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WALD/666: Vogelschutz im Wald (Unser Wald)


Unser Wald - 1. Ausgabe, Januar/Februar 2012
Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald

Vogelschutz im Wald

von Wolfgang Scherzinger



Vogelschutz hat in Deutschland eine lange Tradition und sie kommt aus dem Wald. Schon früh vermutete man einen Zusammenhang zwischen dem Vorkommen "nützlicher" Vogelarten und der Siedlungsdichte von Forstschädlingen. Aus der Beobachtung ließ sich hochrechnen, welche Massen an Schädlingen pro Brutpaar und Brutsaison erbeutet wurden.

In der Erwartung, dass die Förderung der einen die Massenvermehrung der anderen in Schach halten müsste, wurden Konzepte zur Steigerung der Anzahl erfolgversprechender Vogelarten, also von Insektenfressern und Mäusevertilgern, entwickelt. In geradezu generalstabsmäßiger Planung wurden Nistkastensysteme für Meisen, Kleiber, Fliegenschnäpper und Rotschwänzchen entwickelt, die - als "Arbeitsvögel" - auf das Millionenheer an Spannern, Eulenfaltern, Blattwespen, Bock- und Borkenkäfern Jagd machen sollten. Zur Stabilisierung der Siedlungsdichte wurde zusätzlich ein Netz an Winterfütterungen für die "Nützlinge" installiert. Daneben genossen auch die Mäusefänger (wie Waldohreule, Waldkauz oder Mäusebussard) Vollschonung. Man stellte diesen Ansitzjägern auch gezielt Sitzkrücken auf Kahlflächen und Schonungen auf. Mit diesem Aufwand sollte eine wirksame Unterdrückung von Schäden durch Insekten oder Wühlmäuse sicher gestellt werden.

Wenn die Länder für die Organisation und Betreuung dieser umfangreichen Maßnahmen auch eigene "Voge|schutzwarten" einrichteten, so zielten diese Konzepte keineswegs auf die Bestandsicherung seltener Vogelarten, sondern primär auf einen Forstschutz durch Vogelschutz ab. In markantem Gegensatz zu heutigen Erwartungen an den Vogelschutz, hatten die Forstleute nicht besonders gefährdete Vogelarten im Visier. Vielmehr konzentrierten sich ihre Bemühungen auf Allerwelts-Arten, die über Nistkastenangebote und Sonnenblumen-Silos besonders gut zu manipulieren waren. Ja, als Auswuchs eher ökonomisch motivierter Hochrechnungen, welche Vogelarten für die Erzielung eines "ökologischen Gleichgewichts" im Wald nun eher nützlich oder eher schädlich seien, wurden etliche Vogelarten, die die Effektivität der "Arbeitsvögel" stören konnten, geradezu verteufelt. Dazu gehörten der Eichelhäher als Eierräuber, der Sperber als Singvogeljäger oder der Uhu als Feind der kleineren Eulen. Lange Zeit zählten auch Auerhuhn, Fichtenkreuzschnabel, Gimpel oder Buchfink zu den "Schadvögeln", die Triebspitzen und Blütenknospen abbeißen oder Samenmasten ausbeuten konnten. Noch bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts standen auch die Spechte auf der "schwarzen Liste", die sich zwar als Borkenkäfersammler nützlich machen, durch ihre Hacktätigkeit aber gerade starkes Stammholz entwerten können.

Aus dieser Pionierzeit des forstlichen Vogelschutzes können wir viele Erfahrungen zum Einsatz von Nistkästen, der Winterfütterung und der Anlage von Vogelschutzgehölzen für eine heutige Biotopgestaltung übernehmen. Im Grunde jedoch basierte das damalige Konzept auf einem Missverständnis: Die Wechselwirkungen zwischen den unzähligen Mikroorganismen, den Pilz-, Pflanzen- und Tierarten eines Waldes sind sehr komplex, und entsprechen einem dicht verwobenen Flechtwerk, aus dem sich einzelne Zusammenhänge kaum isolieren lassen. Entsprechend hängt eine Massenvermehrung bei Käfern, Schmetterlingsraupen oder von Wühlmäusen von sehr vielen Faktoren ab und nicht nur von der Siedlungsdichte an Meisen oder Käuzen. Neben Witterungsverlauf sowie Nährstoff- und Wasserangebot des Waldbodens ist es vor allem die Vielfalt der Organismen, die das Ausmaß der Bestandsschwankungen bei den Forstschädlingen mitbestimmt. Wenn auch weniger auffällig, so sind die effektivsten Antagonisten (= Gegenspieler) der unbeliebten Insektenarten feine Pilzfäden, räuberische Fliegenlarven, schmarotzende Schlupfwespen und das Heer der Sammler und Jäger unter den Tausendfüsslern, Spinnen, Käfern, Wespen und Ameisen.

Und hier liegt das zweite Missverständnis im durchaus naiven Grundgedanken des frühen Vogelschutzes: Ein vielfältiges Beziehungsnetz setzt eine Fülle an Lebensmöglichkeiten im Wald voraus. In forstlichen Monokulturen, in altersgleichen Baumbeständen und auf strukturarmen Kahlflächen kann aber nur ein kleiner Ausschnitt der reichen Artenvielfalt eines naturnahen Waldes vorkommen. - Die simple Rechnung, dass die Risiken einer naturfernen Holzproduktion mit Hilfe von massenhaft "Arbeitsvögeln" einzudämmen seien, konnte nicht aufgehen!

Der Vogelschutz im Wald muss heute völlig andere Wege gehen. Dazu zählt ein ausreichender Anteil überdurchschnittlich alter Bäume, die mit ihrer rau zerklüfteten Borke und frei ragenden Krone eine besonders große Zahl an Spinnen und Insekten beherbergen können. Starkastige Baumkronen eignen sich darüber hinaus für den Bau großer Horste, wie sie von Schwarzstorch, Graureiher oder Seeadler zu schwergewichtigen Plattformen ausgebaut werden. Für Höhlenbrüter unter den Singvögeln haben Uraltbäume mit Klüften, Bruchstellen und angemorschten Totästen einen besonderen Stellenwert zur Einrichtung ihrer Brutplätze. Solch hohe Altersklassen bevorzugen auch die Spechte, die in Baumstämme ausreichender Stärke ganz unterschiedlich große Höhlen zimmern.

Ausgehöhlte Stämme bzw. große Baumhöhlen sind selbst im Naturwald sehr selten, und müssen als Brutplatz für Wald- und Habichtskauz entsprechend bewahrt werden. Vielfach bestätigt wurde in den letzten Jahren die herausragende Bedeutung von Totholz - in jeder Form wie abgedorrte Nadelhölzer, verpilzte Buchenstrünke, angewittertes Lagerholz oder auf dem Waldboden modernde Stämme. Angereichert durch Pilzfäden, durchlöchert mit Fraßgängen von Würmern, Schnecken und Insektenlarven und überwuchert von Flechten und Moosen erweist sich Totholz als besonders artenreiches Beutereservoir, von dem zahlreiche Vogelarten zehren können. Folgerichtig lässt sich ein Zusammenhang zwischen dem Reichtum an Totholz und dem der Vogelarten erkennen, wobei wenigstens 30 bis 40 Festmeter pro Hektar als nötig diskutiert werden.

Wenn die Vogelarten des Waldes auch bislang keine bedrohlichen Bestandseinbrüche erlitten haben, so muss die Waldbewirtschaftung jene Arten mit besonders hohen Lebensraumansprüchen vorrangig berücksichtigen. Dazu zählen z. B. die Arten großflächig geschlossener Wälder wie Waldbaumläufer und Waldlaubsänger, die Waldlücken-Bewohner wie Baumpieper und Haselhuhn und die störungsempfindlichen Großvögel mit besonders hohem Raumanspruch wie Auerhuhn, Schrei- und Seeadler, Schwarzstorch und Uhu. Mit der Ausweisung von Biotopbäumen und nutzungsfreien Altholzinseln ist den Waldvögeln jedenfalls besser gedient als mit Kunsthöhlen und Meisenknödeln.

Autor:
Dr. Wolfgang Scherzinger
war fast vier Jahrzehnte
der Zoologe des Nationalparks Bayerischer Wald. Vor
allem forschte und publizierte er zu Spechten, Eulen
und Rauhfußhühnern.

Literaturhinweis:
W. Scherzinger, 2011, Der Wald als Lebensraum der Vogelwelt.
In: Wald. Österr. Lebensministerium/Wien; Böhlau-Verlag

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
Mäuse sind die Lieblingsspeise des Waldkauzes
Nistkästen können die Angebotsvielfalt toter Bäume nicht ersetzen.
(Aus Ornithol. Kalender/Aula-Verlag, 1994)

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Quelle:
Unser Wald - Zeitschrift der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald
1.‍ ‍Ausgabe, Januar/Februar 2012, Seite 7-8
Herausgeber:
Bundesverband der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald e.V., Bonn
Redaktion: Meckenheimer Allee 79, 53115 Bonn
Telefon: 0228 / 945 98 30, Fax: 0228 / 945 98 33
E-Mail: unser-wald@sdw.de
Internet: http://www.sdw.de
 
Erscheinungsweise: zweimonatlich
Bezugspreis: Jahresabonnement 17,50 Euro
einschl. Versandkosten und 7% MwSt.
Einzelheft: Preis 3,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2012