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STANDPUNKT/391: Reform des Emissionshandels - Schwarzer Tag für den Klimaschutz (GW)


Germanwatch e. V.
KlimaKompakt Spezial Nr. 54 / 19. April 2013

Germanwatch-Kurzanalyse zur Reform des Emissionshandels

Rollback statt Backloading
Schwarzer Tag für den Klimaschutz. Doch noch hat das Backloading eine Chance.



Bonn/Berlin, 17.04.2013. Der 16. April 2013 ist für den Klimaschutz in der EU der schwärzeste Tag seit dem Klimagipfel von Kopenhagen 2009. Die Abstimmung im Europaparlament (EP) über das Backloading als erster notwendiger Schritt in die Reform des Emissionshandels war eine immense symbolische Niederlage für den Klimaschutz. Der EU-Emissionshandel und ein ausreichend hohes 2020-Klimaziel liegen jetzt im Koma. Das gefährdet indirekt auch ambitionierte mittelfristige Emissionsziele.

Wenn die Entscheidung nicht korrigiert wird, wird es vor 2020 keinen nennenswerten CO2-Preis in der EU geben. Die Entscheidung stärkt Kohle gegenüber Erneuerbaren Energien und Gas. Sie torpediert den EU-Emissionshandel gerade zu dem Zeitpunkt, an dem weltweit viele Staaten und Regionen, u. a. in den USA und China, in CO2-Handelssysteme einsteigen. Sie macht ambitionierte Klimaziele in der EU sehr unwahrscheinlich. Jetzt können nur noch die Regierungen der Mitgliedsstaaten den Emissionshandel aus seinem Koma zurückholen. Dafür braucht die irische Ratspräsidentschaft vor allem anderen die schnelle Unterstützung der deutschen Bundesregierung. Die gestrige Entscheidung lässt dafür Raum. Es gab am 16.04.2013 keine Mehrheit dafür, das Backloading endgültig scheitern zu lassen. Die mit klarer Mehrheit durchgesetzte Rücküberweisung des Backloadings in die Ausschüsse hat gezeigt: Eine Reihe von skeptischen Abgeordneten war unsicher, welche Konsequenzen eine komplette Ablehnung des Backloadings gehabt hätte und will mehr Zeit und Informationen für eine Entscheidung. Das lässt die Tür offen für eine Neuauflage der Backloading-Abstimmung.

Der EP-Umweltausschuss hat nun maximal zwei Monate, um den Kommissionsvorschlag weiter zu beraten und sich informell mit Rat und Kommission auf einen neuen Kompromiss zu einigen. Das Ergebnis könnte dann wieder dem Plenum vorgelegt werden. Sollte der Umweltausschuss zu keinem Ergebnis kommen oder ein neuer Vorschlag vom Plenum in erster Lesung abgelehnt werden, könnte der Rat den Backloading-Vorschlag dem Plenum in zweiter Lesung vorlegen. Das Europäische Parlament könnte den Vorschlag dann nur mit absoluter Mehrheit (376 nötig anstelle der 334 MdEP, die am 16.04. gegen den Vorschlag waren) ablehnen. Doch zunächst müsste der Umweltrat eine eigene Position entwickeln. Die irische Ratspräsidentschaft kündigte noch am 16.04. an, sich jetzt mit hoher Intensität dafür einzusetzen. Sie braucht dazu in den nächsten Wochen unbedingt eine unterstützende Position Deutschlands. Vom Durchsetzungswillen und -vermögen der Kanzlerin gegenüber Wirtschaftsminister Philipp Rösler hängt es jetzt ab, ob Umweltminister Peter Altmaier diese Position vertreten und der Emissionshandel so aus seinem Koma geweckt werden kann. Gelingt das nicht, schreibt die EU den Klimaschutz bis 2020 in den Wind. Dann hätte die EU wohl keine Chance mehr, ihren versprochenen Beitrag zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf unter 2 Grad noch zu leisten. Dies wäre ein verheerendes Signal für die internationalen Klimaverhandlungen.

Zwei der nächsten drei Klimagipfel auf dem Weg zu einem neuen Klima- Abkommen 2015 finden in EU-Staaten statt. In Paris soll das globale Abkommen 2015 sogar unter EU-Ägide festgezurrt werden. Entweder die Kanzlerin setzt sich gegen den Koalitionspartner durch, oder diese Regierung verantwortet den Tod der EU-Klimapolitik.


Backloading: Was passierte am 16.04. im Europäischen Parlament?

Die Europäische Kommission hatte im Sommer 2012 einen Verfahrensvorschlag vorgelegt, auf welche Weise eine Reparatur des fehlerhaft konstruierten Emissionshandels durchgeführt werden könnte (Backloading). Zur Abstimmung am 16.04.2013 stand im Europäischen Parlament nun die Mandatserteilung für den Abgeordneten Matthias Groote (SPD) über Verhandlungen mit Ministerrat und Europäischer Kommission (Trialogverfahren). Als Ergebnis dieser Verhandlungen hatte Groote dann einen Vorschlag ins Plenum eingebracht, um damit die Kommission zu ermächtigen, hier aktiv zu werden. Als erstes stimmte das EP am 16. April über den Änderungsantrag 20 der Abgeordneten Eija-Riitta Korhola (EVP) mit folgendem Wortlaut ab: "The European Parliament rejects the Commission proposal". Dieser Änderungsantrag1 erhielt eine knappe Mehrheit mit 334 zu 315 Stimmen. Damit lehnten die Abgeordneten zwar den ursprünglichen Vorschlag der Kommission über einen möglicherweise mehrfachen Eingriff der Kommission in den Emissionshandel ab. Allerdings schreckten die Abgeordneten davor zurück, den konkretisierten Vorschlag des Umweltausschusses für einen lediglich einmaligen Eingriff der Kommission in den Handel endgültig zu beerdigen und stimmten mit 343 zu 300 Stimmen gegen einen entsprechenden Vorschlag des ungarischen Abgeordneten József Szájer (EVP - Fidesz). Damit wurde die Backloading-Debatte automatisch zurück in den Umweltausschuss des Parlaments verwiesen.

Übersicht über die zur Abstimmung stehenden Änderungsanträge unter:
http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?type=REPORT&reference=A7-2013-0046&language=EN

weitere Informationen siehe http://www.germanwatch.org/de/6610

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Quelle:
KlimaKompakt Spezial Nr. 54, 19.04.2013
Herausgeber: Germanwatch e.V.
Dr. Werner-Schuster-Haus, Kaiserstr. 201, 53113 Bonn
Tel.: 0228/60492-0, Fax: 0228/60492-19
E-mail: klimakompakt@germanwatch.org
Internet: http://www.germanwatch.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2013