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LAIRE/288: Insektensterben - Gefahr im Verzug ... (SB)



Um wirksam gegen das Insektensterben vorzugehen, ist eine gute Wissensbasis unerlässlich. Ein konsequentes und bundesweit einheitliches Monitoring dient der Erfassung und Quantifizierung des Zustands und der Veränderung von Insektenbeständen und ist Grundlage für die Erfolgskontrolle von Maßnahmen zum Insektenschutz in der Zukunft. Gleichzeitig bedarf es einer Intensivierung der Insektenforschung, die noch vorhandene Wissenslücken schließt.
(aus: Punkt 7 des Eckpunktepapiers zum Aktionsprogramm Insektenschutz der Bundesregierung, Juni 2018) [1]

Einer aktuellen Übersichtsstudie zufolge sind weltweit mehr als 40 Prozent der Insektenarten gefährdet, und ein Drittel gilt bereits als vom Aussterben bedroht. Der Insektenrückgang findet im Zuge des gegenwärtigen Beginns des sechsten Massensterbens der Erdgeschichte statt, sagen die mit der Untersuchung befaßten Forscher in der Fachzeitschrift "Biological Conservation" online [2]. Sie warnen eindringlich, Insekten seien unverzichtbar. Ohne sie würden ganze Ökosysteme kollabieren, und als Bestäuber von Nutzpflanzen besäßen sie auch für die Menschen eine wichtige Funktion. Wenn wir nichts daran ändern, wie wir unsere Nahrungsmittel produzieren, werden die Insekten insgesamt in wenigen Jahrzehnten komplett verschwinden, heißt es. Und weiter: Die Folgen für die planetaren Ökosysteme wären, "gelinde gesagt", katastrophal.

Die Forscher Francisco Sánchez-Bayo von der Universität Sydney in Australien und Kris Wyckhuys von der Chinesischen Akademie der Agrarwissenschaften in Peking haben 73 Studien über Insektenschwund aus aller Welt ausgewählt, untersucht und ermittelt, ob gemeinsame Ursachen für die Verluste ausfindig zu machen sind. Auffällig ist, daß zu den betroffenen Insektengruppen nicht nur Spezialisten gehören, die bestimmte ökologische Nischen besetzen, sondern auch viele gewöhnliche und generalistische Arten. Gleichzeitig nimmt die Häufigkeit einer kleinen Anzahl von Arten zu. Diese zeigen sich als sehr anpassungsfähig und generalistisch. Sie besetzen die freien Nischen, die von den rückläufigen Arten hinterlassen werden.

Als wichtigster Faktor des Insektenrückgangs gilt demnach der Verlust von Lebensräumen, die Umstellung auf intensive Landwirtschaft und Urbanisierung. An zweiter Stelle folgt der Einsatz synthetischer Pestizide und Düngemittel. Biologische Faktoren wie die Verbreitung von Krankheitserregern und das Eindringen fremder Arten werden an dritter Stelle genannt. Der Klimawandel hat in dieser Auswertung den vierten Rang eingenommen.

"Nur" den vierten Platz, könnte man sagen, hat doch ein Anstieg der Durchschnittstemperatur um zwei Grad Celsius im tropischen Regenwald von Puerto Rico binnen 35 Jahren ein stellenweise nahezu komplettes Insektensterben ausgelöst [3].

Allerdings ergibt sich bereits ein vollkommen anderes Bild bei dem über knapp drei Jahrzehnte gemessenen Insektenrückgang an vielen Dutzend Standorten in Schutzgebieten insbesondere Nordrhein-Westfalens. Um teilweise über 75 Prozent hat dort die Insektentrockenmasse abgenommen, stellte der Entomologische Verein Krefeld fest. Aber zu Klimafaktoren konnte keine Verbindung hergestellt werden, wie der an der Untersuchung beteiligte Biologe Dr. Martin Sorg gegenüber dem Schattenblick sagte: "Wir haben die Klimadaten von 27 Jahren - die Tagesklimadaten von über 100 Meßstationen - mit dem gesamten Datensatz der Insektenmengen verglichen und nahezu keinen Einfluß gefunden. Wenn mich vorher jemand gefragt hätte, hätte ich wenigsten einen gewissen Einfluß vermutet. Aber da war nichts." [4]

Das Artensterben unter Insekten läuft achtmal schneller ab als das unter Säugetieren, Vögeln und Reptilien. Die Abundanz (Verbreitung) nimmt jährlich um 2,5 Prozent ab, so daß rechnerisch gegen Ende des Jahrhunderts überhaupt keine Insekten mehr auf diesem Planeten existieren. Mit diesem Rückgang verschwinden auch die Tiere, die Insekten fressen. Das können andere Insekten sein wie zum Beispiel Libellen, aber eben auch Echsen, Amphibien, Fische und nicht zuletzt Vögel.

Die deutsche Regierung will zwar im Frühsommer dieses Jahres ein Konzept für ein bundesweites Monitoringzentrum für Biodiversität einrichten [5], doch die Frage, ob damit die Vorstellungen der Unterzeichnenden des "Münsteraner Appells" [6] getroffen werden, die Ergebnis einer Tagung des NABU am Institut für Landschaftsökologie der Uni Münster war [7], kann zur Zeit noch nicht beantwortet werden. Es fällt jedoch auf, daß die wissenschaftliche Untersuchung des in Deutschland und weltweit beobachteten Insektenschwunds bei der Politik anscheinend keine so hohe Priorität genießt, daß sie dies im Rahmen ihrer Exzellenzstrategie für besonders förderungswürdig hält. In der am 27. September 2018 veröffentlichten Liste der Förderprojekte taucht bei keinem der Exzellenzcluster das Problem des Insektenrückgangs auf. Das kann daran liegen, daß entsprechende Anträge gar nicht erst gestellt wurden, aber eben auch, daß sie abgelehnt wurden. In beiden Fällen bleibt zu konstatieren, daß das Thema nicht so hoch gehängt wird, wie man nach den offiziellen Verlautbarungen meinen könnte.

Sicherlich wird die Bundesregierung das Problem des Insektenschwunds nicht allein lösen. Aber umgekehrt wird sich ohne die Beteiligung von Regierungen gar nichts ändern. In Bayern werden zur Zeit die Rathäuser gestürmt. Noch bis zum Mittwochabend läuft dort ein "Volksbegehren Artenvielfalt" [8], mit dem versucht wird, die Landesregierung zu strengeren Naturschutzgesetzen zu bewegen.

Wenn im obigen Eingangszitat die Rede von "noch vorhandenen Wissenslücken" ist, die geschlossen werden sollen, klingt das so, als sei das eine Kleinigkeit. Doch so nützlich ein bundesweites Monitoringzentrum zur Biodiversitätsforschung auch sein mag, es geht dabei zunächst einmal, wie der Name schon sagt, um ein Monitoring, also um ein Beobachten und das Sammeln von Daten. Wenn solch ein Zentrum in ein, zwei Jahren seine Arbeit aufnehmen sollte, werden voraussichtlich weitere Jahre vergehen, bis genügend große Datenmengen zusammengekommen sind, um daraus Handlungsempfehlungen an die Politik abzuleiten. Unterdessen schreitet das Insektensterben voran, und einmal verlorengegangene Arten kommen nicht wieder zurück. Die Verluste sind endgültig. Vor rund 480 Millionen Jahren haben sich die Insekten aus dem Meeresleben weiterentwickelt. Die Erde durchläuft zur Zeit eine evolutionäre Epoche, bei der sich die Zeit der Insekten dem Ende zuneigt.


Fußnoten:

[1] https://www.bmu.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Artenschutz/eckpunkte_insektenschutz_bf.pdf

[2] https://doi.org/10.1016/j.biocon.2019.01.020

[3] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umkl-673.html

[4] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0271.html

[5] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/066/1906683.pdf

[6] https://nrw.nabu.de/imperia/md/content/nrw/stellungnahmen/180315-muensteraner-appell.pdf

[7] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrb0133.html

[8] https://volksbegehren-artenvielfalt.de/2019/02/11/die-bienen-haben-noch-nicht-gewonnen-jetzt-kommt-es-auf-jede-stimme-an/

12. Februar 2019


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