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WASSER/214: Neozoen - Übernehmen Fremdlinge die Herrschaft in unseren Flüssen? (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 948 vom 22. Juni 2010 - 29. Jahrgang

Übernehmen aggressive Fremdlinge die Herrschaft in unseren Flüssen?


Manchmal erinnert die Debatte über Neozoen in unseren Flüssen fatal an die fremdenfeindlichen Ausfälle gegenüber Asylbewerbern (s. RUNDBR. 416/4). Tatsächlich wird die invasive Ausbreitung von Organismen aus weit entfernten Regionen in unseren Flüssen aber mehr und mehr zu einem Problem - das der Mensch beispielsweise durch den Bau von flussverbindenden Kanälen beträchtlich gefördert hat. Ein Beispiel für das Vordringen fremder Arten über Kanalsysteme bei den flussbewohnenden Kleinkrabbeltieren ("Makrozoobenthos") ist Dikerogammarus villosus. Dieser Höckerflohkrebs war in Europa ursprünglich nur in der unteren und mittleren Donau verbreitet. Über den 1992 fertig gestellten Rhein-Main-Donau-Kanal gelangte der Fremdling in den Rhein und von dort aus über den Mittellandkanal in Weser, Elbe und Oder. Die Ausbreitung und explosionsartige Vermehrung des Flohkrebses führte zu einem deutlichen Rückgang ursprünglicher Arten, wie z.B. der heimischen Köcherfliege Hydropsyche sp. Beim Makrozoobenthos-Bestand auf der Rheinsohle kann konstatiert werden, dass bis zu 90 Prozent der Makrozoobenthos-Biomasse aus neu eingewanderten Tieren ("Neozoen") besteht.

Das aggressive Vordringen des Flohkrebses wird in dem Beitrag "Neobiota und ihre Bewertung im Sinne der Wasserrahmenrichtlinie" im neuen Jahresbericht der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) (S.30 - 31) erwähnt. Fakt ist jetzt bereits, dass die Neozoen die Gewässergütebewertung nach den Vorgaben der EG-Wasserrahmenrichtlinie - vermeintlich - verschlechtern können. So hat die Verdrängung elbetypischer Arten durch Neozoen den Gewässerzustand in der Elbe von "gut" auf "mäßig" verschlechtert. Ähnliche Einbrüche bei der Gewässergüte können auch an Rhein und Donau beobachtet werden.


Wenig Fremdlinge in der Wupper - dafür um so mehr im Rhein

Invasiven Arten ist es bislang noch nicht gelungen die Wupper zu erobern. Der Bestand an Neozoen in der Wupper sei "erfreulicherweise gering" schreibt ANDREA VAN DEN BOOM in ihrem Aufsatz "Neozoen im Wuppereinzugsgebiet" in Natur in NRW 4/09, S. 21-23. Die Autorin erläutert zunächst, warum es sich bei invasiven Neozoen hauptsächlich um Krebse, Muscheln und Schnecken handelt - und nicht um Insekten:

"Unter der sonst in Fließgewässern sehr artenreichen Gruppe der Insekten finden sich keine Neozoen. Ihr anspruchsvoller Lebenszyklus mit einer terrestrischen Imaginalphase [= geflügeltes Insekt] verringert die Wahrscheinlichkeit, auf geeignete Lebensbedingungen sowohl während des Transports als auch am neuen Lebensraum zu treffen." Insbesondere durch Kanalbau und Schifffahrt hätten sich in Deutschland bislang unter den Wirbellosen 49 Neozoen- Arten etablieren können. 38 Arten davon konnten im gesamten Rhein nachgewiesen werden. "Pontokaspische Arten (= Arten aus dem Gebiet des Schwarzen und des Kaspischen Meeres) gelangten besonders seit dem Durchstich den Main-Donau-Kanales 1992 (...) in den Rhein und haben seitdem zu mehrfachen Umstrukturierungen der Rheinlebensgemeinschaften geführt."


Neozoen täuschen schlechte Gewässergüte vor

In dem Aufsatz "Neozoen in der Lippe - Faunenverfälschung durch invasive Tierarten und ihre wasserwirtschaftliche Bedeutung" erläutern MARIO SOMMERHÄUSER ET.AL. in Natur in NRW 4/09, S. 24-28, warum die eingewanderten und eingeschleppten Neozoen die Gewässergüte nur scheinbar verschlechtern. Aufgrund ihrer überwiegenden Herkunft aus der Schwarzmeerregion bzw. aus Ästuarien handele es sich um hartgesottene Viecher, die auch hohe Salzkonzentrationen und niedrige Sauerstoffkonzentrationen aushalten. Deshalb hat man diesen Organismen "hohe Saprobiewerte" zugeordnet - sie zeigen damit eine schlechte Gewässergüte an. Da viele Neozoen in gigantischen Stückzahlen bei uns auch in Gewässerabschnitten vorkommen, deren Gewässergüte eigentlich ganz passabel ist, täuschen die Neozoen bei der biologischen Gewässergütekartierung aber eine schlechte Gewässergüte vor:

"Der Fluss erscheint schlechter als er ist. (...) Hier ist es die Aufgabe der Gewässerbewerter einen Korrekturfaktor einzuführen, der das Phänomen hoher Neozoenvorkommen berücksichtigt", fordern die Mitarbeiter des Lippe-Verbandes. Der Lippeverband kann auf 70 Jahre biologischer Bestandsaufnahmen zurückblicken. Bei der Auswertung der Messreihen wird deutlich, dass die Einwanderung von Neozoen in den 70 Jahren begonnen hat. Zuvor war die Gewässergüte im Rhein- und Lippeeinzugsgebiet selbst für robuste Neozoen zu schlecht. "In den folgenden Jahrzehnten bis 2000 hat sich die Anzahl der jeweils neu hinzukommenden Arten jedes Jahrzehnt verdoppelt."

Beim Lippeverband hofft man, durch eine naturnähere Umgestaltung der Lippe den einheimischen Fließgewässerorganismen wieder einen besseren Lebensraum zu schaffen, damit sie sich besser gegenüber dem Konkurrenzdruck invasiver Neozoen behaupten können. Da aber jetzt schon an einzelnen Abschnitten der Lippe bis zu drei Viertel der Lebensgemeinschaften aus Neozoen bestehen, werde sich der Bestand an Neozoen aber nicht mehr vollständig zurückdrängen lassen.

Weitere Auskunft zur Entwicklung und Bewertung
der Neozoenproblematik in der Lippe:

Dr. Mario Sommerhäuser
Lippeverband
Kronprinzenstraße 24
45128 Essen
E-Mail: mario.sommerhaeuser@eglv.de


"Neophyten bedrohen Uferlebensräume"

Unter dieser Überschrift bietet EVA LENHARD in der Ausgabe 1/2010 der österreichischen Zeitschrift WASSERLAND STEIERMARK (s. RUNDBR. 792/4, 785/2, kostenloser Bezug siehe RUNDBR. 699/1) einen sehr guten Überblick über die invasiven Pflanzen, die sich entlang der Flüsse in Österreich - und auch bei uns - breitmachen, welchen Schaden sie anrichten und wie man ihnen beikommen kann (S. 38-40). Ferner wird beschrieben, was jeder einzelne gegen die Ausbreitung des Indischen Springkrautes, der Robinie, des Japanischen Knöterichs und der Riesen-Goldrute unternehmen kann und was von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft zu erwarten wäre. Beispielsweise wird beim Knöterich erläutert, dass dessen starken Wurzeln Uferverbauungen zerstören und andere Pflanzen der Ufervegetation verdrängen. "Da beim Knöterich im Winter keine oberirdischen Pflanzenteile stehen bleiben (...), kommt es zu Erosionen an Gewässerböschungen." Auch das Indische Springkraut lässt im Herbst vegetationslose Stellen entlang der Bäche und Flüsse übrig, die dann ebenfalls erosionsanfällig sind. Die Autorin schreibt u.a., dass die EU-Kommission die Kosten für Bekämpfung und Beseitigung von Neobiota sowie die von Neobiota hervorgerufenen Schäden auf mindestens 12 Mrd. Euro im Jahr beziffert. Diesbezüglich verweist die Autorin auf die englisch sprachige Homepage www.europe-aliens.org

Weitere Auskunft zu den Aliens an den steiermärkischen Bächen:
Mag. Dr. Eva Lenhard
Umwelt-Bildungs-Zentrum Steiermark
Brockmanngasse 53
A - 8010 Graz
Tel.: 0043/316/835 404
E-Mail: eva.lenhard@ubz-stmk.at


Eher nur für Hardcore-Gewässerschützer

Die Jahresberichte der Bundesanstalt für Gewässerkunde (BfG) dürften für Normalsterbliche zu fachspezifisch sein. Für professionelle GewässerschützerInnen könnten die Jahresberichte der BfG aber eine interessante Lektüre abgeben. Die BfG mit einem Mitarbeiterstab von fast 400 Beschäftigten kann mit einem äußerst umfangreichen Forschungsfeld glänzen. Das reicht von den oben genannten Neozoen über eine ökologisch ausgerichtete Gewässerunterhaltung bis hin zur Bestimmung der Quecksilberkonzentrationen in Mosel und Rhein.

Der neue BfG-Jahresbericht (A4, ca. 90 S.) kann
kostenlos angefordert werden bei der
Bundesanstalt für Gewässerkunde
Postfach 20 02 53
56002 Koblenz
Tel.: 0261/1306-0, Fax: 1306-5302
E-Mail: posteingang@bafg.de
Internet: www.bafg.de

(Zu früheren BfG-Jahresberichten siehe die BBU-WASSER-RUNDBRIEFE Nr. 351, 256 und 234.)


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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 948/2010
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU),
Rennerstr. 10, D-79106 Freiburg i. Br.
Tel.: 0761/275693; 45687153
E-Mail: nik@akwasser.de
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2010