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WASSER/239: Mehr Raum für die Oder - Ökologisch wertvoll, bedeutungslos für die Schifffahrt (naturmagazin)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 2/2023

Mehr Raum für die Oder

Ökologisch wertvoll, bedeutungslos für die Schifffahrt

von Kerstin Koch


Die Oder ist der letzte große Fluss in Deutschland ohne Wanderhindernisse und sehr unterschiedlich breit und tief. Deshalb kann dort die natürliche Dynamik mobiler Fischpopulationen untersucht werden, erläutert. Dr. Christian Wolter vom IGB (Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei) in Berlin während der Oderkonferenz Ende März in Frankfurt/Oder. In der Oder kommt bundesweit die größte Quappenpopulation vor, außerdem Blei, Stromgründling, Zope und Wandermaräne. Der Baltische Goldsternbeißer lebt deutschlandweit nur in der Oder, für den Baltischen Stör läuft seit mehr als 15 Jahren ein Wiederansiedlungsprojekt. Dann kam der August 2022.

Salziger als die Ostsee

Zahllose Fische und Muscheln und Wasserschnecken starben durch die Algenart Prymnesium parvum. Normalerweise lebt sie im Brackwasser und kann ein für Fische, Schnecken und Muscheln tödliches Gift produzieren. Dass es zu der sogenannten Algenblüte kam, ist den sehr hohen Salzgehalten zu dieser Zeit geschuldet. Woher kam das Salz? Laut Nina Noelle von Greenpeace Deutschland ergaben Untersuchungen auf polnischer Seite in der Oder, den Nebenflüssen und Seitenkanälen, dass das Salz (Chloride und Sulfate) aus dem Bergbau insbesondere aus dem Kohlebergbau stammt. Auch zwei Polnische Unternehmen konnten ausgemacht werden, die die Einleitungen einräumen, allerdings seien diese legal. Doch die in Polen festgelegten Grenzwerte sind viel zu hoch, so Noelle.

Jetzt ist die Alge in der Oder, derzeit im sogenannten Dauerstadium, sobald es die Verhältnisse wieder zulassen (warm, Niedrigwasser und hohe Salzgehalte) kann es erneut zu einer Algenblüte kommen. Im Herbst 2022 waren die Rückgänge vor allem bei Großfischen dramatisch, so Wolter. Auch dass 20.000 Jungstöre in den Nachzuchtbecken verendet sind, hätte durch ein Vorwarnsystem verhindert werden können.

Der Oderausbau

Im deutsch-polnischen Abkommen aus dem Jahr 2015 wird der Ausbau der Oder festgelegt, damit Eisbrecher bei Niedrigwasser nicht steckenbleiben, zum anderen soll die Oder von Güterschiffen befahren werden. Die "Stromregelungskonzeption für die Grenzoder" befasst sich mit der Stabilisierung und Verbesserung der schiffbaren Wassertiefe, insbesondere mit Hilfe von Stromregelungsbauwerken wie Buhnen. Gegen den Ausbau regt sich in Deutschland und Polen Widerstand: Die Festlegung von einer für die Eisbrecher notwendigen Wassertiefe von 1,80 Meter sei weder historisch belegt, noch notwendig, so die Meinung der Experten. Vor allem, da es auch Alternativen dazu gebe, sogenannte Schwimmbagger, wie Sascha Maier vom Aktionsbündnis "Lebendige Oder" während der Konferenz erläutert. Und der Ausbau für große Schiffe sei ebenfalls unnötig, da die Oder nicht als sogenannte "E30"-Wasserstraße vorgesehen ist, sondern sie sei im "Bundesverkehrswegeplan als Nebenwasserstraße ausgewiesen und soll es auch bleiben", so Michael Kellner, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Im Gegensatz dazu ist auf polnischer Seite das Ziel, die Güterschifffahrt auf der Oder auszubauen. Doch selbst dort kam es Anfang März in letzter Instanz per Gerichtsbeschluss zur Verhängung eines Baustopps. Trotzdem wurde auch Ende März noch weitergebaut.

Die anvisierten Baumaßnahmen an der Oder führen nicht zu einer sogenannten Hochwasserneutralität. Das heißt, sie gewährleisten keinen Hochwasserschutz. Zum Beispiel müssen Rückhaltebecken, sind sie nach dem Winter gefüllt, vor den Sommerhochwassern erst einmal geleert werden. Was die Wassermenge erhöhe, erklärt der Experte für Wasserbau- und Wassermanagement, Georg Rast. Die geplanten Staustufen führen zum Rückstau und verringern die Fließgeschwindigkeit, was wiederum Algenblüten begünstigt. Ganz zu schweigen von den Gefahren für das Ökosystem Oder und seine einzigartigen Lebensräume, z.B. Schlammbänke. "Der Ausbau ist die absolut falsche Maßnahme", bestätigt auch Dr. Christiane Rohleder, Staatssekretärin im Bundesumweltministerium.

Renaturierung statt Ausbau

Gerade nach der Katastrophe im vergangenen Jahr sei jetzt ein sofortiger Stopp der übermäßigen Salzeinleitungen unerlässlich, führt Wolter weiter aus, außerdem müssten die Genehmigungen an die Durchflüsse angepasst und Konzentrationsmaximalwerte festgelegt werden. Neben einer Folgenabschätzung der Katastrophe auf den ökologischen Zustand der Oder müsse auch eine Neubewertung der Umweltauswirkungen des Ausbaus erfolgen. Bis dahin dürfe nicht so weitergebaut werden. Längerfristig müssen, so Wolter, der Wasserrückhalt der Landschaft gefördert, die Überflutungsauen für den Hochwasserschutz ausgeweitet, Alt- und Nebenarme angeschlossen und revitalisiert werden. Denn: Begradigte und regulierte Flüsse führen Abflüsse und Hochwasser schneller ab, sie tiefen sich ein, damit gehen Sandbänke verloren und bei sinkenden Wasserständen entwässern die Auen stärker. Folglich setzen Niedrigwasser und Dürre früher ein und halten länger an. Dem ist nur durch eine Renaturierung auch unter dem Aspekt der Wasserrahmenrichtlinie entgegenzuwirken.

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
- Oderniederung bei Zollbrücke.
- Morgens an der Alten Oder bei Lebus.
- Singschwäne im Nationalpark Unteres Odertal.
Fotos: Wolfgang Ewert

Links:
- https://www.youtube.comwatch?v=xNxj9TWgS5A
- www.igb-berlin.de
- https://saveoder.org/
- https://www.igb-berlin.de/sites/default/files/media-files/download-files/IGB%20%Policy%20Brief%20-%20Die%20Zukunft%20der%20Oder_web.pdf

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Quelle:
naturmagazin, 37. Jahrgang - Nr. 2, Juni bis August 2023, S. 12-13
Herausgeber:
Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband
Brandenburg
NaturSchutzFonds Brandenburg, Stiftung öffentlichen Rechts
Natur+Text GmbH
Anschrift der Redaktion:
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veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 18. Juli 2023

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