige Reaktion

Als Anfang August 2010 eine Hochwasserwelle, begleitet von einem lokalen Tornadoereignis, durch Sachsen spült, kehren die Erinnerungen an das "Jahrhunderthochwasser" der Elbe 2002 zurück. Obwohl die Fluten 2010 deutlich weniger schwere Folgen haben, fallen die Reaktionen der zuständigen Stellen reflexartig aus.

Das Sächsische Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft verfügt im so genannten "Tornado-Erlass", dass die zum Teil maroden Deiche im Freistaat umgehend und um jeden Preis saniert werden müssen. "Um jeden Preis" heißt hierbei, dass die Landestalsperrenverwaltung den Erlass so interpretiert, dass sie sogleich damit beginnt, die Deiche von Bäumen und Sträuchern zu "befreien".


Grobe Fehler im Erlass

Das geht deswegen, weil der Erlass des Ministeriums flächendeckend "Gefahr im Verzug" für ganz Sachsen durch Bäume unterstellt, die zum Teil schon Jahrhunderte auf und an Deichen sowie an Ufern stehen. Mit diesem Argument werden großflächig streng geschützte Lebensräume geopfert, deren Wiederherstellung Jahrzehnte kosten wird.

Gleichzeitig ist es aufgrund der Eile, die das Ministerium an den Tag legt, nicht möglich, die betroffenen Gebiete auf streng geschützte Tierarten und ihre Behausungen zu untersuchen. Das bedeutendste Winterquartier des Großen Abendseglers im Leipziger Auensystem fiel bereits im letzten Winter den Rodungen zum Opfer und ist nur ein Beispiel für die Rücksichtslosigkeit, die der ministeriale Erlass zur Folge hat.

Ebenso sind mit den Bäumen auch die Ansitzwarten des Eisvogels verschwunden. Ein kompletter Brutstandort der seltenen Vogelart ist damit zerstört, was bei weniger als 10 Brutpaaren im Auwald erhebliche Folgen haben wird.

Mit der Flora sieht es nicht besser aus: Der nach Bundesartenschutzverordnung streng geschützte Märzenbecher, der auch auf der "Roten Liste" der gefährdeten Pflanzen steht, hat durch die Abholzungen im Forstrevier "Wilder Mann" sein wichtigstes Habitat verloren und droht nun, vollständig aus der Region zu verschwinden.

Sowohl die frühzeitigen Alternativ- wie auch Umweltverträglichkeitsprüfungen sind völlig ausgeblieben. Weiterhin unterscheidet der Erlass nicht nach Ufertypen und Deichdimensionen und gefährdet so praktisch jeden Baum, der zu nah an sächsischen Flüssen wächst.

Der absurdeste Fehler im Konzept ist aber, dass ausgerechnet der Auwald, der als Biotop auf regelmäßige Flutung angewiesen ist, vor Hochwasser geschützt werden soll. Denn in vielen Gebieten (so zum Beispiel in der Leipziger Aue) sollen Bäume auf/an Deichen verschwinden, die direkt vor dem Wald stehen.

Und der Wahnsinn hat schon begonnen. Seit August 2010 wurden aufgrund des Erlasses aus dem Dresdener Ministerium bereits zehntausende Bäume in den sächsischen Flusstälern gefällt. "Die Auswirkungen des rechtswidrigen Erlasses können die Leipziger im FFH-Gebiet "Leipziger Auensystem" oder an der Flöha und Zschopau in Augenschein nehmen", so Nico Singer, Geschäftsführer des Ökolöwen.

Doch damit nicht genug: Ausgehend vom Erlass sollen die Fällungen schon bald weitergehen. Die komplette "Befreiung" sämtlicher sächsischer Deiche von Bäumen und Sträuchern steht an. Ohne Einzelfallprüfung, ohne Voraussicht und vor allem ohne Rücksichtnahme auf die Tatsache, dass fast alle sächsischen Flusstäler europäische Naturschutzgebiete sind. Bedroht sind dadurch mehr als 100.000 Bäume im Freistaat Sachsen. Damit ermächtigt der ohne parlamentarisches Zutun entstandene Erlass die Verwaltungen Sachsens, bewusst europäisches, nationales und Landesrecht zu brechen - ein Beispiel, was in Deutschland seinesgleichen suchen dürfte.


Appelle haben Sägen nicht gestoppt

Die Forderungen des Ökolöwen, Baumfällungen zu stoppen und Umweltvereine in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen, verhallen ungehört. Völlig konträr zu geltendem Recht werden die "Interessenvertreter der Natur" ausgesperrt und vor (beinahe) vollendete Tatsachen gestellt. Argumente und Appelle konnten die Sägen nicht stoppen. Das alles hat dazu geführt, dass sich der Ökolöwe gezwungen sieht, Klage beim Verwaltungsgericht Dresden einzureichen. Wie weit die Regierung des Freistaates an geltendes Recht gebunden ist, wird sich nun vor Gericht zeigen müssen.


Alle Jahre wieder...

Dabei ist die ganze Sache nicht einmal wirklich neu. Schon nach dem letzten "Jahrhunderthochwasser" im Jahre 2002 reagierten die Behörden ähnlich. Bedroht waren etwa 10.000 Bäume im Leipziger Auwald. Der Ökolöwe, der schon deutlich vor der Hochwasserkatastrophe auf den Wert des Auwaldes als Überflutungsfläche hingewiesen hatte, klagte sich damals bereits durch die Instanzen - mit Erfolg. Am 23. Januar 2003 stoppte das Oberverwaltungsgericht Bautzen die Deichrodungen in letzter Instanz. Eine Wiederholung des Klageerfolges von 2003 ist daher nötig - und möglich. Das planlose Vorgehen des Ministeriums und der Landestalsperrenverwaltung führt nicht zum erwünschten Hochwasserschutz, sondern lediglich zu irreversiblen und tiefgreifenden Eingriffen in wichtige und schützenswerte Biotope.

Um das zu verhindern, bleibt nur der Gang vor Gericht. Das aber ist teuer, und dem Ökolöwen geht es wie allen sächsischen Vereinen: er wird finanziell an der ganz kurzen Leine gehalten. In seinen Bemühungen um den Naturschutz ist der Ökolöwe daher dringend auf Spenden angewiesen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
• Baumfällungen an der Neuen Luppe - Winter 2001
• Gefällte Bäume an der Kleinen Luppe - Winter 2011


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Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 164 - Oktober/Novembers 2011, S. 9
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2011