Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → MEINUNGEN

LAIRE/127: Agrosprit - Obamas vermeintlich saubere Alternative zu Erdöl (SB)


US-Präsident fordert eine saubere Energiepolitik

... und könnte damit noch schwerwiegendere Folgen auslösen als die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko


Unter dem Eindruck der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko hat US-Präsident Barack Obama vom Kongreß einen Kurswechsel in der Energiepolitik gefordert. Geld sollte für die Erforschung sauberer Energien verwendet werden. Die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen gefährde nicht nur die Umwelt und die Wirtschaft, sondern auch die nationale Sicherheit, spannte er einen weiten Bogen von Umweltfragen bis zur Sicherheitspolitik.

Man könnte dem US-Präsidenten zustimmen, wenn nicht seine wesentliche Alternative zu fossilen Brennstoffen Agrosprit lautete. Obama hat die Entscheidung seines Vorgängers aus dem Jahr 2007 nicht aufgehoben, den Anteil von Ethanol am Treibstoffverbrauch bis zum Jahr 2015 auf jährlich 56,8 Milliarden Liter zu steigern. Wird der Trend zur Agrospritproduktion nicht korrigiert, entstehen in den USA weitere, riesige Bewirtschaftungsflächen. Dann droht dem Golf von Mexiko zwar keine Ölpest, aber dafür weitreichender Sauerstoffmangel in Form sogenannter Toter Zonen.

Die regelmäßig vor dem Mississippi-Delta auftretende Tote Zone wird durch den Düngereintrag in der Landwirtschaft in den stromaufwärts liegenden Bundesstaaten genährt. Eine Steigerung der Agrospritherstellung wäre folglich mit einem höheren Düngereintrag, einer stärkeren Algenblüte im Golf von Mexiko und somit einer Ausdehnung jenes sauerstoffreduzierten, weitgehend von Leben befreiten Meeresgebiets verbunden. Auch das würde die Fischereiwirtschaft beeinträchtigen, auch wenn die Schäden durch die Ölkatastrophe um ein Vielfaches größer sind.

Die schwerwiegendsten Folgen einer Abkehr der USA von fossilen Energieträgern und Hinwendung zur Herstellung von Agrosprit würden sich möglicherweise gar nicht in den USA zeigen, sondern in den Entwicklungsländern. Denn es besteht eine direkte Flächenkonkurrenz zwischen Pflanzen für Nahrung oder Futter und Pflanzen für Treibstoff. Die US-Regierung hat durch ihre Subventionspolitik erreicht, daß im vergangenen Jahr etwa 25 Prozent der Maisernte zu Sprit verarbeitet wurde. Je weniger Getreide für Nahrung oder Viehfutter verwendet wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit, daß die USA ihre Spendenbereitschaft von Getreide reduzieren. Vor einigen Jahrzehnten hatten US-Politiker die folgenschwere Empfehlung an Entwicklungsländer ausgegeben, sie sollten eine exportorientierte Landwirtschaft betreiben, um das Devisenkonto aufzufüllen, und sich von der Vorstellung, Selbstversorger sein zu müssen, verabschieden. Getreideimporte aus den USA seien preiswerter als heimisch angebautes Getreide, hieß es damals.

Diese Politik gehört spätestens seit der weltweiten Preisexplosion für Lebensmittel vor zwei, drei Jahren der Vergangenheit an. Seitdem hat USAID, das Entwicklungshilfeministerium der USA, eine Revision seiner Aktivitäten vorgenommen, um Einsparungen vorzunehmen und seine Hilfsprojekte zu überprüfen. Die sollen noch stärker als bisher an den eigenen Interessen ausgerichtet werden. Die Staaten stehen besser da, die sich ernährungsmäßig weitgehend selbst versorgen können.

Ob eines fernen Tages für die Herstellung von Agrosprit Getreide durch Algen ersetzt werden, wie es unter anderem vom US-Militär erforscht wird, steht noch in den Sternen. Aber selbst wenn, stellte sich die Frage, wieso Algen nicht prioritär produziert werden, um den Nahrungsmangel aus der Welt zu schaffen. Denn auch Algen lassen sich zu einem Lebensmittel verarbeiten.

Eine andere Energiepolitik der USA dürfte nicht nur deshalb auf eine Verschärfung des Hungers in der Welt hinauslaufen, weil Agrosprit statt Nahrung produziert wird, sondern auch weil Spekulanten die Preise für sowohl für Lebensmittel als auch für Treibstoff nach oben treiben können, wie die Hungerkrise 2007, 2008 gezeigt hat.

Darüber hinaus wird die vermeintlich saubere Energiepolitik die Gefahr radioaktiver Belastungen von Mensch und Umwelt erhöhen, sind doch Laufzeitverlängerungen und der Bau neuer Kernkraftwerke Schwerpunkte des Energiekonzepts der USA. Dessen Energieminister, der Nobelpreisträger Steven Chu, gilt als ausgesprochener Befürworter der Kernenergie.

Im übrigen ist Obamas Ankündigung, saubere Energien erforschen zu lassen, zu einem guten Teil ein Akt der politischen Selbstverteidigung. Ihm wird vorgeworfen, er habe Führungsschwäche gezeigt, weil er die Bekämpfung der Ölpest BP überlassen habe. Inzwischen ist Obama schon drei Mal an die Südküste gereist, um den Eindruck zu erwecken, er kümmere sich um das Problem. Die gleichen Kritiker, die dem US-Präsidenten jetzt vorwerfen, nicht das Zepter in die Hand genommen haben, hatten ihn bei anderer Gelegenheit, wie beispielsweise der Gesundheitsreform, bezichtigt, staatsdirigistisch zu handeln oder gar - völlig absurd - sozialistischen Ideen zu frönen, was in den USA als äußerst schwerer Vorwurf gilt.

Obama hat die Genehmigungen für Offshore-Bohrungen nach Erdöl für zunächst sechs Monate auf Eis gelegt. Das hat die dem Innenministerium unterstellte Regulierungsbehörde Minerals Management Service allerdings nicht daran gehindert, am Mittwoch dem Unternehmen Bandon Oil and Gas eine Erlaubnis für eine Erdölbohrung im Golf von Mexiko, 50 Kilometer vor der Küste Louisianas, zu erteilen. Das zeigt, daß Wort und Tat zwei verschiedene Dinge sind und die USA noch viele Jahre bis Jahrzehnte Erdöl verbrauchen werden, auch wenn es weltweit knapp wird und die Förderanlagen weit hinaus aufs Meer gebaut werden. Der "saubere" Ersatz für Erdöl indessen ist alles anderes als sauber. Die Agrospritnachfrage der USA und der Europäischen Union haben maßgeblich dazu beigetragen, daß hundert bis zweihundert Millionen Menschen zusätzlich hungern müssen.

4. Juni 2010