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STANDPUNKT/1004: Insektensterben - Es ist Zeit, zu handeln (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 2/18
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Es ist Zeit, zu handeln
Wie schlimm ist das Insektensterben, wer ist dran schuld und was können wir dagegen tun?

von Helge May


Seit Jahrzehnten wirbt Krefeld mit dem Spruch "Stadt wie Samt und Seide". Vielleicht sollte man am Niederrhein den Verweis auf die vergangene Textilindustrie durch einen aktuellen Bezug ersetzen. "Stadt des Insektensterbens" klingt natürlich etwas düster. Aber wenn der Name Krefeld heute von Washington bis Wladiwostock für etwas steht, dann eben für die Untersuchungen des örtlichen Entomologischen Vereins zur Entwicklung der Insektenbestände.

Die Erkenntnisse der ehrenamtlichen Forscher um Martin Sorg haben tatsächlich weltweit Schlagzeilen gemacht. Dahinter steht keine ausgetüftelte PR-Kampagne, die Auswertungen waren fertig und die Zeit war offensichtlich reif.

Rückgang um drei Viertel. An den 63 untersuchten Standorten, vor allem in NRW, aber auch in Rheinland-Pfalz und Brandenburg, ist die Biomasse der in sogenannten Malaisefallen gefangenen Fluginsekten in 27 Jahren um 75 Prozent gesunken. 27 Jahre Forschung sind eine ungewöhnlich lange Zeit, daher der große Wert der Studie. In der Geschichte der untersuchten Lebensräume sind 27 Jahre aber nur ein Wimpernschlag. Das Entsetzen über den Zusammenbruch der Bestände ist daher nur zu berechtigt. Man muss die Zeitreihe nur mal in Gedanken weiterspinnen.

Die Krefelder Studie hat auch Kritik geerntet. Oft polemisch und oft von dort, wo man sich als möglicher Mitverursacher unter Druck gesetzt fühlte. Von "Freizeitforschern" war abschätzig die Rede, als ob das Engagement in der Freizeit ein Qualitätsmangel wäre. Auf Schwachpunkte wurde verwiesen, etwa dass von vielen Standorten nur wenige Messungen vorliegen oder dass der Masserückgang nichts über die Betroffenheit der einzelnen Artengruppen oder Arten aussagt. Stimmt, aber staatliche oder universitäre Forschung können hier erst recht nichts vorweisen. Das macht die Krefelder Studie so einzigartig.

Landwirtschaft unter Druck. Es bleiben viele Fragen, unter anderem die nach den Ursachen. Hier halten sich die Krefelder zurück, zu viele Faktoren können eine Rolle spielen. Dass neben der Zersiedlung die Art unserer modernen Landwirtschaft - auf 50 Prozent der Gesamtfläche - mit Strukturverlust, Überdüngung und Gifteinsatz einen Anteil hat, steht aber außer Frage.

Bewiesen sei nichts, heißt es scheinheilig von Bauernverbandsseite, schließlich befanden sich die Probeflächen ja in Naturschutzgebieten. Dass in den meisten Schutzgebieten die Landwirtschaft kaum eingeschränkt ist, unmittelbar drumherum sowieso nicht, weiß natürlich auch die Agrarlobby.

Keine Entschuldigung fürs Nichtstun. Ganz allein stehen die Krefelder Erkenntnisse nicht. Punktuelle Studien gibt es einige und die meisten passen leider ins Bild. Leider, denn gerade als Naturfreund und Naturschützer wäre man froh über positive Nachrichten. Wir müssen also etwas tun. Es gibt Forschungsbedarf, wir können aber nicht weitere Jahrzehnte warten, bis Detailfragen wasserdicht geklärt sind. Was gäbe es dann noch zu retten?


Weitere Infos zum Thema unter www.NABU.de/Insektensterben, einschließlich Tipps zur Insektenhilfe im Garten.

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Forderungen des NABU

- Vielfalt und Häufigkeit der Insekten lassen sich dauerhaft nur über eine grundlegende Reform der EU-Agrarpolitik erhalten. Statt pauschaler Flächenprämien müssen gezielt natur- und damit insektenfreundliche Wirtschaftsweisen gefördert werden. Das seit Jahresanfang geltende Pestizidverbot auf sogenannten Ökologischen Vorrangflächen ist streng zu überwachen und sein Effekt auf Insekten zu untersuchen.

- Der Pestizideinsatz muss durch die Verankerung eines generellen Minimierungsgebotes im deutschen Pflanzenschutzrecht, die grundsätzliche Etablierung des Integrierten Pflanzenschutzes, die verstärkte Förderung der ökologischen Landwirtschaft und die Verbesserung unabhängiger Beratung verringert werden.

- In Naturschutzgebieten, Natura-2000-Gebieten sowie Biosphärenreservaten und Nationalparken sollen Pestizide sowie die prophylaktische Anwendung ökologisch wirksamer Tierarzneimittel verboten werden. Darüber hinaus sollte die Bewirtschaftung in Schutzgebieten und einem Puffer nach außen von mindestens 500 Metern nach ökologischen Prinzipien erfolgen.

- Auf öffentlichen Grünflächen sollte nicht nur die Verwendung heimischer Pflanzenarten der Regelfall sein. Auch der Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide ist auszuschließen.

- Der Einsatz chemisch-synthetischer Pestizide durch Privatanwender im Gartenbereich muss grundsätzlich untersagt werden.

- Die Zulassungsprüfungen für Pestizide müssen neu gefasst werden. Dazu gehört die realitätsnahe Prüfung der Wirkung von Pestiziden und deren Anwendungsmischungen auf ganze Lebensgemeinschaften und Nahrungsnetze sowie wichtige Prozesse wie Bestäubung, Nitrifikation, Streuzersetzung und Photosynthese.


(vollständiges NABU-Aktionsprogramm Insektenschutz online unter www.NABU.de/Insektensterben)


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Rote Liste mit Lücken
Von rund 33.000 in Deutschland vorkommenden Insektenarten wurden bisher nur 7444 für die Roten Listen ausgewertet. Über den Zustand der meisten Arten weiß man also nichts. Von den untersuchten Arten sind 44 Prozent rückläufig, lediglich zwei Prozent haben langfristig zugelegt.

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Quelle:
Naturschutz heute - Heft 2/18, Seite 6 - 7
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-1530, Fax: 030/284984-2500
Hausanschrift: Charitéstraße 3, 10117 Berlin
E-Mail: naturschutz.heute@nabu.de
Internet: www.naturschutz-heute.de
Herausgeber: NABU, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-0, Fax: 030/284984-2000
E-Mail: nabu@nabu.de
Internet: www.NABU.de
 
"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Mai 2018

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