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LAIRE/132: Deepwater Horizon - Pressezensur der Katastrophenadministration (SB)


Enge Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft bei der Ölbekämpfung im Golf von Mexiko


Die Bekämpfung der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko ist zuvorderst eine Bekämpfung der PR-Katastrophe für BP, den verantwortlichen Betreiber der am 20. April 2010 explodierten und zwei Tage darauf gesunkenen Ölbohrplattform Deepwater Horizon, die elf Menschen das Leben kostete. Bei dem Bemühen, seinen Ruf zu retten, werden dem Unternehmen offenkundig weitreichende administrative Ordnungsfunktionen zugestanden, daß man von einer gegen die Interessen der Bevölkerung gerichteten Kumpanei zwischen Staat und Wirtschaft sprechen muß. Da wird die Pressefreiheit massiv eingeschränkt; es wird eine Flugverbotszone oberhalb verschmutzter Strandabschnitte eingerichtet; Fischereiverbotszonen werden erweitert (was gewissermaßen noch einzusehen ist); und Reinigungskräfte der Ölbekämpfungsteams ruinieren ihre Gesundheit, weil ihnen keine Atemschutzmasken gestellt werden und sie diese auch nicht tragen dürfen, da sich das auf den Fernsehbildern schlecht macht. Um nur einige Beispiele für den Interessensgleichklang zwischen Regierung und Wirtschaft zu nennen.

Auch hat BP große Anteile der Weltproduktion an Dispersionsmitteln aufgekauft und eingesetzt, um damit die Sichtbarkeit der Ölverschmutzung zu bekämpfen. Seitdem wälzen sich unvorstellbar große Wolken an Erdöl, das chemisch in kleinste Tröpfchen aufgespalten wurde, unterhalb der Wasseroberfläche und daher weitgehend unbemerkt durch den Golf von Mexiko, vergiften das Meerwasser und lassen den Sauerstoffgehalt so drastisch absinken, so daß Meeresbewohner fliehen müssen oder verenden.

Die Explosion am 20. April hatte anscheinend nicht nur die (bescheidenen) Sicherheitsvorkehrungen und das Steigrohr oberhalb des Meeresbodens weggesprengt, sondern auch die Betonumfassung tief im Meeresboden zerrüttet. Offenbar quillt und strömt das Gemisch aus Rohöl und Gas nicht nur aus dem eigentlichen Schacht nach oben, wo versucht wird, es abzufangen, sondern, teils womöglich mehrere Kilometer entfernt, auch seitlich aus dem Meeresboden. Ob dieses Öl jemals eingefangen werden kann, ist fraglich. BP bereitet sich derweilen darauf vor, über zwei mehrere Kilometer lange neue Bohrleitungen, die von der Seite her tief in das Erdölfeld getrieben werden sollen, für eine Druckentlastung zu sorgen. Doch wohl niemand von den Experten würde seine Hand dafür ins Feuer legen, daß bei diesen Bohrungen, die technologisch im höchsten Maße anspruchsvoll sind, nicht etwas Ähnliches eintreten kann wie bei Deepwater Horizon. Es würde niemanden wundern, wenn sich die Serie an folgenschweren Pannen beim Versuch, den Ölfluß einzudämmen, nicht an den neuen Bohrlöchern fortsetzte.

Der jüngste Clou: Ein Bundesrichter hat einer Klage mehrerer Ölgesellschaften stattgegeben und das von US-Präsident Barack Obama verhängte sechsmonatige Moratorium der Offshore-Ölförderung, das sich ohnehin lediglich auf 33 noch nicht in Betrieb genommene Plattformen im Tiefseebereich beschränkte, für ungültig erklärt. Da fragt man sich, wer hier eigentlich wen regiert.

Eine prekäre Frage, aber wird hier nicht die Gewaltenteilung massiv zu Lasten der Interessen der Bevölkerung instrumentalisiert und müßte es nicht in der Kompetenz der Regierung liegen, über eine so wichtige Frage wie die risikoreiche Offshore-Erdölförderung entscheiden zu dürfen? Eine Ausschaltung der Judikative durch die Exekutive ist selbstverständlich vollkommen inakzeptabel. Dessen ungeachtet läuft es dem gewöhnlichen Rechtsverständnis zuwider, wenn Unternehmen erfolgreich einklagen, daß sie vor der Küste nach Erdöl bohren dürfen und damit die Existenzgrundlage der Küstenbewohner gefährden und unkorrigierbare Schäden an den marinen und Küsten-Ökosystemen anrichten.

Der Streit zwischen der US-Administration und BP findet vor allem an der medialen Oberfläche statt. Beide Seiten betreiben auf ihre Weise Public Relations. Das gilt auch für Barack Obama und andere Regierungsmitglieder, wenn sie lospoltern, sich einer rüden Sprache bedienen und plötzlich über jene herfallen, denen sie Tür und Tor zur Ölförderung im Offshore-Tiefseebereich geöffnet haben. Im Hintergrund arbeiten beide Seiten Hand in Hand und gemeinsam gegen die Interessen der Öffentlichkeit. Beispielsweise berichten örtliche Fischer aus dem Bundesstaat Louisiana, die bei der Ölbeseitigung mithelfen, daß sie durch die Arbeit erkrankten. Aber BP habe ihnen versichert, daß sie keine Schutzmasken oder sonstige Schutzkleidung gegen das Rohöl oder die chemischen Dispersionsmittel benötigten. Darüber berichtete die Meerestoxikologin Dr. Riki Ott, die bereits zu den Folgen der Exxon Valdez-Katastrophe 1989 in Alaska geforscht hat. [1]

Doch immer mehr Fischer litten unter üblen Kopfschmerzen, brennenden Augen, chronischem Husten, Aufstoßen, verklebten Stirnhöhlen, Brechreiz und Schwindelgefühl. Wegen der wachsenden Zahl an Erkrankungen hat der Abgeordnete der Demokraten für Louisiana, Charlie Melancon, an Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius geschrieben und sie aufgefordert, örtliche Gesundheitszentren zur Behandlung der Fischer einzurichten, insbesondere in Plaquemines Parish. [2]

Wäre das erforderlich, wenn die Ölbekämpfung nicht gesundheitsschädigend ist? Jedenfalls haben das Louisiana Department of Environmental Quality und Department of Health and Hospital, die für die Bewahrung der Umwelt und der Gesundheit in jenem Bundesstaat zuständig sind, gewarnt, daß die Ölbeseitigungskräfte Hautkontakt mit dem Rohöl vermeiden und angemessene Kleidung tragen sollten, um die Aufnahme von Öl durch Mund oder Nase zu verhindern. Es wurde zum Anlegen von Atemschutzmasken, Handschuhen und Gummistiefeln geraten.

BP-Sprecher Graham McEwen erklärte im Mai, daß ihm keine Klagen über Gesundheitsbeschwerden bekannt seien. Ob und inwieweit die Behörden diesen Standpunkt, der schon vor dieser Behauptung hundertfach widerlegt worden war, decken, wird sich zeigen. Die US-Regierung hat zwar BP eine Rechnung in Millionenhöhe zugestellt, aber ob BP für alle gesundheitlichen Schäden aufkommen wird, daran bestehen Zweifel angesichts der ansonsten häufig engen administrativ-wirtschaftlichen Zusammenarbeit und den fortgesetzten Versuchen, das Ausmaß der Ölpest zu verharmlosen.

Im Bereich der medizinischen Versorgung wird dies besonders auffällig. Laut McClatchy Newspapers [3] sollen die erstellten Gesundheitsdaten, die sich in der Verfügungsgewalt von BP befinden, über die im Zuge der Bekämpfung der Ölkatastrophe behandelten Fischer nicht veröffentlicht werden. Die Regierung stellt sich dem nicht in den Weg. Die Veröffentlichung sei nicht ihre Aufgabe, erklärte der beim Gesundheitsministerium für Louisiana zuständige Vertreter Dean Wingo. Man arbeite mit BP zusammen und ermuntere das Unternehmen, die Daten zu veröffentlichen, sagte er lakonisch. BP-Sprecher Toby Odone hingegen behauptet, daß das Unternehmen die Daten mit den Parteien, die ein legitimes Interesse daran haben, teilen. Das gelte für Regierungsbehörden und Subunternehmen, die an der Ölbekämpfung beteiligt sind. [3] Offensichtlich gilt das Interesse von Nichtregierungsorganisationen, die in der Regel Bürgerinteressen unmittelbar vertreten, als nicht legitim.

Medienvertreter, die über die Folgen der Ölkatastrophe berichten und im Rahmen ihrer Recherche auch örtliche Fischer befragen wollten, wurden unter anderem von privaten Sicherheitsleuten der Firma Talon, die BP angeheuert hatte, davon abgehalten, meldete die Nachrichtenagentur AP vergangene Woche Mittwoch. [4] Seitdem die Regierung (vertreten durch Admiral Thad Allen von der Küstenwache) vor rund drei Wochen einen besseren Zugang der Medien zu den Stätten der Ölverseuchung versprochen hätte, seien Journalisten angebrüllt und von öffentlichen Stränden vertrieben worden, berichtete AP. Außerdem wurde ihnen mit Verhaftung gedroht.

Doug Suttles, bei BP als COO (Chief Operation Officer) tätig, versicherte schriftlich, daß das Unternehmen das Recht einer jeden Person unterstütze und verteidige, die ihre persönlichen Ansichten und Erfahrungen mit Journalisten teilen wolle. Es sei aber wichtig, betonte Suttles im selben Brief, daß die Aussagen gegenüber den Medien nicht als offizielle Ansicht von BP ausgegeben werden. [5]

AP-Managing-Editor Michael Oreskes kritisierte, daß sich die Regierung mehr Mühe gibt, den Fluß an Informationen einzudämmen als den Fluß des Öls. Zu den Einschränkungen der Pressefreiheit gehört zum Beispiel das Verbot der Flugaufsichtsbehörde FAA (Federal Aviation Administration), in niedriger Höher über die Küste zu fliegen, was jedoch vorteilhaft wäre, um das Ausmaß der Verseuchung und die Aufräumarbeiten zu beobachten. Zuvor hatten Medienvertreter problemlos in Höhen zwischen 500 und 1000 Fuß (160 bis 340 Meter) über die Küste fliegen dürfen. Nach der Katastrophe hat die FAA die Werte hinaufgesetzt auf 3000 Fuß (1000 Meter) für Flugzeuge und 1500 Fuß (500 Meter) für Hubschrauber. Riki Ott schilderte, daß die Flugverbotszone noch während eines Flugs auch auf Küstenbereiche des US-Bundesstaats Alabama ausgedehnt wurde. [6] Außerdem lasse BP die Körper der am Öl verendeten Tiere einsammeln, schrieb Ott. Das sollte dem Unternehmen eigentlich nicht zum Vorwurf gereichen, aber anscheinend werden die Köpfe von den Leibern getrennt und durcheinandergeworfen, um Autopsien zu verhindern.

Zu den Vorfällen an mutmaßlicher Pressezensur, die AP [4] aufgelistet hat, gehören:

- Am 5. Juni wurde einem AP-Fotografen von den Hilfssheriffs von Grand Isle gedroht, er werde wegen "widerrechtlichen Betretens" verhaftet, nachdem er zu BP-Angestellten gesprochen und Fotos von den Reinigungskräften auf einem öffentlichen Strand geschossen hatte.

- Am 6. Juni wurde ein AP-Reporter in einem Boot nahe einer Insel in Barataria Bay von einem Mann in einem anderen Boot, der sich als Angestellter der Behörde U.S. Fish and Wildlife Service ausgab, aufgefordert, das Gebiet zu verlassen.

- Am 10. Juni veröffentlichte CNN ein Video, in dem ein Mann, der ölverklebte Vögel reinigte, Reportern des Fernsehsenders berichtete, er habe einen Vertrag von BP unterzeichnet, wonach er nicht mit den Medien sprechen dürfe. Außerdem wurden die Reporter von einer von BP angeheuerten Firma daran gehindert, eine Vogelrettungsstation (bird triage area), in der darüber entschieden wird, welche Vögel als erstes (oder überhaupt) gerettet werden sollen und welche nicht, aufzusuchen, obgleich die Reporter die Erlaubnis des U.S. Fish and Wildlife Service zum Besuch der Station besaßen.

- Am 11. und 12. Juni wurden Mitarbeiter des Fernsehsenders WDSU aus New Orleans wiederholt von Mitarbeitern einer Sicherheitsfirma (Talon Security) auf Grand Isle daran gehindert, einen öffentlichen Strand aufzusuchen und mit den Reinigungskräften zu sprechen.

- Am 13. Juni wurde der von einem AP-Fotograf gecharterte Hubschrauberpilot von der FAA kontaktiert. Die Behörde behauptete, der Pilot habe die vorübergehende Flugverbotszone verletzt und sei niedriger als 3000 Fuß geflogen. Pilot und Reporter versichern, daß sie zu keinem Zeitpunkt dieser Höhe unterschritten hätten. Inzwischen wurde das Flugverbot für Hubschrauber auf 1500 Meter gesenkt.

- Der Reporter Bigad Shaban, der für den zu CBS gehörenden Sender WWL arbeitet, begleitete am 14. Juni den republikanischen Abgeordneten David Vitter (Louisiana) zum Fort Jackson Wildlife Rehabilitation Center in Buras, durfte aber das Zentrum nicht betreten. Die Küstenwache begründete das damit, daß der Reporter die dort behandelten Wildtiere "verletzte", ein Argument, das Vitter empört als "BS" bezeichnete und sinnfälligerweise mit "Bullenscheiße" übersetzt werden kann.

John Fortunato, Sprecher des Sheriffbüros von Jefferson Parish in Louisiana, erklärte laut AP am 15. Juni, daß der Zugang zu bestimmten, unsicheren Gebieten von Grand Isle gesperrt wurde. Damit bestätigen die Behörden die gegen die Öffentlichkeit gerichteten Beschränkungen, die beruflich oder persönlich an den Geschehnissen interessiert ist.

Hinsichtlich der Berichte über ein Verbot von Schutzkleidung bei den Reinigungskräften behauptet der Ölkonzern BP, es habe nie Bemühungen gegeben, die Personen am Tragen von Masken oder Respiratoren zu hindern. Demgegenüber liefert Yahoo! News ein anderes Bild. Unternehmenssprecher hätten zwar wiederholt beteuert, daß befristet eingestellten Personen nicht mit Entlassung gedroht wurde, wenn sie Schutzkleidung anlegten, und daß BP solche Schutzkleidung nur deshalb nicht verteilt habe, weil Tests gezeigt hätten, daß sie vollkommen unnötig sind. Doch die Nachrichtenagentur verweist auf einen Bericht von Fox News, wonach mehrere Reinigungsarbeiter erklärten, sie seien wiederholt von BP-Vertretern aufgefordert worden, keine Schutzkleidung zu tragen, weil das nur "Hysterie" wegen der Ölpest verbreite. [7]

Daß BP bemüht ist, die Berichterstattung über die Ölkatastrophe zu seinen Gunsten zu beeinflussen, kann man insofern noch verstehen, als daß der Wert einer Aktiengesellschaft mit dem Vertrauen der Anleger steigt und fällt und sich eine negative Medienberichterstattung als reale Wertminderung niederschlagen kann. Warum aber die Behörden hierbei mitzuspielen scheinen, ist nicht ersichtlich. Immerhin ist die Öffentlichkeit Zeugin der vermutlich größten Umweltkatastrophe in der US-Geschichte (sofern man die riesigen Mengen an CO2-Emissionen, die ständig der Atmosphäre zugefügt werden und zur Erwärmung der Erde beitragen, vernachlässigt). Da sollte es doch selbstverständlich sein, daß sämtliche Fragen im Zusammenhang mit der Ölverseuchung, angefangen von der tatsächlichen Menge, die ausgetreten ist, bis zu den Gesundheitsschäden durch die Ölbekämpfung, von überragendem Interesse für die Öffentlichkeit sind. Medienvertreter erfüllen nun mal ihren Job, wenn sie über eine solche Katastrophe berichten. Aber keine Privatperson erhielte auf gleiche Weise Unterstützung der Behörden gegenüber der Presse, wenn sie eine Ölverseuchung auf öffentlichem Grund zu verantworten hätte.

Ein Jahr vor der "Deepwater Horizon"-Katastrophe, im April 2009, legte der Mineral Management Service (MMS), eine dem US-Innenministerium unterstellt Aufsichtsbehörde, fest, daß BP keine unabhängigen Studien zur Umweltfolgenabschätzung, wie sie eigentlich von der US-Umweltbehörde gefordert worden waren, durchführen muß. Das MMS hat sich auf die unternehmenseigenen Umweltgutachten verlassen. [8] Dieser laxe Umgang mit Sicherheitsmaßnahmen hat sich inzwischen als symptomatisch für das Verhältnis zwischen MMS und den Ölgesellschaften erwiesen. Im September 2008 war sogar herausgekommen, daß sich Mitarbeiter des MMS unter anderem mit Sex und Drogen von Ölunternehmen, über deren Tun sie eigentlich Aufsicht führen sollten, haben bestechen lassen.

Neben solchen Formen offensichtlich gut geschmierter Zusammenarbeit zwischen Staat und Wirtschaft sind vor allem in den USA Formen der Einflußnahme und Begünstigung üblich, die mindestens Ähnlichkeiten mit Bestechung aufweisen. Unternehmen wie BP lassen den Politikern der beiden Hauptparteien regelmäßig üppige Spendengelder zukommen. Die Motivation für solche Generosität nicht darin zu verorten, daß die Unternehmen die Politiker wohlgesonnen stimmen wollen, fällt schwer, um es vorsichtig zu formulieren. Vielleicht trugen solche legalen Begünstigungen dazu bei, daß Regierungssprecher Robert Gibbs drei Tage nach der Explosion von Deepwater Horizon erklärte, er glaube nicht, daß die Katastrophe eine ganze Reihe von Fragen aufwirft; das sei nicht der erste Unfall und werde auch nicht der letzte sein. [9]

Warum diese Beschwichtigung? Welches Interesse hat eine Regierung, eine schwere Katastrophe kleinzureden? Denn daß sie schwer war, zeigte sich allein schon daran, daß elf Personen starben und 17 verletzt wurden. Und auch daran, daß das Feuer auf der Plattform nicht gelöscht werden konnte und diese unterging. Das Mindeste, was man von einer sachlichen, unvoreingenommenen Regierungsmitteilung hätte erwarten dürfen, wäre gewesen, daß es sich bei der Bohrung wegen der außergewöhnlichen Meerestiefe um eine besondere technologische Anforderung handele, daß die Experten von der Menge an ausströmendem Gas überrascht wurden und niemand wisse, wie es am Meeresboden aussieht; aber daß es besser sei, sich auf das Schlimmste einzustellen.

Die enge Interessenverflechtung zwischen Regierung und Wirtschaft reicht allerdings weit zurück. So wurde in den USA nach der schweren Ölkatastrophe 1989 im Prinz-William-Sund das Oil Pollution Act verabschiedet. Ausgewiesen als Umweltschutzgesetz wurde damit die Verpflichtung zur Kompensation an private Seiten von ökonomischen und ökologischen Schäden auf 75 Millionen Dollar beschränkt.

Die Arbeiter, die die Explosion auf der Deepwater Horizon überlebt haben und gerettet wurden, waren nicht schnurstracks an Land zu ihren Familien gebracht worden, sondern zunächst zu einer anderen Bohrplattform, wo sie von BP und der Küstenwache befragt wurden. Dort mußten sie sich auch einem Drogentest unterziehen und unterschreiben, daß sie nicht verletzt wurden. Es dauerte fast 30 Stunden, bis man sie an Land brachte. Aber auch dann durften die teils unter Schock Stehenden noch immer nicht zu ihren Familien, sondern wurden in ein Hotel in New Orleans verfrachtet, wo sie von der Öffentlichkeit und den Medien von bewaffneten Sicherheitsleuten abgeschirmt wurden, berichtete WSWS. [10]

Bestätigt sich damit nicht eine Erfahrung der Umweltbewegung auch in Deutschland, daß sich Volksvertreter und Wirtschaft in vielerlei Hinsicht sehr viel näher stehen als Volksvertreter und Volk? Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko ist beinahe eine zwangsläufige Folge einer traditionellen Zusammenarbeit zum Schutz der Unternehmensinteressen gegenüber der Öffentlichkeit. Die Einschränkung der Pressefreiheit, der Verbrauch der menschlichen Gesundheit bei der Ölförderung wie auch der Katastrophenbekämpfung zeigen, welch geringen Wert staatliche Organe einerseits dem Informationsinteresse, andererseits dem beimessen, was dem Individuum und seinen Angehörigen nur das liebste sein kann, ein von gesundheitlichen Beeinträchtigungen verschontes Leben.

Die von den US-Behörden bei der Ölbekämpfung im Golf von Mexiko beschlossenen Maßnahmen reichen sicherlich nicht an den Ausnahmezustand heran, mit dem die Bush-Administration im September 2005 auf die Überschwemmungen in New Orleans nach dem Hurrikan Katrina reagiert hat. Aber sie stellen bereits eine Vorstufe dar, auf die der Staat im Falle einer Umweltkatastrophe aufsatteln kann.


*


Anmerkungen:

[1] "At What Cost? BP Spill Responders Told to Forgo Precautionary Health Measures in Cleanup", 17. Mai 2010
http://www.huffingtonpost.com/riki-ott/at-what-cost-bp-spill-res_b_578784.html

[2] "Oil cleanup workers report illness", Los Angeles Times, 26. Mai 2010
http://www.latimes.com/news/nationworld/nation/la-na-oil-workers-sick-20100526,0,4604887.story

[3] "BP withholds oil spill facts - and government lets it", McClatchy Newspapers, 18. Mai 2010
http://www.mcclatchydc.com/2010/05/18/94415/bps-secrecy-keep-facts-on-gulf.html

[4] "Barriers to news coverage of Gulf of Mexico oil spill remain despite promises", The Associated Press, 16. Juni 2010
http://www.nola.com/news/gulf-oil-spill/index.ssf/2010/06/barriers_to_news_coverage_of_g.html

[5] http://www.propublica.org/documents/item/bp-clarification-of-media-access-june-9-2010#text/p1

[6] "From the Ground: BP Censoring Media, Destroying Evidence", Riki Ott, The Huffington Post, 11. Juni 2010
http://www.huffingtonpost.com/riki-ott/from-the-ground-bp-censor_b_608724.html

[7] "Reporters clash with Coast Guard, BP security", Yahoo! News, 16. Juni 2010
http://news.yahoo.com/s/ynews/ynews_ts2612

[8] "How Big Oil Bought the Interior Department. The Salazar Quotient", Billy Wharton, CounterPunch, 12. Mai 2010
http://www.counterpunch.org/wharton05122010.html

[9] "Obama Sheltered BP's Deepwater Horizon Rig from Regulatory Requirement", Tom Eley, World Socialist Web Site, 6. Mai 2010
http://www.wsws.org/articles/2010/may2010/gulf-m06.shtml

[10] "Deepwater Horizon survivors told to take drug test before being allowed to call families", Andre Damon, World Socialist Web Site, 6. Mai 2010
http://www.wsws.org/articles/2010/may2010/deep-m06.shtml

23. Juni 2010