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LAIRE/243: Janusköpfige "Einsparpotentiale" (SB)


Wenn der Mangel vorherrscht und die Verzweiflung wächst ...



Nicht nur das Klima wandelt sich, sondern auch das Menschenbild. Der Verbrauch des einzelnen wird Schritt für Schritt bis in die kleinsten Zähleinheiten vergleichbar gemacht.

Unter dem Einfluß "äußerer" Bedrohungen wie beispielsweise der allgemeinen Erderwärmung, der Versauerung der Ozeane, des Verlustes landwirtschaftlich nutzbaren Bodens und des Trinkwassermangels könnten in Zukunft auf der einen Seite Gebiete entstehen, in denen die Menschen von vielen Versorgungsleistungen abgeschnitten und weitgehend auf sich selbst gestellt sind, und auf der anderen Regionen, in denen Ordnungspolitik betrieben und sämtliche Lebensvoraussetzungen gezählt und zugeteilt werden.

Die Saat für diese beiden extremen Antworten auf den zunehmenden Mangel und die Verschlechterung der Lebensvoraussetzungen wird bereits heute gelegt. Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird der Osten der Demokratischen Republik Kongo von Kriegen und Bürgerkriegen heimgesucht; sogar einige Jahre länger ist Somalia ohne eine funktionierende Zentralregierung; im Nahen und Mittleren Osten brechen Staaten auseinander. Länder wie Südafrika, Brasilien, Honduras und Mexiko weisen so hohe Mordraten auf, daß man von Kriegsgebieten sprechen könnte. Die Destabilisierung der Gesellschaft droht vielerorts zur Dauereinrichtung zu geraten.

Um die andere Seite der Medaille, jenen stark regulierten Teil der globalen Gesellschaft, weiter auszubauen, müssen Parameter geschaffen werden, was ein Mensch verbraucht, was er mindestens zum Leben bräuchte, was ihm zusteht, wenn er bestimmte Leistungen erbringt, etc.

So sind zum Beispiel 2100 kcal ein Richtmaß, an dem sich Hilfsorganisationen wie das Welternährungsprogramm (WFP) bei der Verteilung von Nahrungsmitteln in Flüchtlingslagern orientieren. Und durchschnittlich zwei Tonnen CO2-Äquivalente dürfte ein Mensch durch seinen Lebensstil jährlich emittieren, um die globale Erwärmung auf unter zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu halten. 2000 Quadratmeter landwirtschaftliche Fläche stehen jedem Menschen rechnerisch zur Verfügung, auf denen die gesamte Nahrung und Baumwolle (für seine Kleidung) produziert werden.

In der Klima- und Umweltschutzbewegung gibt es noch einige weitere Referenzwerte zur Bemessung und Analyse des individuellen, gesellschaftlichen oder globalen Verbrauchs und Berechnungskonzepte wie zum Beispiel virtuelles Wasser, ökologischer Fußabdruck und Overshoot Day.

Eine Forschergruppe der Universität Bern führt zur Zeit mit Unterstützung des Umweltbundesamts eine deutschlandweite Studie zum Ressourcenverbrauch durch, schwerpunktmäßig geht es um die Frage des Energieverbrauchs. In der Projektbeschreibung heißt es dazu:

"Nur eine differenzierte Analyse lebensstilbezogener Ressourcenverbräuche erlaubt aber die Identifikation besonders ressourcenverschwenderischer oder -schonender Bevölkerungsgruppen und somit eine zielgruppenspezifische Massnahmenplanung zur Reduktion des Ressourcenverbrauchs." [1]

Wohingegen das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie in Bottrop eine nicht-repräsentative penibel genaue, sehr umfassende Studie zum gesamten Ressourcenverbrauch von 16 mittelständischen Haushalten durchführt. [2]

In der Praxis findet bereits eine Art Mangelverwaltung statt, sogar im relativ reichen Deutschland: Jeder Hartz-IV-Empfänger hat von Amts wegen Anspruch auf bestimmte Sachleistungen, was bedeutet, daß darüber hinausgehende Ansprüche genau nicht zugestanden werden, was bedeutet, daß sie aberkannt werden. In anderen Ländern gibt es ähnliche, mehr oder weniger ausgebaute Mangelverwaltungssysteme, beispielsweise in den USA das Supplemental Nutrition Assistance Program (SNAP), das die Verteilung von Lebensmittelgutscheinen an fast 48 Mio. Personen (2013) vornimmt. Dabei wird der Warenkorb, auf den der Empfänger Anspruch hat, hin und wieder verändert und den Gegebenheiten angepaßt. Auch hier ist wieder die Aberkennung bestimmter Ansprüche von Mitgliedern der Gesellschaft, in der sie zu leben gezwungen sind, durch andere Mitglieder der Gesellschaft (beispielsweise Vertreter des Staates) zu betonen.

Wenn die Erderwärmung mit all ihren Begleitfolgen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten voranschreitet und gleichzeitig die Zahl der Menschen, die von den weiter schwindenden Ressourcen versorgt werden müssen, weltweit zunimmt, werden sich die "Gegebenheiten" mit Sicherheit ändern. Und damit ist keine Situation gemeint, in der jene Staaten, die zur Zeit in Lima über den Abschluß eines neuen UN-Klimarahmenabkommens verhandeln, den Schritt vom stellvertretenden in den offenen Krieg gegeneinander vollziehen. Das wäre dann eine Lage, in der Umweltschutzfragen sowieso vollkommen belanglos sind und ein Kampf ums nackte Überleben vorherrscht. So sehr, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat, unterscheidet sich jedoch die Kriegssituation nicht von einer Situation, in der die administrative Verfügungsgewalt weiter ausgebaut wird.

Weder soll mit diesen dystopischen Anmerkungen zur Welt des Klimawandels und der Ressourcenknappheit dem neoliberalen Wirtschaftsmodell und damit der "Freiheit" des Konsums noch dem staatskapitalistischen Konzept der Ver- und Zuteilung das Wort geredet werden, denn beides geht der hier angedeuteten Entwicklung zur umfassenden Mangelverwaltung voraus. Es spricht selbstverständlich auch nichts dagegen, wenn sich Menschen über die Voraussetzungen ihres Lebensstils klar werden. Hier soll nur der Finger in die Wunde von ihren Autorinnen und Autoren sicherlich gut gemeinter Studien gelegt werden, in denen der Ressourcenverbrauch ermittelt und im nächsten Schritt "Einsparpotentiale" benannt werden, die zu einem - gegenwärtig noch freiwilligen - Verzicht führen sollen.

Was aber, wenn sich die "Gegebenheiten" in Zukunft ändern? Wenn die Folgen des Klimawandels mit voller Wucht zuschlagen und immer mehr Menschen aus ihren angestammten Lebensräumen vor den unbändigen Naturgewalten fliehen und die anderen zusammenrücken müssen? Werden nicht dann all die kleinen und großen Studien und Berechnungen zum Ressourcenverbrauch als unverzichtbare Grundlage für (zwangs-)regulatorische Maßnahmen herangezogen?

Jedenfalls werden in der Debatte über das Für und Wider des Geoengineerings bzw. Climate Engineerings als Plan B gegen die globale Erwärmung längst Szenarien durchexerziert, in denen die Verzweiflung unter den Menschen immer mehr wächst und die Kollateralschäden einer schnell wirksamen Beeinflussung des Klimas (zum Beispiel durch Schwefelinjektionen in die Stratosphäre) gegenüber einem ungebremsten Klimawandel abgewogen werden.

Der gegenwärtige Konsumstil in den wohlhabenden Ländern ist nicht nachhaltig, es gibt nur diese eine Erde, die Ressourcen sind begrenzt, lauten einige der treffenden Argumente der Befürworter einer Transformation der Gesellschaft, in denen ein nachhaltiger Lebensstil praktiziert werden soll, wozu dann auch der Rückgriff auf 100 Prozent non-fossile Energien gehört. Das Problem besteht jedoch darin, daß häufig die ökologische Frage von der sozialen Frage abgetrennt wird, so daß einer anderen als der beabsichtigten Nutzung der Daten Vorschub geleistet werden könnte. Dabei käme möglicherweise eine Gesellschaft heraus, in der "Einsparpotentiale" administrativ zwangsweise ausgeschöpft werden und in Vergessenheit geraten ist, daß am Anfang der Entwicklung noch der Wert der Freiwilligkeit welcher Verzichtsmaßnahme auch immer und Einsicht in die Notwendigkeit eines geringeren Verbrauchs gegolten hat.


Fußnoten:

[1] http://www.ikaoe.unibe.ch/forschung/ressourcen/

[2] http://www.taz.de/Privater-Ressourcenverbrauch-/!149871/

5. Dezember 2014