Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → MEINUNGEN


LAIRE/273: Umwelt - schleichen, schleifen und nichts ändern ... (SB)



Die EU-Kommission hat am Dienstag (16.1.18) die erste europäische Strategie für Kunststoffe angenommen. Sie sei Teil des Übergangs zu einer "stärker kreislauforientierten Wirtschaft", heißt es in einer Pressemitteilung der Kommission. [1]

Wer im Kreis läuft, kommt nicht von der Stelle, möchte man die EU-Initiative bissig kommentieren. Denn obgleich die neue Strategie in zahlreiche Bereiche der gesellschaftlichen Wertschöpfung eingreift, in denen Kunststoffe hergestellt, transportiert, verwendet oder entsorgt werden, bleiben die Ziele unambitioniert und überaus industriefreundlich; zudem sollen sie erst zu einem viel zu späten Zeitpunkt umgesetzt werden. Denn schon seit vielen, vielen Jahren ist bekannt, daß die Meere immer mehr zumüllen, Urlaubsstrände zu einem nicht unerheblichen Teil aus Mikroplastik bestehen, Meerestiere und selbst Plankton winzige Plastikkügelchen inkorporieren, Wale verenden, weil ihre Mägen mit Plastikmüll gefüllt sind, sich Meeresbewohner in Fischereinetzen aus Kunststoff tödlich verheddern, Kunststoffe diverse Gifte an Lebensmittel abgeben, auch die Produktion der Ausgangsmaterialien für Plastik umwelt- und klimaschädlich ist, und, und, und.

Auch wenn mit dem Slogan "Jute statt Plastik" eher vom ungeheuren Ausmaß der menschlichen Schadstoffproduktion abgelenkt wurde, als daß damit auch nur irgendeines der Probleme gelöst werden konnte, die sich aus der Massenherstellung von Kunststoffen aller Art ergeben, kann festgestellt werden, daß die Aufmerksamkeit für Plastik keine Erfindung dieses Jahrhunderts ist, sondern schon in den 1970er Jahren von zivilgesellschaftlichen Organisationen geweckt wurde. Die politischen Entscheidungsträger in Deutschland und anderen europäischen Ländern jedoch stellten sich taub, ließen Jahrzehnt um Jahrzehnt verstreichen, ohne der Entwicklung wirksam entgegenzusteuern.

Die Europäer erzeugen jährlich 25 Mio. t Kunststoffabfälle, wovon nicht einmal 30 Prozent für das Recycling gesammelt werden. Vor wenigen Tagen hat die Volksrepublik China angekündigt, ab 2019 unter anderem keinen Plastikmüll mehr aus der Europäischen Union und anderen Ländern aufzunehmen. [2] Das heißt, die EU hatte ihr permanentes Müllproblem lediglich jahrzehntelang in andere Weltregionen verlagert. Damit ist jetzt Schluß, und so wird es für die europäische Kunststoffstrategie höchste Eisenbahn. Doch erst ab 2030 sollen alle Kunststoffverpackungen auf dem EU-Markt "recyclingfähig" sein. Das ist so formuliert, daß nicht sämtliche Kunststoffverpackungen dann auch tatsächlich recycelt werden.

Außerdem wird der Einsatz von Mikroplastikteilchen nicht gänzlich verboten, sondern nur "beschränkt", und der Verbrauch von Einwegkunststoffen lediglich "verringert". Welche Beschränkung und welche Verringerung sich die EU-Kommission vorstellt, geht aus der allgemein gehaltenen Strategie nicht hervor. Zunächst werden nur Absichtserklärungen abgegeben. Die können von der Öffentlichkeit kommentiert werden, was dann von der EU-Kommission gegebenenfalls berücksichtigt wird.

So allgemein das Vorhaben auch formuliert wurde, es zeigt eines sehr deutlich: Die EU will die chemische Industrie stärken. Der Erste Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, erklärte: "Wenn wir nicht die Art und Weise ändern, wie wir Kunststoffe herstellen und verwenden, wird 2050 in unseren Ozeanen mehr Plastik schwimmen als Fische. Wir müssen verhindern, dass Kunststoffe in unser Wasser, unsere Lebensmittel und sogar unsere Körper gelangen. Die einzige langfristige Lösung besteht darin, Kunststoffabfälle zu reduzieren, indem wir sie verstärkt recyceln und wiederverwenden."

Mag dieser Befund auch an Deutlichkeit nichts missen, aber daß ein verstärktes Recycling "die einzige langfristige Lösung" des Kunststoffmüllproblems sein soll, ist übertrieben. Denn man kann auch einfach von vornherein weniger Müll produzieren. Es muß nicht alles und jedes doppelt und dreifach verpackt werden, und wenn die Wirtschaft samt den ihr wohlgesonnenen Vertretern in der EU-Kommission nicht so sehr auf Expansion und Erweiterung ihrer Umsätze eingeschworen wäre, würde ebenfalls viel weniger Müll anfallen. Wenn der verbliebene Rest dann wiederverwendet wird, wäre das okay, aber immer in dieser Reihenfolge. Zwar schreibt selbst die EU-Kommission, daß die Kunststoffabfälle eingedämmt werden sollen, aber sie wirkt in dieser Hinsicht viel weniger ambitioniert als beispielsweise darin, einen "größeren Mehrwert für eine wettbewerbs- und widerstandsfähigere Kunststoffindustrie" generieren zu wollen.

Die EU-Kommission versucht einen Spagat zwischen einem "kreislauforientierten Geschäftsmodell" und der Bewahrung einer "wettbewerbsfähigen Industrie" hinzulegen und glaubt womöglich, niemand würde ihre Verrenkungen erkennen. Das kann nicht gut ausgehen, jedenfalls nicht im Sinne einer umfassenden Müllvermeidung. Als wessen Herren Diener die EU-Kommission ihre Aufgaben wahrnimmt, zeigt beispielhaft die Umweltorganisation Food and Water Europe in einem 11seitigen Paper vom Mai 2017 mit dem Titel "The Trans-Atlantic Plastics Pipeline: How Pennysylvania's Fracking Boom Crosses the Atlantic" (Die transatlantische Plastikpipeline: Wie Pennsylvanias Fracking-Boom den Atlantik überquert) auf. Anhand einer Vielzahl von Quellen wird beschrieben, wie seit einigen Jahren das in Nordamerika per Fracking geförderte Gas Ethan nach Schottland und Norwegen verschifft und dort zu Plastik-Rohmaterial weiterverarbeitet wird. Das dient schließlich als Grundstoff für die chemische Industrie der Europäischen Union. Auf diese Weise gelangt der Fracking-Boom der USA nach Europa. [3]

Europa sei bestens positioniert, um beim Übergang auf Recyclingwirtschaft die Führungsrolle zu übernehmen, heißt es in der Pressemitteilung. Das anzukündigen zeugt schon von einem gerüttelt Maß an Selbstüberschätzung. Das ostafrikanische Land Tansania hat bereits im Jahr 2006 Plastiktüten verboten, Ruanda folgte ein Jahr darauf. Dabei hätten die beiden Staaten alles Anrecht auf eine nachholende Entwicklung, wie sie die heutigen Industriestaaten wie selbstverständlich in Anspruch genommen und zu Lasten der Umwelt auch in anderen Ländern auf anderen Kontinenten durchgesetzt haben. Inzwischen haben bereits elf afrikanische Länder die Plastiktüte verbannt - nicht jedoch die EU. Sie will ihren Gebrauch lediglich reduzieren. Zugleich spielt sie sich mit ihrer neuen Kunststoffstrategie als globale Vorreiterin auf, ganz nach dem Motto: Am europäischen Wesen soll die Welt genesen ...


Fußnoten:

[1] http://europa.eu/rapid/press-release_IP-18-5_de.htm

[2] Näheres dazu unter: RAUB/1129: Müll - von Abfallkolonie zu Abfallkolonie ... (SB)
http://schattenblick.de/infopool/politik/kommen/raub1129.html

[3] https://www.foodandwatereurope.org/reports/trans-atlantic-plastics-pipeline-how-pennsylvanias-fracking-boom-crosses-the-atlantic/

17. Januar 2018


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang