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LAIRE/157: Mark Stone, Simon Brenner, Danielle Durand, Anna - Spitzel gegen Aktivisten (SB)


Umweltschutz- und Tierrechtebewegung in der westlichen Welt von Polizeispitzeln unterwandert

Nicht nur Aktivisten sabotieren den Staat, dieser sabotiert auch Aktivisten


Britische Umweltaktivisten wurden sieben Jahre lang von dem Undercover-Agenten Mark Kennedy, alias Mark Stone, ausspioniert. Er war einer ihrer aktivsten Mitstreiter, nahm an fast allen größeren Aktionen teil, hat die Bewegung finanziell unterstützt und mit seinem Transporter bereitwillig unzählige Fahrten übernommen. Der verheiratete Familienvater - langhaarig, Bart, tätowiert, mehrere Metallringe im Ohr - knüpfte Freundschaften, schlief verschiedentlich mit Aktivistinnen und feierte im vergangenen Jahr drei Tage lang auf einer Farm seinen 40. Geburtstag im Kreis von 200 Personen aus der Aktivistenszene. Mit gefälschten Papieren bereiste Mark Kennedy als verdeckter Ermittler für die National Public Order Intelligence Unit, die sogenannten heimischen Extremismus beobachtet, mehr als 22 Länder, darunter auch Deutschland. Das ist somit kein britischer, sondern ein europäischer Fall staatlicher Observation.

Nach Kennedys Enttarnung im vergangenen Oktober behauptete er, daß er nicht der einzige Undercover-Agent in den Reihen der Umweltbewegung sei. Bislang noch nicht abschließend ausgelotet wurde, inwieweit Stone auch für den deutschen Energiekonzern E.ON, der in England ein Kohlekraftwerk betreibt, Spitzeldienste geleistet hat.

Die österreichischen Behörden haben eigens ihre Mafia-Gesetzgebung bemüht, um am 21. Mai 2008 bei einer landesweiten Razzia neun Tierrechtsaktivisten und eine Tierrechtsaktivistin unterschiedlicher Organisationen festzunehmen. Sie wurden 105 Tage lang in Untersuchungshaft gesteckt. Drei von der staatlichen Repression betroffene Personen waren Mitglied im Verein gegen Tierfabriken (VGT). Dieser wurde 16 Monate lang von der verdeckten Ermittlerin, die sich als "Danielle Durand" das Vertrauen der Bewegung erschlich, aus dem Inneren heraus ausgekundschaftet.

Vor gut vier Wochen, am 12. Dezember 2010, wurde in Heidelberg der verdeckte Ermittler Simon Brenner (Klarname: Simon Bromma) enttarnt. Der aus Radolfzell am Bodensee stammende, jugendlich wirkende Polizeibeamte hat seit November 2009 für das Landeskriminalamt Baden-Württemberg, Abteilung I540, Ermittlungen in der Heidelberger Antifa-Szene durchgeführt. Unter anderem nahm er im April 2010 an der Umzingelung des AKW Biblis, im Mai an einer Anti-Nazidemo in Berlin und im Juni an der Bildungsstreikdemo in Heidelberg teil. Auch das NoBorder-Camp in Brüssel wurde von ihm aufgesucht. Brenner war kaum weniger aktiv als Kennedy und im Begriff, tiefer in die Szene einzutauchen. Durch bloßen Zufall flog seine Tarnung auf.

Eric McDavid, 33 Jahre alt und Veganer, wurde im Mai 2008 von einem US-Gericht zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Staatsanwaltschaft rechnete ihn der Earth Liberation Front (ELF) zu, die neben der Animal Liberation Front (ALF) von der US-amerikanischen Bundespolizei FBI als gefährlichste heimische Terrorgruppe bezeichnet wird. McDavid soll Pläne zu Brandstiftung und Sabotage gefaßt haben. Aber es war ausgerechnet eine verdeckte Ermittlerin des FBI namens "Anna", die McDavid mit zwei weiteren Aktivisten (Lauren Weiner und Zachary Jenson) zusammenbrachte und eine Gruppe gründete. Und "Anna" war es auch, die während ihrer rund eineinhalb Jahre dauernden Spitzeltätigkeit Pläne und Material zum Bombenbau, Transportmöglichkeiten und eine Blockhütte besorgte, in der die Gruppe ihre Anschlagsvorbereitungen treffen sollte.

Dem noch nicht genug, daß das FBI die Aktivisten zu Straftaten anstiftete und an entscheidender Stelle an den Vorbereitungen einer Straftat beteiligt war, nach ihrer Festnahme ließen sich die beiden anderen Gruppenmitglieder gegen McDavid instrumentalisieren und schoben ihm die Hauptschuld unter. "Annas" Lohn dafür, daß sie dem FBI Nachbegründungen für ihre verschärften Überwachungsmaßnahmen lieferte, waren 65.000 Dollar. McDavids Unterstützer (http://supporteric.org/) bezeichnen den bis dahin nicht Vorbestraften aus gutem Grund einen politischen Gefangenen. Der Journalist Will Potter, Betreiber der Website Green is the New Red, vergleicht die Repression gegen "Grün" mit der Kommunistenhatz während der McCarthy-Ära.

Vier Beispiele aus der "freien", demokratischen Welt für die Unterwanderung von Protestbewegungen durch staatliche Spitzel. Die Undercover-Agenten erfüllen in zwei Richtungen wichtige Funktionen: Zum einen beschaffen sie Informationen, die nicht für die Ohren staatlicher Organe bestimmt sind und an die diese ansonsten nicht herankämen. Was bedeutet, daß sich der Staat eindeutig konfrontativ gegenüber seinen Bürgern verhält. Zum anderen hintertreibt und behindert der Staat die Protestbewegungen, da jede Enttarnung einer Agentin oder eines Agenten das Mißtrauen innerhalb wie außerhalb der infiltrierten Gruppen schürt. Freundschaftliche soziale Zusammenhänge, wie sie für die oftmals mit persönlichen Gefährdungen verbundenen Protestformen (Anketten an Gleisen, um Atomtransporte zu stoppen; Eindringen auf das bewachte Gelände klimaschädlicher Kohlekraftwerke; stundenlanges Besetzen von Schornsteinen, etc.) sehr wichtig sind, werden zerrüttet. Mißtrauen hält Einzug, wo sich engagierte Menschen unbedingt aufeinander verlassen können müssen.

Eine weitere Reaktion infiltrierter Gruppen durch Polizeispitzel dürfte darin bestehen, daß sie sich künftig klandestiner verhalten; auch ist es sehr gut möglich, daß einigen Aktivisten radikalisiert werden und schärfere Aktionen durchführen, als wenn sie ihre Ohnmacht gegenüber den Repressionsorganen nicht so hautnah zu spüren bekommen hätten. Über den Bereich der Umweltbewegung hinausgehend ist zu fragen, wenn sich westliche Staaten die Ausgaben von teils mehreren Millionen Euro leisten, um relativ harmlose Aktivisten zu bespitzeln, und deren Mitglieder auch noch zu Straftaten anstiften, muß man dann annehmen, daß die Sicherheitsapparate auch radikalere und viel gefährlichere Gruppen unterwandert und in ihrem Sinne "geführt" haben? Viele Ungereimtheiten, aber auch sehr viele beweiskräftige Erkenntnisse aus dem sogenannten Antiterrorkampf bestätigen diese Vermutung. Es lassen sich nur Spekulationen darüber anstellen, welcher Anschlag aus welchen Gründen nicht verhindert wurde.

Mit der Bespitzelung ihrer Bürger und dem Anstiften von Straftaten, für die aus Gründen der Staatsräson Menschen Jahre ihrer Freiheit beraubt werden, unterhöhlen die sich demokratisch gebenden Staaten ihren Legitimationsanspruch und werden dies durch den vermehrten Einsatz von Repressionsmitteln zu kompensieren versuchen. Mit Reformen ist dieser Entwicklung nicht entgegenzutreten. Die häufig von staatlichen Apologeten behauptete Alternativlosigkeit des Systems erweist sich vor diesem Hintergrund als Bestandteil der Propaganda und ideologischen Letztbegründung.

13. Januar 2011