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WASSER/200: Kampf um den heiligen Fluß - Der Ganges am ökologischen Scheideweg (WWF Magazin)


WWF Magazin 3/2009
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Kampf um den heiligen Fluß
Der Ganges am ökologischen Scheideweg

Von Dorothea August, WWF


Der "Ganga", so der indische Name des Ganges, ist Fluss und lebendige Göttin zugleich. Das Wasser reinigt nach Hinduglaube Körper und Geist. Darum möchte jeder Hindu einmal im Leben in das heilige Wasser des Ganges eintauchen, um seine Sünden abzuwaschen. Es wird auch als Weihwasser und Medikament verwendet. Obwohl der Ganges extrem verschmutzt ist.

Denn das ist die irdische Kehrseite des riesigen Stroms: Täglich werden mehr als eine Milliarde Liter giftiges Abwasser mit Chemikalien von Arsen bis Quecksilber aus Fabriken eingeleitet. Es wimmelt von Kolibakterien, weil Haushaltsabwässer vor allem aus Millionenstädten wie Neu Delhi und Kalkutta weitgehend ungeklärt eingeleitet und traditionell Leichen im Ganges bestattet werden. Zudem wird dem Strom viel mehr Wasser entnommen, als nachfließen kann. Allein im Bundesstaat Uttarakhand haben 220 Wasserkraftprojekte den natürlichen Abfluss zerstört. Nur noch rund fünf Prozent der einstigen Wassermenge erreichen heute das Mündungsgebiet in Bangladesch. Trotzdem - und das klingt unglaublich - birgt der Ganges noch so manches biologische Wunder und ist auf weiten Strecken bis heute ein faszinierendes, artenreiches Ökosystem geblieben. Einmalig ist etwa das gemeinsame Mündungsgebiet der Flüsse Ganges und Brahmaputra in den Sundarbans, ein mehr als eine Million Hektar großes Delta vielfältigster Mangrovenwälder, in denen noch der Indische Tiger zu Hause ist. Neben mehr als 140 Fischarten leben im Ganges auch besonders bedrohte Tiere wie der Indische Otter und mehrere Arten von Süßwasserschildkröten.


Susu fischt im Trüben

Außergewöhnlich ist der Ganges-Delfin. Er ist eine von zwei Flussdelfinarten des indischen Subkontinents, die nur noch in den Einzugsgebieten der Flüsse Ganges, Brahmaputra und Megha leben. In den 1980er Jahren wurde die Population noch auf bis zu 5000 Tiere geschätzt. Danach gingen die Zahlen rapide zurück auf weniger als 2000 Individuen im Jahr 1997. Seither engagiert sich der WWF für die Rettung des Ganges-Delfins. Aktuell wird sein Bestand auf noch etwa 1800 Tiere geschätzt. Allein auf einem kurzen Flussabschnitt des Ganges zwischen den Städten Bijnor und Narora konnte der WWF durch Sicherung ausreichender Abflussmengen und den Schutz wichtiger Wasserzonen die Population der Tiere leicht erhöhen.

"Susu", wie der Ganges-Delfin in lokalen Sprachen wegen seines niesenden Atemgeräusches heißt, ist ein Botschafter des Ganges. Charakteristisch ist die lange Schnauze des bis zu zwei Meter großen, nahezu blinden Säugers, der sich im trüben Wasser nur durch seine Laute orientiert. Ganges-Delfine können bis zu 30 Jahre alt werden.

Doch die Eingriffe der letzten Jahrzehnte in das natürliche Flussökosystem durch Staudämme, große Wasserentnahmen und Begradigungen bedrohen die Säugetiere. Hinzu kommen die Bejagung, Fischerei, Verluste durch Beifang sowie die wachsende Umweltverschmutzung. Diese Faktoren bedrohen nicht nur die Flussdelfine, sondern auch andere Tiergruppen wie Fische, Krokodile und Schildkröten.


Ökologische Wende in Sicht?

Trotz der erheblichen Umweltprobleme beherbergt der Ganges im oberen und mittleren Lauf noch immer vielfältige biologische Gemeinschaften. Deshalb ist der WWF gerade in den dortigen Bundesstaaten Uttar Pradesh und Uttarakhand an der Grenze zu Nepal und Tibet aktiv. Dort unterstützt die Umweltstiftung die Entwicklung einer nachhaltigen Nutzung der Wasserressourcen des Ganges.

Darüber hinaus hat sich der WWF die Verbesserung der Wasserqualität und die Renaturierung der natürlichen Lebensräume am Ganges zum Ziel gesetzt. Im ersten Schritt werden zusammen mit Fachleuten und unter Beteiligung lokaler Institutionen die möglichen Auswirkungen der hohen Wasserentnahmen aus dem Fluss auf die natürlichen Ökosysteme und Lebensbedingungen untersucht. Die Ergebnisse sollen helfen, das Wasser künftig sozialer und ökologisch nachhaltiger zu verteilen und Mindestabflüsse zu sichern. Dabei arbeitet der WWF eng mit Wissenschaftlern sowie lokalen Behörden und Regierungsinstitutionen zusammen. Kläranlagen müssen gefördert, Energie effizienter genutzt und Systeme für die kommunale Wasserversorgung und -entsorgung geschaffen werden. Die große Bedeutung des Flusses und die Dringlichkeit der Probleme machen das Ganges-Projekt zu einem Modell für den künftigen Umgang mit natürlichen Ressourcen weit über Indiens Grenzen hinaus.


Bessere Baumwolle

Zugleich setzt der WWF bei den großen Wassernutzern an, vor allem den Baumwollbauern. Denn ein Schlüssel zur ökologischen Wende am Ganges ist die Förderung sparsamer und sauberer Bewässerungssysteme in der Landwirtschaft. Von insgesamt neun Millionen Hektar bewässerter Baumwollanbaugebiete Indiens liegt ein Großteil im Ganges-Einzugsgebiet. Diese brauchen nicht nur viel Wasser: Im Anbau und in der Verarbeitung der Baumwolle werden schädliche Pestizide und Chemikalien eingesetzt, die schlussendlich im Ganges landen.

Mit der "Better Cotton Initiative" entstand 2007 eine vom WWF mitgegründete Kooperation von Produzenten, Händlern und nicht-staatlichen Organisationen, um den Baumwollanbau umweltverträglicher zu gestalten. Zur späteren Vermarktung und Kontrolle der neuen Anbaumethoden wird ein Zertifizierungsstandard entwickelt. Er soll gewährleisten, dass Pflanzenschutzmittel keine Schäden mehr anrichten. Außerdem soll effizient und mit Rücksicht auf Wasserverfügbarkeit, Bodenschutz und Erhaltung der natürlichen Lebensräume bewässert werden. Nach diesen Kriterien werden derzeit in Indien mit Kleinbauern Pilotanbauflächen entwickelt, von denen in zwei bis drei Jahren erste Ernten in den Handel kommen sollen.

Durch beide Modelprojekte will der WWF zeigen, wie die Lebensgrundlagen der Menschen, die direkt vom Fluss abhängen, überall entlang des Ganges mit der Natur gesichert werden können. Langfristig kann durch eine höhere Wasserqualität die gesundheitliche Situation von Millionen Anwohnern verbessert und die Flussökosysteme und ihre Arten erhalten werden.

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

• Der mehr als 2500 Kilometer lange Ganges versorgt einen großen Teil Indiens und Bangladeshs mit Wasser für Leib und Seele - von seiner Quelle im Himalaja-Gebirge bis zur Mündung in den Sundarbans, wo die indischen Tiger zu Hause sind.

• Seltener Susu: Der Ganges-Delfin ist eine von zwei - Flussdelfinarten des Subkontinents. Der WWF versucht ihn vor dem Aussterben zu bewahren.


Der Ganges

Aus dem Schmelzwasser des Gangorti-Gletschers im tibetischen Hochland des westlichen Himalajas entsteht der Bhagirathi-Fluss, der sich mit dem Alaknanda-Fluss zum Ganges vereint. Dieser nimmt auf seinem 2510 Kilometer langen Lauf zahlreiche weitere Flüsse auf, bevor er im riesigen Sundarbans-Delta in den Indischen Ozean mündet.

Mit mehr als 400 Millionen Anwohnern bildet der Ganges das am dichtesten besiedelte Flusseinzugsgebiet der Welt. Vom Kleinbauern über Fischer bis zum Städter und Arbeiter in der Großindustrie hängen sie alle direkt vom Fluss ab. Vor 150 Jahren begann die Ausdehnung der Landwirtschaft. Dabei gingen mehr als 80 Prozent der ehemaligen Waldflächen im gesamten Einzugsgebiet verloren. heute werden fast drei Viertel der Flächen des Flusseinzugsgebietes zum Ackerbau genutzt - vor allem für Getreide und Baumwolle. Fast die Hälfte der bewässerten Landwirtschaftsfläche Indiens liegt im Ganges-Einzugsgebiet.


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Quelle:
WWF Magazin 3/2009, Seite 27-29
Herausgeber:
WWF Deutschland
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Die Zeitschrift für Mitglieder und Freunde der
Umweltstiftung WWF Deutschland erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. September 2009