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LAIRE/098: Energiepflanzen so wenig kohlenstoffneutral wie Erdöl (SB)


Das Märchen von der Kohlenstoffneutralität

Auch Energiepflanzen der nächsten Generation beschleunigen den Klimawandel

Neue "Science"-Studie bestätigt sattsam Bekanntes


Das Zeitalter preiswerten Erdöls geht zu Ende. Das läßt sich oberflächlich daran ablesen, daß "Peak Oil" kein Begriff mehr ist, über den sich nur Experten aus der Erdölindustrie austauschen. Peak Oil ist im Mainstream angekommen und besagt, daß, wenn der Höhepunkt des globalen Fördermaximums überschritten ist, sich die Schere zwischen Erdölverbrauch und der Erdölmenge aus neu erschlossenen Feldern rasant öffnet, was schon bald nach Überschreiten des Maximums einem steilen Abfall der globalen Fördermenge entspricht.

Die EU, USA und andere Staaten sehen in Agrotreibstoffen eine geeignete Alternative zu Erdöl und wollen den Anteil von Bioethanol und Biodiesel am Kraftstoffverbrauch der Gesellschaft erhöhen. Darüber hinaus könnte dieser Treibstoff einen Beitrag zum Klimaschutz leisten, wird behauptet, da das Verbrennen fossiler Energieträger Kohlendioxidemissionen in die Atmosphäre entläßt, während beim Verbrennen von sogenannten Energiepflanzen angeblich nur die Menge Kohlenstoff freigesetzt wird, die zuvor von den Pflanzen gebunden wurde.

Ob Pflanzen, die auch als Nahrung hätten dienen können, in Agrosprit umgewandelt werden, oder ob Energiepflanzen der zweiten Generation (Zellulose aus Bäumen und Gräsern) verwendet werden: Die unterstellte Kohlenstoffneutralität ist nicht nachvollziehbar. Auch der Kohlenstoff in den fossilen Energieträgern stammt von Pflanzen, die ihn bei ihrem Stoffwechsel aus der Umgebung aufgenommen haben. Das geschah vor Millionen Jahren, aber es ist wissenschaftlich unsauber, plötzlich den Faktor Zeit einzuführen, wo doch mit dem Begriff "Neutralität" eindeutig ausgesagt werden soll, daß hier lediglich der Faktor Volumen (der gasförmigen Kohlenstoffanteile) berechnet wird.

Wenn nun behauptet wird, daß die heute angebauten Energiepflanzen im Prinzip kohlenstoffneutral sind, dann müßte man konsequenterweise das gleiche auch vom Erdöl sagen. Daran wird umgekehrt die Haltlosigkeit der behaupteten Klimafreundlichkeit der Biotreibstoffe deutlich, sind es doch ausgerechnet die fossilen Treibstoffe, die den heutigen Erkenntnissen zufolge maßgeblich zur Erderwärmung beigetragen haben und weiterhin beitragen.

Bei der Kohlenstoffneutralität von Energiepflanzen handelt es sich um eine Idealvorstellung, die niemals erfüllt wird. Die Gleichung geht bereits von ihren Voraussetzungen her nicht auf. Auf der einen Seite des Vergleichs steht die Pflanze, die heranwächst, Kohlenstoff aufnimmt, irgendwann stirbt und Kohlenstoff wieder abgibt. Biospritlobbyisten behaupten nun, daß bei der Verbrennung von Energiepflanzen das gleiche stattfindet, aber das stimmt hinten und vorne nicht. Auf der anderen Seite gilt nicht das gleiche, da die Pflanze vor ihrem Zerfall geerntet, technisch bearbeitet und schließlich verbrannt wird. Dazu bedarf es zwingend landwirtschaftlicher Geräte für den Pflanzenanbau, ein Erntewerkzeug, eine Raffinerie oder Destillerie, um die Pflanze in Biosprit zu verwandeln, sowie, last but not least, einen Verbrennungsmotor mitsamt dem technischen Gerät, das von ihm angetrieben werden soll.

Es ist wichtig, sich klar zu machen, daß auf keinen dieser Zusatzaufwände verzichtet werden kann. Um sie zu leisten, bedarf es jedoch einer enormen Energiemenge, die in der Bilanz der Biosprit-Lobbyisten ausgeklammert wird. Eine neue Studie im Wissenschaftsmagazin "Science" weist bereits zart in die hier angedeutete Richtung. [1] Forscher haben zwei Simulationen durchgeführt und berechnet, daß die Erdatmosphäre bis 2100 massiv mit Treibhausgasen belastet wird, sollte der Anteil an Biosprit wie geplant weiter zunehmen.

Die Forschergruppe um Jerry Melillo vom amerikanischen Marine Biological Laboratory (MBL) rechnet damit, daß am Ende dieses Jahrhunderts die Fläche, auf der Energiepflanzen angebaut werden, die Fläche für die Lebensmittelproduktion übertreffen wird. In beiden Modellen wurde ein kleiner Teil der erwähnten Zusatzaufwände berücksichtigt. Im ersten Modell wurde die naturbelassene in eine landwirtschaftlich genutzte Fläche umgewandelt, im zweiten Modell wurden die vorhandenen Anbauflächen belassen, aber die Erträge durch Düngung gesteigert. Außerdem wurde in diesem Fall die Rodung der Wälder und die Verdrängung von Feldern für die Nahrungsmittelproduktion berücksichtigt.

Obwohl Melillo und seine Kollegen in ihren Simulationen nur einen sehr kleinen Teil aus der Vielzahl an kohlendioxidemittierenden Aufwänden im Rahmen der Produktion von Biotreibstoffen berücksichtigt haben, kommen sie bereits auf dieser eingeschränkten Rechenbasis zu dem Schluß, daß dadurch der Klimawandel angetrieben wird. Beispielsweise entweicht aus dem Boden als Folge der gesteigerten Düngung vermehrt das als Treibhausgas wirksame Lachgas (N2O - Distickstoffmonoxid), und durch die Rodung von Wäldern für den Energiepflanzenanbau wird Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen. Sollten diese indirekten Folgen der Biospritproduktion nicht berücksichtigt werden, werde die Verwendung von Bioenergie das Treibhausgasproblem eher verstärken als lösen, so Melillo.

Die angebliche Kohlenstoff- oder Klimaneutralität von Biospritpflanzen hat das Potential zu einer typischen Münchhausengeschichte. Baron Münchhausen wird die Anekdote in den Mund gelegt, daß er sich selbst an den Haaren gepackt und aus dem Sumpf gezogen hat. Übertragen auf unser Beispiel hieße das, daß der verhängnisvolle Klimawandel angeblich nicht stattfindet, nur weil Treibhausgase emittiert werden, die bei der Verbrennung von nicht-fossilen Pflanzenanteilen freigesetzt werden.

Biotreibstoffe sind kein Ausweg aus dem Dilemma einer zunehmend unwirtlicher werdenden Erde. Die Erwartung ist absurd, die Menschen könnten hemmungslos weiter Treibstoffe verbrennen und damit ein Verwertungsregime und eine Hochkonsumlebensweise befeuern, ohne daß dies fundamentale Auswirkungen auf die Erdatmosphäre und damit die menschliche Gesellschaft hätte.


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Anmerkungen:

[1] "Indirect Emissions from Biofuels: How Important?", Jerry M. Melillo, u.a., Online-Vorabveröffentlichung, 22. Oktober 2009, Science DOI: 10.1126/science.1180251

23. Oktober 2009