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LAIRE/297: Agrar - tödliche Mitzucht ... (SB)



Der Hefepilz Candida auris erregt seit einigen Jahren Aufmerksamkeit, weil er gegenüber bestimmten Antipilzmitteln resistent ist. In mehreren Ländern sind Menschen an dem Pilz bzw. unter seiner mutmaßlichen Mitwirkung gestorben. Genetische Analysen lassen darauf schließen, daß der Hefepilz fast zeitgleich in vier verschiedenen Weltregionen resistent geworden ist. Wie es dazu kommen konnte, gilt als unklar. Manches spricht allerdings dafür, daß sich die Resistenz in Folge des weithin verbreiteten Einsatzes von Fungiziden in der Landwirtschaft entwickelt hat. Auch wenn das gegenwärtige Ausmaß der Erkrankungs- und Sterberate verglichen mit anderen Pilzerkrankungen noch sehr gering ist, birgt Candida auris ein hohes Risikopotential, sich epidemisch wenn nicht sogar pandemisch zu verbreiten.

Erstmals nachgewiesen wurde C. auris 2009 im Ohrabstrich einer 70jährigen Japanerin in einem Krankenhaus in Tokio. Später wurde festgestellt, daß der Pilz bereits 1996 in einer Probe aus Südkorea vorkam. Schon bald nach seinem Erstnachweis wurde er in Pakistan, Indien, Kuwait, Südafrika und Venezuela entdeckt. Auch im Vereinigten Königreich und in den USA sowie zahlreichen weiteren Ländern, unter ihnen Deutschland, tritt der Pilz auf und sorgt für schwer oder gar nicht mehr behandelbare Blutvergiftungen, Wundinfektionen, Entzündungen der Lunge, etc.

Tom Chiller von den Centers for Disease Control and Prevention (CDC), einer Bundesbehörde des US-Gesundheitsministeriums in Atlanta, vertritt die These, daß C. auris schon seit Jahrtausenden kursierte, aber erst in den letzten Jahren auffällig geworden ist. Er habe sozusagen die Lücken gefüllt, die durch die Bekämpfung von viel weiter verbreiteten, aber weniger wehrhaften Pilzen mit Fungiziden entstanden waren.

Es hat sich herausgestellt, daß C. auris gegen drei Antimykotika-Klassen Resistenzen entwickelt hat. Das ist ein so gravierendes Problem, daß die CDC im Juni 2016 Alarm schlug. [1] C. auris befällt in der Regel nur Menschen, die über keine ausreichenden Abwehrmittel verfügen, also Frühchen, ältere Menschen oder Menschen mit geschwächtem Immunsystem. Unter anderem weil sich Pilze viel langsamer vermehren als beispielsweise Bakterien, gestaltet sich ihr Nachweis langwieriger. Die Zeit bleibt womöglich manchen Erkrankten nicht. Den Pilz im Blut oder der Lunge zu bekämpfen, gestaltet sich schwierig. Wenn man festgestellt hat, daß er resistent gegen ein Mittel ist, ist womöglich schon zu viel Zeit verstrichen, um das nächste Mittel erfolgreich anzuwenden. Außerdem sind die Nebenwirkungen der Pilzbehandlung manchmal heftig, was für immungeschwächte Menschen vielleicht schon zu viel ist. In der Vergangenheit wurde der Pilz häufiger nicht erkannt, und Menschen wurden zunächst mit Antibiotika behandelt. Da ist ebenfalls wertvolle Zeit vergangen, bis festgestellt wurde, daß man es gar nicht mit Bakterien zu tun hat.

Eine weitere Schwierigkeit, C. auris in die Schranken zu weisen, besteht in seiner Hartnäckigkeit. Im Gegensatz zu allen anderen Pilzarten wird er von Mensch zu Mensch übertragen, und sei es über den Umweg von Kontaktflächen. So kam es in Verbindung mit dem Pilz zwischen April 2015 und Juli 2016 im Royal Brompton Hospital in London zu drei Todesfällen aufgrund multiplen Organversagens. Zudem wurden rund 70 Menschen entweder von dem Pilz kolonisiert, ohne selber zu erkranken, oder infiziert. Die Intensivstation des Krankenhauses mußte für elf Tage geschlossen werden, weil C. auris auch bei einer besonders gründlichen Reinigung nicht zu beseitigen war. Teilweise mußten feste Einrichtungsgegenstände wie beispielsweise Kacheln ausgewechselt werden. [2]

Im Mai vergangenen Jahres starb im Mount Sinai Hospital in New York ein älterer Mann drei Monate nach einer Bauchoperation. Ein Bluttest hatte gezeigt, daß er mit C. auris infiziert war. Auch die Isolierstation, auf die er nach dem Befund verlegt wurde, war komplett infiziert. Alles sei positiv gewesen, berichtet der Leiter des Krankenhauses, Dr. Scott Lorin, laut der "New York Times". Die Wände, die Decke, das Bett, die Matratze, die Bettpfosten, die Bettrollen, Vorhänge, das Telefon, das Waschbecken, die Wandtafel, die Jalousien, einfach alles. [3]

Laut den CDC liegt die Mortalitätsrate bei einer Candida-auris-Infektion bei 40 bis 60 Prozent. Allerdings unter Menschen, die zumeist sowieso im Sterben lagen. Deswegen kann man nicht sagen, welchen Anteil C. auris am Tod der infizierten Personen hat. Der resistente Pilz kommt in einer Reihe von Bundesstaaten vor, vor allem an der Ostküste. Um die hohe Sterberate besser bewerten zu können, ist es wichtig zu wissen, daß Pilzinfektionen, sofern sie nicht auf der Hautoberfläche bleiben, sondern invasiv sind, grundsätzlich schwer zu bekämpfen sind. So berichtete die "Pharmazeutische Zeitung" im Jahr 2017: "Gelangt der Hefepilz Candida zum Beispiel bei einem geschwächten Intensivpatienten ins Blut oder macht sich der Schimmelpilz Aspergillus nach einer schweren Operation in der Lunge breit, endet das derzeit bei mindestens einem Drittel der Patienten letal." [4]

Bislang konnte noch nicht schlüssig geklärt werden, wie es dem Hefepilz gelang, im gleichen Zeitrahmen an vier verschiedenen Orten auf mehreren Kontinenten resistente Stämme zu entwickeln. Eine häufig zu vernehmende These besagt, daß der Jahr für Jahr ohne Unterlaß betriebene Einsatz von Fungiziden in der industriellen Landwirtschaft und auch die Vernachlässigung des uralten Prinzips des Wechselfruchtanbaus den Boden bereitet hat, daß C. auris Resistenzen entwickeln konnte.

Eigentlich werden in der Humanmedizin (Antimykotika) und beim Pflanzenschutz (Fungizide) nicht dieselben Mittel verwendet. Doch da die verschiedenen Mittel über identische Wirkmechnismen verfügen, erweisen sich erwartungsgemäß auch die Resistenzen der Zielorganismen als ähnlich. Der Fungizideinsatz in der Landwirtschaft könnte somit das Ambiente geschaffen haben, die bei C. auris das Entstehen von Mutationen begünstigt hat.

2001 schrieb das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) in dem Bericht "Problematik der Entwicklung von Resistenzen humaner Mykosen gegenüber Azol-Antimykotika und eventueller Wechselwirkungen mit den als Fungizid eingesetzten Pflanzenschutzmitteln": "Mit der Zunahme lebensbedrohlicher Hyphomykosen bei abwehrgeschwächten Patienten wächst auch die Zahl durch bislang zu wenig beachtete, Antimykotika-resistente Erreger, für deren Verbreitung bislang keine plausible Erklärung gefunden wurde. Alarmierend in Europa ist die Zunahme von Scedosporium-Infektionen, Fusariosen, Mykosen durch Cunninghamella spp. und andere Zygomyzeten und Dematiaceae. Deutlich wird, dass diese Organismen auf Pflanzen und im Erdboden zu finden sind, wo sie exponiert sind gegenüber Azolen." [5]

Zu den Azolen gehört auch Fluconazol, gegen das C. auris Resistenz entwickelt hat und das großflächig in der Landwirtschaft (Getreide, Obst, Weinbau) gespritzt wird. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des BgVV-Berichts wußte man noch nichts von einer Resistenzentwicklung dieses Hefepilzes und daß ihm eine zunehmende Zahl von Patientinnen und Patienten zum Opfer fällt. Doch schon damals stand die Frage im Raum, ob Fungizide in der Landwirtschaft zur Resistenz von Azol-Antimykotika beitragen. So mahnt das BgVV Forschungsbedarf an und schreibt: "Aus infektionsepidemiologischer Sicht und unter Aspekten der Gesundheitsvorsorge ist es als problematisch anzusehen, wenn antimykotisch wirksame Substanzen, die auch zur Behandlung von Pilzinfektionen des Menschen benötigt werden, im Pflanzenschutz eingesetzt werden."

Wie Chiller geht auch der Mikrobiologe Jacques Meis aus Nijmegen, der im Jahr 2012 Blutproben von 18 Personen aus vier Krankenhäusern in Indien analysiert hat, laut der "New York Times" davon aus, daß Fungizide in der Landwirtschaft die Resistenz bei C. auris ausgelöst haben. Einen solchen Zusammenhang hält auch Oliver Kurzai, Leiter des Nationalen Referenzzentrum für invasive Pilzinfektionen in Jena und Lehrstuhlinhaber an der Universität Würzburg, für naheliegend, wenngleich nicht bewiesen.

Noch ist das Problem C. auris klein, verglichen zum Beispiel mit dem Pilz Aspergillus fumigatus, an bzw. mit dem weltweit 200.000 Menschen pro Jahr sterben und der ebenfalls Resistenzen entwickelt hat. Oder verglichen mit bakteriologischen und viralen Infektionen, die noch viel mehr Tote hinterlassen und denen deshalb in der Medizin auch sehr viel mehr Beachtung geschenkt wird. Aber die Gefahr wächst. In den letzten zwei Jahrzehnten nimmt weltweit die Zahl der schweren, behandlungspflichtigen Mykosen (Pilzinfektionen) zu. Dabei trifft es nicht immer nur die Schwachen. Die "Pharmazeutische Zeitung" berichtete, daß um die Jahrtausendwende herum auf der kanadischen Insel Vancouver Island der Pilz Cryptococcus gattii mehr als 200 gesunde Personen infiziert hat, von denen 20 starben. Eigentlich in den Tropen beheimatet habe sich C. gattii vermutlich mit einem einheimischen Pilz gepaart und neue Eigenschaften entwickelt.

Die Verbreitung von C. auris sitzt also einem allgemeinen Trend unter Pilzen auf, der nicht gut für die Menschen aussieht. Die Fertigkeit, Angriffen zu widerstehen, erstaunt insofern nicht, als daß im Erdreich natürlicherseits ein permanenter Krieg um Nahrung und Verbreitung tobt. Ohne Pilze, die in der Biologie neben Pflanzen und Tieren ein eigenes Reich bilden, hätten es die Pflanzen in erdgeschichtlicher Frühzeit vermutlich gar nicht geschafft, aus ihrem ursprünglichen Lebensraum Wasser an Land zu gehen und sich dort anzusiedeln. Pilze sind sozusagen die Pioniere, die Brückenköpfe schlagen und sich dort in einer für sie feindlichen Umgebung einnisten. Auch behaupten sie sich gegenüber anderen Arten wie Bakterien - ein bis heute in der Medizin häufig eingesetztes Antibiotikum, Penicillin, wurde aus Schimmelpilzen gewonnen. Sogar mit den menschlichen Vertreibungs- und Vernichtungsbemühungen, so scheint es, kommen Pilze zunehmend besser zurecht.

In den letzten Jahren ist häufiger die Rede davon, daß dem Menschen die Waffen gegen Bakterien und Viren ausgehen, da die Erreger gegen immer mehr Antibiotika resistent werden. Das wird im wesentlichen auf den teils unsachgemäßen, allzu häufigen und in der Tiermast üblichen Einsatz dieser Mittel zurückgeführt. Die Resistenzentwicklung von C. auris und anderen Pilzen hingegen zeigt, daß ein ähnlicher, viel weniger beachteter Trend auch im Kampf gegen Pilzkrankheiten festzustellen ist. Hier stehen sogar nur vier Klassen an Antimykotika zur Verfügung, bei Antibiotika sind es fünfmal so viele.

Wollte man die tonnenweise Verwendung von Fungiziden in der Landwirtschaft von heute auf morgen einstellen, wäre sicherlich mit beträchtlichen Ernteeinbußen zu rechnen. Im ökologischen Landbau werden allerdings andere Ansätze verfolgt, die noch ausbaufähig sind. Hier werden zwar ebenfalls Fungizide eingesetzt, aber die haben Wirkstoffe wie Kupfer, Rapsöl und Schwefel. Azole sind nicht zugelassen, wie einer Auswahl an zugelassenen Pflanzenschutzmitteln "für den ökologischen Landbau nach der Verordnung (EG) Nr. 834/2007" des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit vom April 2019 zu entnehmen ist. [6]

Da die Verwendung von mehr und mehr Fungiziden offensichtlich die Gefahr birgt, daß dies zur Resistenzentwicklung von jenen Lebensformen beiträgt, gegen die sie gerichtet sind, wäre es mehr als nur eine Überlegung wert, einen anderen Weg einzuschlagen, als stur bei der landwirtschaftlichen Methode zu bleiben. Die verschafft den Agrounternehmen, die Fungizide herstellen und verkaufen, hohe Einnahmen, aber zukunftsfähig ist sie offensichtlich nicht. Alex Liebman and Rob Wallace, die sich in einem Bericht von Independent Sciences News umfänglich mit dem Phänomen der Resistenzentwicklung von Candida auris befaßt haben, schlagen deshalb vor, dem destruktiven Geschäftsmodell der industriellen Landwirtschaft durch alternative Anbaumethoden, die von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern weltweit laufend weiterentwickelt und verbessert wurden, entgegenzutreten. [7]

So naheliegend die Vermutung eines Zusammenhangs zwischen Resistenzentwicklung und landwirtschaftlicher Praxis auch ist, darf am Ende nicht vernachlässigt werden, daß noch andere Umgebungen vorstellbar sind, in denen C. auris seine Abwehrkräfte entwickelt haben könnte. Beispielsweise enthalten auch Kosmetika und Antischuppenshampoos Derivate, wie sie in Antipilzmitteln Verwendung finden. Und mit Antischimmelmitteln werden manche Oberflächen, Farben und Bauhölzer behandelt. Es werden somit vielerorts für Pilze lebensfeindliche Umgebungen geschaffen, die es aus ihrer "Sicht" zu bewältigen gilt.


Fußnoten:

[1] https://www.cdc.gov/fungal/candida-auris/candida-auris-alert.html

[2] https://www.telegraph.co.uk/news/2016/07/08/intensive-care-unit-closed-as-three-people-die-from-new-superbug/

[3] https://www.nytimes.com/2019/04/06/health/drug-resistant-candida-auris.html

[4] https://www.pharmazeutische-zeitung.de/ausgabe-372017/pilze-fuehren-schattendasein/

[5] https://mobil.bfr.bund.de/cm/343/problematik_der_entwicklung_von_resistenzen_humaner_mykosen_gegenueber_azol_antimykotika.pdf

[6] https://www.bvl.bund.de/SharedDocs/Downloads/04_Pflanzenschutzmittel/psm_oekoliste-DE.pdf?__blob=publicationFile&v=43

[7] https://www.independentsciencenews.org/health/a-lethal-industrial-farm-fungus-is-spreading-among-us/

8. Mai 2019


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