Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → MEINUNGEN

STANDPUNKT/648: "Stuttgarter Erklärung zur Agro-Gentechnik" (Aktionsbündnis Gentechnikfreie Landwirtschaft)


Aktionsbündnis Gentechnikfreie Landwirtschaft in Baden-Württemberg

Stuttgart, 29. November 2014

Aktionsbündnis Gentechnikfreie Landwirtschaft verabschiedet "Stuttgarter Erklärung zur Agro-Gentechnik"



Stuttgart, 29. November 2014. Das Aktionsbündnis Gentechnikfreie Landwirtschaft in Baden-Württemberg hat am 29. November 2014 anlässlich der Tagung "Gentechnikfreie Landwirtschaft in Baden-Württemberg sichern!" die "Stuttgarter Erklärung zur Agro-Gentechnik" verabschiedet. An der Tagung, die in der Jugendherberge Stuttgart stattfand, hatten rund 50 Personen teilgenommen. "Im Koalitionsvertrag hat die grün-rote Landesregierung erklärt, Baden-Württemberg müsse völlig gentechnikfrei bleiben. Seither hat sie einiges getan, um dieses Ziel zu erreichen", so Gottfried May-Stürmer vom BUND und einer der drei Sprecher des Bündnisses. Das Aktionsbündnis hebt zu Beginn seiner Erklärung die bereits umgesetzten Maßnahmen zum Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft - wie beispielsweise das Anbauverbot gentechnisch veränderter Pflanzen auf landeseigenen Flächen - wohlwollend hervor. "Als Bündnis begrüßen wir diese Ansatzpunkte - dennoch gibt es noch viel zu tun, um dem klaren Verbraucherwunsch nach umfassender Gentechnikfreiheit gerecht zu werden", so May-Stürmer weiter.

Ein zentraler Punkt der "Stuttgarter Erklärung" ist der Einsatz von gentechnisch veränderten Futtermitteln. "Obwohl gentechnikfreie Futtermittel in ausreichender Menge vorhanden sind, obwohl Öko-Bauern zeigen, dass die Produktion von Fleisch, Milch und Eiern ohne gentechnisch veränderte Futtermittel möglich ist, werden immer noch große Mengen an gentechnisch verändertem Soja importiert und an unsere Nutztiere verfüttert" erläutert Dr. Christian Eichert, Geschäftsführer bei Bioland und ebenfalls Sprecher des Bündnisses.

"Nicht einmal das Qualitätszeichen Baden-Württemberg garantiert Gentechnikfreiheit", moniert eine Teilnehmerin der Tagung kritisch. In der Konsequenz fordert das Bündnis die Landesregierung auf, die Gentechnikfreiheit im Qualitätszeichen Baden-Württemberg über alle Produktsparten hinweg zeitnah einzuführen und vorzuschreiben. Darüber hinaus forderten die Teilnehmer der Tagung von der Landesregierung den Lebensmitteleinkauf im Zuge der derzeit in Überarbeitung befindlichen Beschaffungsrichtlinie konsequent auf gentechnikfrei umzustellen.

Der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen ist ein weiterer Punkt der "Stuttgarter Erklärung zur Agro-Gentechnik": Aktuell werden in Baden-Württemberg zwar keine gentechnisch veränderten Pflanzen angebaut. Angesichts der acht gentechnisch veränderten Sorten, die derzeit auf die Anbauzulassung in der EU warten hält das Aktionsbündnis diesen Zustand jedoch nicht für gesichert. "Wir fordern einen EU-weiten Zulassungsstopp von gentechnisch veränderten Sorten und eine stabile Rechtsgrundlage für einzelstaatliche Anbauverbote (opt out) in der gesamten EU" erklärt May-Stürmer. Auch die Freihandelsabkommen TTIP und CETA nimmt das Bündnis kritisch unter die Lupe:

Unter dem Vorwand der Beseitigung nicht-tarifärer Handelshemmnisse könnten Anbauverbote, Kennzeichnungsvorschriften und Haftungsregelungen ausgehebelt und damit der Agro-Gentechnik Tür und Tor geöffnet werden. Daher lehnen die Vertreter des Bündnisses die Unterzeichnung des CETA-Abkommens ab und fordern den Abbruch der Verhandlungen über TTIP. Abschließend räumt die "Stuttgarter Erklärung zur Agro-Gentechnik" auf mit der Behauptung, die Agro-Gentechnik könne den Hunger in der Welt beseitigen. "Gentechnisch veränderte Pflanzen bringen weder höhere Erträge, noch sind sie besser an extreme Klimabedingungen angepasst", so Wolfgang Schleicher, Geschäftsführer des Katholischen Landvolkes und dritter Sprecher des Bündnisses. Laut Aussage von Schleicher ermöglichten derartige Pflanzen lediglich größere Flächen mit weniger Arbeitskraft zu bewirtschaften und führten in der Konsequenz zu Landverlust und einseitigen Abhängigkeiten. Deshalb fordern Schleicher und seine Mitstreiter ein weltweites Nachbaurecht für alle Bäuerinnen und Bauern und kein Patent auf Leben.

weitere Informationen:
http://www.gentechnik-freie-landwirtschaft.de

Raute


Stuttgarter Erklärung zur Agro-Gentechnik

Bündnis Gentechnikfreie Landwirtschaft Baden-Württemberg

Stuttgart, den 29.11.2014


Vor dreieinhalb Jahren hat die grün-rote Landesregierung im Koalitionsvertrag erklärt: "Baden-Württemberg muss völlig gentechnikfrei bleiben." Seither hat sie einiges getan, um diesem Ziel näher zu kommen:

  • Auf den landeseigenen Flächen ist der Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen über die Pachtverträge ausgeschlossen;
  • Die tierhaltenden Landesanstalten in Aulendorf und Boxberg verwenden ausschließlich gentechnikfreie Futtermittel;
  • Baden-Württemberg ist dem europaweiten 'Netzwerk Gentechnikfreier Regionen' beigetreten;
  • Die Landesregierung hat per Erlass einen Umfeldschutz für Naturschutzgebiete von 3.000 Metern festgesetzt, welcher ebenfalls im neuen Naturschutzgesetz aufgenommen und verankert werden soll;
  • Das Qualitätszeichen Baden-Württemberg schreibt für Fisch, Honig, Geflügel, Eier und Lammfleisch ab 2015 Gentechnikfreiheit vor.

Als Bündnis Gentechnikfreie Landwirtschaft Baden-Württemberg begrüßen wir diese Ansatzpunkte sehr. Gleichzeitig sehen wir noch große Herausforderungen vor uns liegen, um dem klaren Verbraucherwunsch nach umfassender Gentechnikfreiheit in Baden-Württemberg gerecht zu werden. Denn: Baden-Württemberg ist heute noch lange nicht frei von Agro-Gentechnik.

Einfallstor schließen - keine gentechnisch veränderten Futtermittel!

Das große Einfallstor sind nach wie vor die eingesetzten Import-Futtermittel. Noch immer werden große Mengen an gentechnisch verändertem Soja aus Südamerika importiert und an unsere Nutztiere verfüttert. Dies geschieht obwohl gentechnikfreie Futtermittel in ausreichender Menge vorhanden sind und Öko-Bauern und eine wachsende Zahl von Erzeugergemeinschaften und Qualitätsprogramme zeigen, dass die Produktion von Fleisch, Milch und Eiern ohne gentechnisch veränderte Futtermittel erfolgreich möglich ist. Zudem hat das Land eine Initiative für die Erzeugung heimischer Eiweißfuttermittel gestartet.

Nicht einmal das Qualitätszeichen Baden-Württemberg garantiert bislang Gentechnikfreiheit - die für Anfang 2015 versprochene Einführung des Standards 'ohne Gentechnik' für Milch, Schweine- und Rindfleisch wurde auf Ende 2017 verschoben.

Wir fordern:

  • Die EU-weite Kennzeichnungslücke für tierische Produkte zu schließen: Tierische Produkte wie Fleisch, Milch und Eier, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln erzeugt wurden, müssen eindeutig gekennzeichnet werden, damit die VerbraucherInnen die Wahl haben;
  • In Deutschland kurzfristig eine 'ohne Gentechnik'-Kennzeichnung verbindlich einführen;
  • Alle öffentlichen Einrichtungen und Ministerien in Baden-Württemberg, die pflanzliche und tierische Lebensmittel erwerben, sollen ausschließlich gentechnikfrei (entweder mittels Einhaltung der Vorgaben des EG-Gentechnik-Durchführungsgesetzes oder mittels Einhaltung der EU-Öko-Verordnung) einkaufen und diesen Sachverhalt öffentlichkeitswirksam kommunizieren. Diese Vorgabe soll ebenfalls für Veranstaltungen der Landesregierung in den Regionen, als auch in Stuttgart, Berlin und Brüssel Umsetzung finden. Die derzeit in Überarbeitung befindliche Beschaffungsrichtlinie des Landes ist entsprechend zu ergänzen;
  • Die Landesregierung wird aufgefordert, einen Leitfaden für den Einkauf von regionalen Lebensmitteln 'ohne Gentechnik' für Kommunen und weitere öffentliche und privatwirtschaftliche Einrichtungen zu erstellen und zu kommunizieren;
  • Um dem Verbraucheranspruch nach gentechnikfreier Produktion umfassend gerecht zu werden, muss das Qualitätszeichen Baden-Württemberg als 'Leuchtturm' heimischer Erzeugnisse nicht nur für die Bereiche Fisch, Honig, Eier, Geflügel und Lammfleisch, sondern auch für Milch, Schweine- und Rindfleisch das Attribut 'gentechnikfrei' garantieren und konsequent umsetzen - und dies nicht erst ab Ende des Jahres 2017;
  • Wir appellieren an die Bevölkerung beim Einkauf vor Ort gentechnikfreie Lebensmittel aktiv nachzufragen und dadurch der Gentechniklobby mit der Marktmacht des mündigen Verbrauchers zu begegnen.
Kein Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen - auch nicht durch opt out oder TTIP!

Seit 2009 werden in Baden-Württemberg keine gentechnisch veränderten Pflanzen angebaut, seit 2011 gab es auch keine Saatgutverunreinigungen mehr. Doch dieser Erfolg ist nicht gesichert: Acht gentechnisch veränderte Sorten warten derzeit auf die Anbauzulassung der EU. Der Vorschlag des Ministerrats zum 'opt out', der erleichterte Zulassungen im Gegenzug zu nationalen Ausnahmen vorsieht, kann zu einem unüberschaubaren und schwer kontrollierbaren Flickenteppich unterschiedlicher Zulassungen in Europa führen. Die Freihandelsabkommen TTIP und CETA werden unter der Überschrift "Beseitigung nicht-tarifärer Handelshemmnisse" sehr wahrscheinlich Anbauverbote, Kennzeichnungsvorschriften und Haftungsregelungen aushebeln und damit der Agro-Gentechnik Tür und Tor öffnen.

Daher fordern wir:

  • EU weit keine weiteren Zulassungen von gentechnisch veränderten Sorten;
  • Eine stabile Rechtsgrundlage für einzelstaatliche Verbote von gentechnisch veränderten Pflanzen in der EU und Verschärfung statt Erleichterung der EU-weiten Zulassungspraxis;
  • Ein Anbauverbot muss bundesweit einheitlich umgesetzt werden - die Bundesregierung darf ihre Verantwortung nicht auf die Bundesländer abwälzen;
  • Keine Unterzeichnung des CETA-Abkommens und Abbruch der Verhandlungen über TTIP.

Vielfalt ernährt die Welt - Agro-Gentechnik erzeugt Abhängigkeit Die Behauptung, die Agro-Gentechnik könne den Hunger in der Welt beseitigen, ist falsch. Gentechnisch veränderte Pflanzen bringen weder höhere Erträge, noch sind sie besser an Trockenheit oder extreme Klimabedingungen angepasst. Herbizidresistente Pflanzen ermöglichen es agro-industriellen Großbauern und -konzernen lediglich, größere Flächen mit weniger Arbeitskraft zu bewirtschaften, sie führen zum Landverlust von Kleinbauern, zu mehr Herbizideinsatz, zur Herausbildung von Resistenzen und zur Abhängigkeit von wenigen 'Multis'. Patente auf Leben verschärfen diese Entwicklungen. Zur Sicherung der Ernährung braucht es ein vielfältiges, an die lokalen Verhältnisse angepasstes Sortenspektrum. Das kann die klassische Züchtung leisten, nicht aber die Agro-Gentechnik. Schon der Bericht des Weltagrarrats hat 2008 klargestellt, dass die beste Lösung für das Hungerproblem eine regional angepasste, nachhaltige Landwirtschaft ist.

Daher fordern wir:

  • Ein weltweites Nachbaurecht für alle Bauern, kein Patent auf Leben; Zugang zu Bildung, Ressourcen und Märkten für kleinbäuerliche Erzeuger insbesondere im Süden;
  • Gezielte Umlenkung der Forschungsgelder auf Landes- wie Bundesebene für die partizipative Züchtung angepasster, nachbaufähiger Sorten anstatt für 'Gentechnik-Experimente' und sogenannte neue Züchtungstechnologien.

*

Quelle:
Pressemitteilung vom 29.11.2014 und
"Stuttgarter Erklärung zur Agro-Gentechnik"
Herausgeber:
Koordinationsstelle Aktionsbündnis Gentechnikfreie Landwirtschaft
in Baden-Württemberg
c/o Bioland Landesverband Baden-Württemberg e.V.
Schelztorstr. 49, 73728 Esslingen, Tel.:0711/550939-47
E-Mail: info@gentechnik-freie-landwirtschaft.de
Internet: http://www.gentechnik-freie-landwirtschaft.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2014