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STELLUNGNAHME/597: Standortauswahlverfahren Endlager - Sicher ist das nicht! (Gorleben Rundschau)


Gorleben Rundschau XI-XII/2019 - 42. Jahrgang, Ausgabe 1072
Wir sind die Wenden: Energie · Klima · Mobilität · Gesellschaft

Sicher ist das nicht!
Die BI nimmt Stellung zum Entwurf der Sicherheitsanforderungen für ein Endlager


Sicherheit - Welche Anforderungen werden an die Sicherheit eines Atommülllagers gestellt? Wie wird die Sicherheit bewertet? Die Beantwortung dieser Fragen ist wesentlicher Teil des Standortauswahlverfahrens. Das Bundesumweltministerium hat dazu den Entwurf einer Verordnung publiziert und die Öffentlichkeit um Stellungnahmen gebeten. Wolfgang Ehmke kommentiert das Papier aus Sicht der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg.


Der Entwurf geht wie selbstverständlich davon aus, dass hochradioaktive Abfälle in tiefengeologischen Schichten endgelagert werden. Als Gesteinsformationen kommen demnach Salz, Ton und Kristallin in Frage.

Schon diese Fixierung auf ein tiefengeologisches Endlager hält die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg (BI) für falsch. An keiner Stelle des Entwurfs wird ein Türchen dafür geöffnet, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Möglichkeiten zu einem Rücksprung bei der Endlagersuche führen können, um beispielsweise eine Lagerung in tiefen Bohrlöchern zu präferieren.

Ein Endlager? Oder zwei?

Im Standortauswahlgesetz (Stand AG) war ursprünglich davon die Rede, dass ein Endlager für "insbesondere" hochradioaktive Abfälle errichtet werden soll. Das rief seinerzeit Kritik hervor, weil befürchtet wurde, dass am Ende ein einziges Atommülllager für alle Arten von strahlendem Müll entstehen könnte. Zusammen mit anderen Playern hatte die Anti-Atom-Bewegung auf die Streichung des Wörtchens "insbesondere" hingewirkt. Unklar blieb daraufhin aber, wohin die Abfälle, die möglicherweise eines Tages aus der havarierten Asse II geborgen werden, verbracht werden und was mit dem Müll aus der Urananreicherungsanlage in Gronau und der Brennelementefabrik in Lingen geschehen soll.

Im jetzt vorgelegten Entwurf ist nun aber erneut die Rede davon, dass am Standort eines prospektiven Endlagers für hochradioaktiven Müll auch ein weiteres, "separates" Bergwerk aufgefahren werden soll - räumlich und infrastrukturell getrennt voneinander -, das schwach- und mittelaktive Abfälle aufnehmen soll, es sei denn, das Volumen dieser Abfälle wäre geringfügig. Ein zweites Endlager am gleichen Standort? Ist das nicht die klammheimliche Rückkehr des Wörtchens "insbesondere"?

Folgt man nämlich der neuen Formulierung, wird klar, dass eine weitere Schachtanlage am gleichen Standort unweigerlich errichtet werden muss: Das Bundesumweltministerium (BMU) selbst schätzt die Menge des Atommülls allein aus der havarierten Asse auf 175.000 bis 220.000 Kubikmeter, also ein Vielfaches der rund 24.000 Kubikmeter hochradioaktiver Abfälle. Und auch die Atomanlagen in Gronau und Lingen mit ihren unbegrenzten Laufzeiten produzieren strahlenden Müll. Das BMU geht hier von rund 100.000 Kubikmetern aus. Die sich daraus abzeichnende Notwendigkeit, zwei Endlager an einem Standort zu errichten, hat erhebliche Folgen für die Auswahl in Frage kommender Standorte: Erstens lassen die Referenten offen, ob zwei Endlager in einem einschlusswirksamen Gebirgsbereich errichtet werden sollen. Und zweitens, das ist besonders wichtig, reduziert sich durch das große Abfallvolumen und den großen Flächenbedarf die Zahl möglicher Standorte für ein "bestmögliches" Endlager, was zu Lasten der Sicherheit beim Endlager für hochradioaktiven Müll gehen könnte.

Fair und wissenschaftlich notwendig wäre einzig der Verzicht auf den Schacht Konrad für schwach- und mittelaktive Abfälle, in den die Asse-Abfälle und der Müll aus der Urananreicherung aus Sicherheitsgründen ohnehin nicht verbracht werden darf. Die Suche für ein separates Endlager für die schwach- und mittelaktien Abfälle muss also ebenfalls neu beginnen. Es muss auch hier ein vergleichendes Verfahren geben und die Nachnutzung eines Erzbergwerks - wie beim Schacht Konrad - muss aus Sicherheitsgründen ein Tabu bleiben.

Erst wenn klar ist, dass nur ein Endlager an einem Standort in einem eignungshöffigen Wirtsgestein errichtet werden soll, kann man folglich Aussagen zum Sicherheitskonzept treffen.

Ereignisse - zu erwarten oder rein hypothetisch?

Der jetzt vorliegende Entwurf unterscheidet bei der Betrachtung der Langzeitsicherheit zu erwartende, abweichende und hypothetische Entwicklungen innerhalb des Nachweiszeitraums von einer Million Jahren. Völlig unverständlich ist, dass unter "hypothetischen Entwicklungen" das "unbeabsichtigte menschliche Eindringen" in das Endlager gefasst wird, statt es unter "zu erwartende" Entwicklungen zu fassen.

Abweichende und hypothetische Entwicklungen des Endlagersystems dürfen bei einer Sicherheitsuntersuchung nicht aussortiert werden, also nicht unter den Tisch fallen, es sei denn, es wird eingeräumt, dass der Nachweiszeitraum von einer Million Jahren einfach nur "gegriffen" und deshalb auch gar nicht beherrschbar ist. Aus Sicht der BI gehören die Aspekte "Einwirkungen Dritter" und die Proliferationsgefahr nicht als unwahrscheinlich herabgestuft. Die Welt ist kein friedlicher Ort, und es spricht wenig dafür, dass sich das in der Zukunft ändern wird.

Keine Sicherheit ohne Barriere

Der unabdingbare Hinweis auf die Notwendigkeit eines wasserabweisenden Deckgebirges über dem einschlusswirksamen Gebirgsbereich als wesentliche Barriere wurde im StandAG leider degradiert zu einem bloßen Abwägungskriterium. Ohne eine solche Sicherheitsbarriere gibt es aber keine "Sicherheit". Schon im "Zwischenbericht" der Physikalischen Bundesanstalt (PTB) aus dem Jahr 1983 zum Salzstock Gorleben hieß es, dass bereits nach 600 Jahren nördlich der Elbe der Austritt kontaminierter Wässer zu erwarten sei, weil die tonigen Sedimente über dem Salzstock Gorleben keine Rückhaltefunktion hätten - sie sind auf einer Fläche von rund 7,5 Quadratkilometern nicht durchgängig.

Nachrichten an die ferne Zukunft

Im Entwurf heißt es dazu: "Die Dokumentation [über Lage und Art des Atommülllagers, Anm. d. Red.] muss an mindestens zwei räumlich und organisatorisch voneinander getrennten Stellen möglichst langfristig verfügbar und lesbar gehalten werden." Die Dokumentationspflicht endet dem Entwurf zufolge mit Ablauf von 500 Jahren nach Verschluss des Endlagers.

Setzen die Autoren hier auf das Vergessen und Verschwinden? Die Menschheitsgeschichte ist ja davon geprägt. Axel Hacke umreißt in einem Beitrag für das SZ-Magazin, was so alles dem Vergessen und Verschwinden anheimfallen wird, und man kann die Liste fortsetzen: Die DDR zum Beispiel ist schon weg und man erinnert kaum noch, wo einst die Mauer in Berlin stand. Die Gletscher verschwinden, kommen aber vielleicht mit den Eiszeiten in den nächsten eine Million Jahren zurück und schieben den Atommüll durchs Land. Bedroht sind auch die Handschrift, die Zeitungsleser, die SPD, das Dieselauto, die Metzgerei um die Ecke ... Fragen Sie mal Schüler/-innen einer 10. Klasse, was ein Walkman war.

Im Ernst: Nötig wären Forschungsaufträge, wie über Ewigkeitszeiträume hinweg kommunizierbar ist, wo der Atommüll vergraben wurde. Schließlich darf er bei der Suche nach Rohstoffen nicht wieder ausgegraben werden. In 500 ebensowenig wie in 100.000 Jahren.

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Quelle:
Gorleben Rundschau, November/Dezember 2019, Seite 16-17
Lizenz: CC BY NC SA
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2020

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