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LAIRE/052: "Klimaschützer" Al Gore beschwört Marktgesetze (SB)


Unbequem aber wahr

Marktkräfte schützen nicht vor der Erderwärmung, sie beschleunigen die Entwicklung


Einen Tag bevor der frühere US-Vizepräsident Al Gore den Friedensnobelpreis für seinen Einsatz im Klimaschutz entgegennahm, erklärte er Journalisten, daß die globalen Märkte [1] das wesentliche Instrument seien, um die Erderwärmung aufzuhalten.

Dieser Einschätzung ist nur insofern zuzustimmen, als daß die Verteuerung der CO2-Produktion durch Besteuerung und der globale Handel mit Klimazertifikaten (vor dem Hintergrund einer international verbindlichen Festlegung von Kohlendioxid-Emissionsobergrenzen) voraussichtlich zu einer Abnahme der Emissionen führen wird.

Aber eben weil es Marktkräfte sind, die Gore beschwört, kann man davon ausgehen, daß die Marktteilnehmer, über je mehr Einfluß sie verfügen, alles daran setzen werden, einschränkende Bestimmungen nach Möglichkeit zu umgehen. Darauf ließe sich einwenden, daß die Regeln enger gefaßt werden müssen. Da stellt sich jedoch die Frage, ob das dann noch Marktkräfte sind oder ob dies nicht in einem umfassenden staatlichen Dirigismus münden würde. Gegen Dirigismus spräche a priori nichts, allerdings endeten entsprechende politische Systeme in der Vergangenheit in repressiven Diktaturen.

Was also tun? Die ominösen Marktkräfte jedenfalls haben die Menschen in den Schlamassel hineingeritten. Das wird an den heutigen Industriestaaten deutlich, in denen die höchsten Pro-Kopf-Emissionen an Treibhausgasen erzeugt werden, und an China, in dem die Marktwirtschaft Einzug gehalten hat und das seit Jahren einen wirtschaftlichen Aufschwung mit steter Steigerung der Treibhausgasemissionen erlebt.

Ausgerechnet Marktkräfte sollen den Klimawandel aufhalten? Gores Standpunkt ist weder originell noch radikal. Der ehemalige Vizepräsident der USA greift mit seinen Vorschlägen nicht die Wurzeln der Treibhausgasemissionen an, denn dann müßte er zumindest das politische System, das sich über die ständige Expansion und somit den dauerhaft angeheizten Verbrauch zu stabilisieren versucht, in Frage stellen.

Die gegenwärtig rasanten klimatischen Veränderungen in verschiedenen Weltregionen lassen bei Wissenschaftlern die Befürchtung aufkommen, daß bestimmte Schwellenwerte physikalisch meßbarer Größen wie die Temperatur demnächst überschritten werden oder bereits überschritten sind und sich die Erwärmung in den nächsten Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten nicht zurückschrauben läßt, selbst wenn die Menschheit auf einen Schlag sämtliche anthropogenen Treibhausgasemissionen eliminieren würde.

Falls das zutrifft, sollte besser nicht davon ausgegangen werden, daß die Gefahr durch den Klimawandel innerhalb des marktwirtschaftlichen Systems bewältigt werden soll. Zumal es gar nicht darauf ausgelegt ist, der Menschheit oder auch nur die Mehrheit der Menschen ein nicht durch akute Überlebensnot geprägtes Leben zu bescheren. Im Gegenteil, marktwirtschaftliche Kräfte (Konkurrenzprinzip, Expansionsnot der Wirtschaft) eignen sich besonders gut dazu, soziale Hierarchien aufzubauen, zu befestigen und so undurchdringlich zu machen, daß ein Wechsel von einer unteren in eine höhere Klasse nicht mehr möglich ist.

Was in Science-fiction-Romanen bereits vorweggenommen wurde, könnte tatsächlich eintreten, wenn Marktgesetze gelten: Die Menschheit wird sich aufteilen in wenige Privilegierte, die besonders geschützte oder günstig gelegene grüne Inseln bewohnen, und ein globales Lumpenproletariat in der übrigen, weitgehend sich selbst überlassenen und von Epidemien, Sauerstoff-, Wasser- und Nahrungsnot beherrschten Welt.


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Anmerkung:

[1] Die Bezeichnungen "globaler Markt" oder "Weltmarkt" sind eine Fiktion. Sie versprechen gleichen Chancen für die Marktteilnehmer. Dabei wird unterschlagen, daß die Regeln, nach denen der Markt funktionieren soll, von denen aufgestellt werden, die dadurch zu Lasten aller anderen am meisten profitieren.

13. November 2007