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LAIRE/061: LichtBlick und der Irrtum, Energie sei erneuerbar (SB)


Ökostromanbieter LichtBlick hat den Vorwurf, seinen Kunden auch Atomstrom zu verkaufen, zurückgewiesen

In der öffentlichen Debatte blieben grundlegende Fragen an den Energiebegriff ungestellt


Deutschlands größter Ökostromanbieter LichtBlick ist vergangene Woche in die Kritik geraten, weil er nicht ausschließlich sogenannten grünen Strom verkauft, sondern auf der Leipziger Strombörse grauen Strom dazugekauft hat. Bei diesem Strom ist die Quelle nicht zu bestimmen, sie kann demnach ein "öko-feindliches" Kern- oder Kohlekraftwerk sein. Allerdings gilt es grundsätzlich, daß sich elektrischer Strom nicht zu seiner Quelle zurückverfolgen läßt, sobald er über eine Netzstruktur weitergeleitet wird. Auf einfache Weise läßt sich elektrischer Strom als hochfrequente Folge von Anschlägen oder Impulsen begreifen - die Physik spricht von fließenden Elektronen -, die ein Trägermedium wie zum Beispiel das Kupferkabel benötigen. Wenn nun ein Kernkraftwerk und ein Windrad zeitgleich Strom in eine einzige Leitung schicken, weiß natürlich niemand, wo genau die Impulsfolge bzw. die Elektronen ihren Ausgang genommen haben.

Das dürfte den Kunden, die den leicht angegrauten grünen Strom des Ökostromanbieters LichtBlick erwerben, kein Geheimnis sein. Vielmehr treffen sie mit ihrem Kauf eine marktpolitische Entscheidung: Der von ihnen verbrauchte elektrische Strom soll aus regenerativen Energiequellen stammen und nicht aus Kohlekraftwerken, die große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid erzeugen, und nicht aus risikoreichen Kernkraftwerken.

Nachdem die "Financial Times Deutschland" den vermeintlichen Skandal aufgedeckt hatte, gab LichtBlick am vergangenen Donnerstag eine Stellungnahme ab und erklärte, daß der "prognostizierbare Strombedarf" zu hundert Prozent in regenerativer Qualität geliefert wird und daß an der Leipziger Strombörse lediglich ein geringer Teil (circa 0,5 Prozent) "Regelenergie" aus grauen Stromquellen dazugekauft wurde. Künftig werde man aber durch eine gezielte Überspeisung in eine regenerative Lieferung in die Spot- und Ausgleichsenergiemärkte dafür sorgen, daß der 0,5prozentige Fremdbezug "mengengleich" regenerativ geliefert wird. Mit anderen Worten, das Unternehmen wird eine Korrektur vornehmen, so daß auch das letzte Quentchen Strom grün ist.

Wenn überhaupt in diesem Kontext von einer Täuschung oder einem Irrtum gesprochen werden sollte, dann wären Bezeichnungen wie erneuerbare Energie oder regenerative Energie grundlegend zu hinterfragen. Energie kann nicht erneuert werden, energetische Vorgänge laufen nur in eine Richtung. Deshalb dürfte man eigentlich nicht von Energie sprechen, sondern müßte das Wort durch Exergie ersetzen. Dann würde deutlich, daß verbrauchte Energie unwiederbringlich ist.

Um auf die obige Beschreibung des elektrischen Stroms als hochfrequente Folge von Anstößen zurückzukommen: diese Anstöße können nicht wieder zu ihrer Quelle zurückgebracht und ungeschehen gemacht werden. Aus der verstromten Kohle entsteht nicht wieder Kohle, aus dem verbrannten Erdgas nicht wieder Erdgas. Wenn es erneuerbare Energien gäbe, müßten die Gesetze der Physik neu geschrieben werden.

Was sich hier etwas theoretisch anmutet, hat konkrete Konsequenzen. Das menschliche Energieverständnis stützt sich auf Verbrennungs- und Zerstörungsvorgänge, und deren Nutzung bleibt partiell. In der Technik gibt es den Begriff des Wirkungsgrads. Wenn beispielsweise eine Solarzelle einen Wirkungsgrad von zwölf Prozent hat, so bedeutet daß, daß 88 Prozent der Energie ungenutzt verloren gehen. Die Verluste sind also um ein Mehrfaches größer als der Nutzen.

Man könnte an dieser Stelle einwenden, daß die Energie ursprünglich aus der Sonne stammt und die Verbrennung dort sowieso stattfindet. Das trifft zu, aber es geht am Problem vorbei. Um die Sonnenenergie auf diese Weise nutzen zu können, wird drumherum ein technologischer Aufwand in Stellung gebracht - vom Abbau der siliziumhaltigen Sande über das Schneiden von Quarzblöcken bis zur Montage der Solarzellen und deren Verbindung mit dem Stromnetz -, der seinerseits vielfältige exergetische Prozesse voraussetzt. Es stellt sich die Frage, ob nicht der gesamte Aufbau der Infrastruktur zusammengerechnet mehr Energie erfordert, als am Ende jemals mit dem Endprodukt erwirtschaftet werden kann.

Die Antwort auf diese Frage hängt sicherlich davon ab, wie weit man die Kreise zieht, die als notwendig für den Aufbau einer solchen Infrastruktur der Solarstromgewinnung betrachtet werden. Eines dürfte jedoch unstrittig sein: Die Kunden täuschen sich, wenn sie glauben, sie kauften erneuerbare Energien. Ob Windräder, Solarzellen oder Biomasse-Kraftwerke, in jedem Fall läuft die Nutzung auf die Bereitstellung und Verbreitung von Technologien hinaus, die auf Verbrennungsvorgängen basieren und somit von ihrem Wesen her zerstörerisch sind.

Nun ließe sich mit einiger Berechtigung argumentieren, daß der Grad der Zerstörung nicht bei jeder Energiegewinnungsform der gleiche ist. Die Verbrennung endlicher, besonders klimaschädlicher fossiler Energieträger sollte vermieden werden, was somit wieder auf Solar- oder Windenergie, etc. hinauslaufen dürfte. Mit diesem Argument würde sich der Mensch jedoch Grenzen schaffen, von denen heute niemand mehr ausschließen kann, ob sie ihm nicht eines Tages zu einem Strick geraten, den er sich selbst um den Hals legt.

Was wäre, wenn all die Anstrengungen, grünen Strom zu produzieren, nicht genügten? Wer wollte garantieren, daß eine Welt, die vollständig auf regenerative Energienutzung aufgebaut ist, vom Klimawandel verschont bliebe? Damit soll keineswegs den Klimawandelleugnern das Wort geredet, sondern vielmehr die Frage aufgeworfen werden, ob nicht der Energieverbrauch grundlegender in Angriff genommen werden müßte. Eine Welt, die gespickt ist mit Windrädern, Photovoltaik-, solarthermischen oder geothermischen Anlagen, Gezeitenkraftwerken, Staudämmen, etc. unterschiede sich womöglich viel weniger von einer Welt, in der ein großer Teil der verbrauchten Energie über Kohle- oder Uranverbrennung erzeugt wird, als es die Apologeten des grünen Stroms gerne sähen.

Das Unternehmen LichtBlick hat in seiner Stellungnahme klargemacht, daß es sich im Rahmen der üblichen Kategorien von "erneuerbaren Energien" oder "grauem Strom" weiterhin Ökostromanbieter nennen darf. Die Kundschaft kann ein ruhiges Gewissen haben und sich erleichtert zurücklehnen. Die Energie-Exergie-Problematik wird nicht berührt. Der Energiebegriff, mit dem der immanente Verbrauch zu einem scheinbar unerschöpflichen Wirkpotential verklärt wird, spiegelt nicht nur die vorherrschende gesellschaftliche Raubordnung wider, in der das Vernichtungswerk am unteren Ende der sozialen Hierarchie als vermeintlich naturgegeben akzeptiert wird, sondern erfüllt auch eine tragende Funktion bei ihrer Qualifizierung. Mit der behaupteten Erneuerbarkeit von Energie wird ihr grundlegender Verbrauchscharakter mehr denn je mystifiziert.

16. Juni 2008