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WALD/589: Amazonien - Wettlauf um die Wälder (WWF Magazin)


WWF Magazin 4/2008
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Amazonien
Wettlauf um die Wälder

Von Roberto Maldonado, WWF


Die größte Regenwaldregion der Erde birgt vermutlich die größte Artenvielfalt unseres Planeten und nimmt zugleich eine Schlüsselrolle für das Weltklima ein. Die Rettung Amazoniens vor der Zerstörung wird deshalb immer wichtiger - für uns alle: WWF-Tropenwaldexperte Roberto Maldonado über die aktuelle Situation am Amazonas.

Noch ist die Größe imponierend: Trotz unverminderten Raubbaus stehen in der rund 6,7 Millionen Quadratkilometer großen Amazonasregion noch 80 Prozent der ursprünglichen Regenwälder - das entspricht der 15-fachen Fläche Deutschlands.

Entsprechend groß ist ihr globaler ökologischer Einfluss. Zum Beispiel als Wasserspeicher: Allein 15 Prozent des weltweiten Flusswassers durchströmen den Amazonas und seine 1100 Nebenflüsse. Oder als Klimaanlage: Die Sonnenenergie, die auf die Regenwälder Amazoniens einstrahlt, wird durch Verdunstung in riesige Mengen Wasserdampf umgewandelt Die so entstehenden Wolken haben einen kühlenden Effekt auf das Weltklima. Und nicht zuletzt als Schatzkammer biologischer Vielfalt sind die Regenwälder von globaler Bedeutung: In Amazonien leben etwa zehn Prozent aller Arten weltweit - 40000 verschiedene Pflanzen, mehr als 100000 Wirbellose, 400 Amphibien, 350 Reptilien, 1300 Vögel sowie mehr als 400 Säugetiere wurden bisher nachgewiesen.

Weil viele Gebiete noch nahezu unerforscht sind, könnten es noch viel mehr Arten sein. Amazoniens Regenwälder sind auch Heimat für rund 30 Millionen Menschen. Davon sind 2,7 Millionen indigen und gehören zu mehr als 300 unterschiedlichen Völkern.

Ausverkauf am Amazonas Doch längst bestimmen andere als die ursprünglichen Bewohner über dieses kolossale Riesenreich. Ein gnadenloser Wettlauf um die Regenwälder ist im Gange, genauer: um ihre Naturgüter. Mit kletternden Ölpreisen wird zum Beispiel die Förderung von Erdöl- und Erdgasvorräten entlang des Andenfußes immer rentabler, sodass Unternehmen nicht einmal vor Schutzgebieten Halt machen wollen. Auch die Ausbeutung anderer Bodenschätze wird immer lukrativer: In Groß-Carajas und Mutún, zwei der weltweit bedeutendsten Eisenerzvorkommen, wird bereits abgebaut. Der Energiehunger wächst, zugleich wird Süßwasser immer knapper. Der Bau von Staudämmen scheint da ein Ausweg: Gleich 70 sind alleine in Brasilien im Bau oder in Planung.

Der Bedarf an Nahrungsmitteln und der boomende globale Handel wiederum haben die Nachfrage nach Rindfleisch und Soja sowie die entsprechenden Landflächen für deren Gewinnung gewaltig ansteigen lassen. Treibende Kraft hinter der Entwaldung sind vor allem in Brasilien große Unternehmen. Zwischen 2003 und 2007 wurden durchschnittlich jedes Jahr 19000 Quadratkilometer Wald für Land- und Viehwirtschaft gerodet. Das entspricht der Fläche von Rheinland-Pfalz. Umgerechnet verschwinden pro Minute fast vier Hektar Regenwald im brasilianischen Amazonasgebiet - so viel wie viereinhalb Fußballfelder. Auf mehr als 80 Prozent der entwaldeten Fläche Amazoniens weiden heute Rinder.

Die explosionsartig angestiegene Nachfrage nach Biotreibstoffen heizt den Flächenbedarf noch weiter an. Hierzu werden gerade Gesetzesänderungen vorangetrieben, um mehr Zuckerrohr anbauen zu können. Die Auswirkungen sind noch kaum einzuschätzen. Und auch der vorwiegend illegale Holzeinschlag, der Bau von Straßen und Wasserwegen, die Zunahme der Wilderei und immer mehr Schmutz in den Flüssen gefährden die Ökosysteme. Die Zerstörung immer größerer Regenwaldflächen könnte auch den Klimawandel deutlich beschleunigen. Denn in den Wäldern Amazoniens ist so viel Kohlenstoff gespeichert, wie die gesamte Menschheit in rund zehn Jahren durch Kohlendioxid in die Atmosphäre freisetzt.

Der noch vorhandene Amazonas-Regenwald könnte sogar auch ohne weitere Brandrodung schrumpfen - wenn es noch wärmer wird. Dann nämlich könnte immer öfter der Regen ausbleiben und der Regenwald zu ödem Buschland verkommen. Schon heute zählt Brasilien durch die Brandrodung zu den größten Kohlendioxid-Emittenten der Welt.

Wie sich das anfühlt, konnte ich in Amazonien gegen Ende der Trockenzeit im August 2007 erleben, als die gelegten Waldbrände dort ihren Höhepunkt erreichten. Der Rauch war so dicht, dass man selbst die Äquatorsonne kaum noch sehen konnte. Nahezu alle Farben waren in einer mehr als 1000 Kilometer langen Rauchwolke verschwunden, die unter anderem meinen Flug aus dem Amazonasgebiet verhinderte, da der Flugplatz gesperrt wurde. Ich musste 800 Kilometer weit fahren, um aus dieser Rauchwolke wieder herauszukommen. Die Bevölkerung dort aber muss bleiben und die Gifte über Monate einatmen. Vor allem für die Kinder sind die jährlich wiederkehrenden Waldbrände eine akute Gesundheitsgefahr. Diese dramatische Entwicklung lässt sich nicht von heute auf morgen stoppen. Doch wir können das Tempo der Zerstörung entscheidend abbremsen - und dafür sorgen, dass das einmalige Naturparadies dauerhaft erhalten bleibt. Dafür engagiert sich der WWF.


Das größte Naturschutzvorhaben der Welt

Ein Weg zur Rettung der Amazonaswälder sind Schutzgebiete, und zwar möglichst im XXL-Format. Damit sie nicht nur auf dem Papier stehen, müssen sie dauerhaft finanziert werden. Ein entscheidender Schritt ist deshalb das brasilianische "Amazon Region Protected Area Programme" (ARPA) - das umfassendste Tropenwaldschutzvorhaben, das je gestartet wurde. Brasiliens Regierung wird gemeinsam mit der KfW Entwicklungsbank, dem WWF, der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), der Weltbank und der Global Environment Facility GEF bis 2016 brasilianischen Amazonas-Regenwald mit einer Fläche von 600000 Quadratkilometern durch ein umfassendes Schutzgebietsnetzwerk sichern - ein Gebiet größer als Frankreich. Damit soll die bislang geschützte Fläche verdoppelt werden: auf mehr als 20 Prozent des brasilianischen Amazonas-Regenwaldes. Mehr als 400 Millionen US-Dollar werden für das gesamte ARPA-Programm benötigt. In der ersten Phase bis Ende dieses Jahres werden insgesamt 105 Millionen Dollar investiert - davon alleine vom WWF 16 Millionen.

Von der Gesamtsumme werden 240 Millionen Dollar in einem Umweltfonds gesammelt. Dessen Erträge sollen nach der Ausweisung und Einrichtung der Schutzgebiete auf Dauer die Finanzierung der laufenden Kosten des riesigen Schutzgebietsnetzes sichern.

Damit der Amazonas-Regenwald gerettet werden kann, müssen aber nicht nur Schutzgebiete ausgewiesen werden. Indigene Völker sollten auch ihre lang geforderten Territorien bekommen. Darüber hinaus muss außerdem im Umfeld der Schutzgebiete eine Kultur der Nachhaltigkeit beim Wirtschaften einkehren: Insbesondere Forst-, Vieh- und Agrarwirtschaft müssen dem Regenwaldökosystem angepasst werden.


Der WWF erzielt erste Erfolge

Außerdem unterstützt der WWF Deutschland im Rahmen des ARPA-Programms den Aufbau des Juruena-Nationalparks sowie der Apuf-Region, einem Mosaik aus insgesamt neun Schutzgebieten. Zusammen umfassen beide Gebiete Regenwald von der doppelten Größe Hessens. Seit unserem letzten Bericht vor einem Jahr haben wir gerade dort gute Projektergebnisse erzielt. Um zunächst für Juruena passende Schutzmaßmaßnahmen einleiten zu können, führte der WWF zusammen mit der Parkverwaltung, Umweltbehörden, Wissenschaftlern und lokalen Organisationen im November 2007 und März 2008 zwei Expeditionen in den noch weitgehend unberührten Juruena-Nationalpark durch. Mehr als zwei Monate sammelten rund 100 Experten und Ortskenner ökologische und sozialwirtschaftliche Daten, um einen Managementplan zu erstellen.

Bereits 2007 hatte die Verwaltung des Juruena-Nationalparks, vom WWF Deutschland technisch und finanziell unterstützt, ihre Arbeit aufgenommen und ein Kontrollkonzept entwickelt. Im Sommer dieses Jahres wurde es bereits konsequent umgesetzt: In einer groß angelegten Aktion von Umweltministerium und Polizei wurde illegale Naturzerstörung wie Landbesetzung, Holzeinschlag und Goldgewinnung gestoppt. Ein großer Erfolg in einer Region, in der sich der Staat normalerweise durch völlige Abwesenheit auszeichnet.

Noch viel wichtiger jedoch ist es, die Bewohner zu überzeugen, dass sie den Raubbau aufgeben, weil nur ein lebendiger Regenwald für sie von dauerhaftem Nutzen ist. Deshalb müssen wir in vielen kleinen Schritten auf die Bevölkerung zugehen. So hat die Parkverwaltung Kontakt zu kleinen, traditionellen Volksgruppen um den Nationalpark herum aufgebaut, um Vertrauen zu schaffen. Die Parkmitarbeiter geben Rat und Aufklärung, wie die Umweltgesetzgebung funktioniert und wie man naturfreundliche Einkommensquellen am Rande des Nationalparks nutzen kann. Dort, in der so genannten Pufferzone, ist nachhaltige Forstwirtschaft - also Holz zu gewinnen, ohne den Wald zu zerstören - meist die beste Nutzungsform. Nördlich des Nationalparks bauen wir deshalb zurzeit eine Schreinerei, in der Jugendliche von Apuf ein Handwerk lernen und danach praktisch anwenden können. Denn gerade für sie sind auch in Amazonien Arbeitsplätze extrem schwer zu finden.

Außerdem werden Meine Forstunternehmer der Region geschult, nachhaltig und kosteneffizienter zu wirtschaften. Ihre Dankbarkeit kann man daran erkennen, dass einige von ihnen das Holz für die Schreinerei gespendet haben und einer sogar auf eigene Kosten eine Demonstrationsfläche für nachhaltige Forstwirtschaft einrichten und unterhalten möchte.

So konnte nach einem Jahr das Misstrauen der Menschen in Juruena bereits so weit abgebaut werden, dass nun endlich mit dem Bau des Umwelt- und Kulturhauses begonnen werden kann, ohne dass es gleich angezündet wird. Hier sollen Räume für Veranstaltungen und Ausstellungen sowie Arbeitsplätze für die Parkverwaltung und deren lokale Organisationspartner entstehen - mit Solaranlage, eigener Wasseraufbereitungsanlage und, dank der Bauweise, ohne Klimaanlage.

Das Kulturhaus als Anlaufstelle für die Waldbewohner im Süden des Nationalparks ist besonders wichtig. Gerade dort hat die Entwaldung wieder zugenommen. Wir wollen vor allem den Bauern helfen, ohne weiteren Einschlag von Wald ihr Vieh zu versorgen - durch Methoden, die den an Nährstoffen armen tropischen Boden nicht noch weiter auslaugen, sondern ihn dauerhaft nutzbar halten. Zum Beispiel durch Rotation der Herden: Mit kürzeren Weidezeiten auf kleinerer Fläche wird der Boden nicht verdichtet und die Graswurzeln werden nicht geschädigt.


Die Entwaldung stoppen

Beraten wollen wir die Bauern auch beim Anbau von Pflanzen: So gibt es einheimische Bäume wie Cupuacu oder Copaiba, deren Samen, Früchte oder Öle einen echten Marktwert haben und den Boden nicht erodieren lassen wie übliche Monokulturen. Wie das funktioniert, wollen wir ebenfalls auf Demonstrationsflächen zeigen. Neben all diesen wichtigen kleinen Schritten zu dauerhaftem Regenwaldschutz brauchen wir weiterhin große Schritte auf politischer Ebene. Im Frühsommer 2008 konnten wir einen wichtigen Etappensieg feiern - wenn auch erst nach einigen Protesten: Die brasilianische Regierung wies sechs neue ARPA-Schutzgebiete aus und erweiterte ein Schutzgebiet. Gewonnene Gesamtfläche: 4,6 Millionen Hektar, fast so groß wie Niedersachsen. Für die Ausweisung von fünf dieser Schutzgebiete hat der WWF einen direkten Beitrag geleistet, indem er sie nach eingehender Untersuchung ausgewählt beziehungsweise die zur Vorbereitung notwendige Studie dazu erarbeitet oder unterstützt hat. Damit sind nun insgesamt bereits 360000 Quadratkilometer Regenwald - eine Fläche von der Größe Deutschlands - in Amazonien geschützt. Und die ARPA-Fläche wird weiter wachsen. WWF-Ziel ist es, bis spätestens 2020 die Entwaldung in Amazonien zu stoppen. Ein Ziel, das auch der neue brasilianische Umweltminister Carlos Mine während der Weltartenschutzkonferenz in Bonn im Mai dieses Jahres in einer gemeinsamen Erklärung unterschrieb. Wir werden ihn und seine Nachfolger immer wieder daran erinnern! Aber auch unsere Politiker und Unternehmer müssen wir immer wieder in die Pflicht nehmen, die Regenwaldstaaten bei ihren Schutzbemühungen zu unterstützen. Und nicht zuletzt uns selbst: Denn als Verbraucher von Fleisch, Soja und Tropenholz haben auch wir es in der Hand, durch gezielten Konsum ein Zeichen gegen Raubbau und für schonende Nutzung von Naturgütern zu setzen.

Schließlich profitieren auch wir in Deutschland von all diesen Bemühungen. Alleine der Beitrag, den die bereits existierenden ARPA-Schutzgebiete zur Verringerung von CO2-Emissionen jährlich leisten, entspricht neun Prozent der jährlichen Kohlendioxid-Emissionen Deutschlands und hilft mit, das globale Klima zu stabilisieren.

Und vor allem dürfen wir nicht vergessen: Mit der Sicherung der Amazonas-Regenwälder bewahren wir dauerhaft einen Großteil unseres biologischen Erbes. Wir brauchen sie als Speisekammer und Apotheke für unsere nachfolgenden Generationen. Schon allein deshalb ist jeder noch so kleine Schritt zur Rettung der Regenwälder immens wichtig.

Mehr zum Thema unter www.wwf.de/amazonas im Internet.


Viele Wege zum Ziel

Damit die Rettung der Regenwälder auch im Alltag gelingt, hilft der WWF Deutschland auf vielen Ebenen. Die Umweltstiftung

trägt weltweit dazu bei, den Klimawandel zu bremsen
bekämpft die Armut der lokalen Bevölkerung in Amazonien, damit die Menschen von der Natur leben können und nicht gegen sie leben müssen
unterstützt die Entwicklung nachhaltigen Sojaanbaus
schult über seine Büros in Amazonien Mitarbeiter in Firmen und Behörden, damit beim Bau von Großbauten wie etwa Staudämmen die schlimmsten Folgen für die Umwelt verhindert werden können
fördert den Handel mit legal und nachhaltig produzierten Holzprodukten

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

In Amazonien stehen 40 Prozent der weltweit verbliebenen Regenwälder. Ihr unermesslicher Artenreichtum sowie ihre segensreiche Wirkung auf das Weltklima und dem globalen Wasserhaushalt sind erst in Ansätzen erforscht.
Respekteinflößender Jäger: Der Riesenotter wird bis zu 1,80 Meter groß
Den Bogen raus: Kinder indigener Völker lernen von klein auf im Regenwald zurechtzukommen. Mehr als 300 indigene Volksstämme leben noch in Amazonien.
Große Sprünge: Ein Amazonasdelfin schnappt seinem Konkurrenten den Fisch vor der Nase weg.
Die Schrecken des Amazonas: Große Anakonda und Brillenkaiman (oben) zählen zu den größten Raubtieren des Regenwaldes. Zu ihren Leibspeisen gehört das Wasserschwein (links).
Versteckte Vielfalt: Auch im Kleinen zeigt sich der Artenreichtum der Regenwälder, obwohl Vogelspinne, Gottesanbeterin und Raupe gut getarnt sind.
Kahlschlag: Wo früher die Natur in vollem Saft stand, ist heute nur noch wüstes Ödland. Jede Minute werden im brasilianischen Teil Amazoniens viereinhalb Fußballfelder Regenwald gerodet.
Im Einsatz: WWF-Mitarbeiter erfassen die Artenvielfalt, dokumentieren die Zerstörung und arbeiten an der Ausweisung von Schutzgebieten auf allen Ebenen.
Grund der Zerstörung: Für Viehweiden und Plantagen wird der Regenwald gerodet.

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Quelle:
WWF Magazin 4/2008, Seite 10-17
Herausgeber:
WWF Deutschland
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E-Mail: info@wwf.de
Internet: http://www.wwf.de

Die Zeitschrift für Mitglieder und Freunde der Umweltstiftung WWF Deutschland erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2009