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ATOM/329: Plutonium-Unfall bei der IAEO - Flucht wäre zu spät gewesen (SB)


Mindestens drei Forschungslabore der IAEO radioaktiv kontaminiert

Obgleich geprüft werden mußte, ob Strahlenstoff in die Umwelt gelangt ist, erfuhr die Bevölkerung erst viele Stunden später durch die Medien von dem Unfall - für eine Flucht wäre es dann zu spät gewesen


Plutonium zählt zu den gefährlichsten Substanzen der Welt. Schon geringste Mengen, und damit sind Millionstel Gramm gemeint, können Krebs erzeugen. Am Sonntag, den 3. August 2008, gegen 2.30 Uhr hat sich in einem Labor der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) in Seibersdorf, 35 Kilometer südlich von Wien, ein Unfall mit Freisetzung von Plutonium ereignet. Eine versiegelte Flasche war geplatzt. Bisherigen Erkenntnissen zufolge sind keine radioaktiven Substanzen aus dem Labor in die Umwelt gelangt.

Zum Zeitpunkt des Vorfalls, der einen automatischen Alarm ausgelöst hatte, hielt sich laut IAEO niemand in dem betroffenen Labor der Abteilung für Sicherheitsüberwachung auf dem Gelände der Austrian Research Centres (ARC) auf. Laut dem Sprecher Ayhan Evrensel kann ausgeschlossen werden, daß jemand in das Labor eingedrungen ist und die Flasche mit Plutonium dabei zu Bruch gegangen ist. Allem Anschein nach ist sie innerhalb eines Tresor explodiert. Die Experten nehmen an, daß das Plutonium Gase gebildet hat, die einen Überdruck erzeugten, der zur Zerstörung des Gefäßes führte. Es enthielt eine Flüssigkeit mit 0,2 Gramm Plutonium.

Nach IAEO-Angaben verfügt das Labor, das aus den siebziger Jahren stammt und als veraltet gilt, über mehrere Sicherheitssysteme. Unter anderem werden radioaktive Partikel mittels eines Luftfilters aus der Abluft entfernt. Schon bei der geringsten Abweichung von der Norm werde Alarm geschlagen, hieß es.

Es hat also den Anschein, als sei der Unfall glimpflich ausgegangen. Dennoch sollte er nicht als harmlos eingeschätzt werden, denn auch wenn ein Unfall mit Plutonium eingedämmt werden kann (was in diesem Fall noch zu beweisen wäre), bleibt es ein Unfall und damit ein Versagen im Umgang mit radioaktiven Substanzen.

In diesem Fall muß man sich wundern, daß das Plutonium überhaupt freigesetzt wurde. Denn in Presseberichten heißt es, daß sich die Flasche in einem Tresor befand. Offensichtlich war der Tresor nicht dicht. Warum nicht? Sollte er nur gegen Diebstahl schützen? Darüber hinaus konnte das Plutonium aus dem Laborraum entweichen - es wurde bereits in zwei weiteren Räumen nachgewiesen. Muß man deswegen nicht annehmen, daß das Belüftungssystem unzureichend ist?

Der Seibersdorf-Unfall erinnert frappant an einen ähnlichen Unfall, der sich am 9. Juni dieses Jahres in einem Forschungslabor der USA ereignet hat und bei dem mit 0,25 Gramm Plutoniumpulver eine nur wenig größere Menge dieses gefährlichen Materials beteiligt war (Siehe Schattenblick-Artikel unter dem Index ATOM/326). Dort hatten die Forscher das Plutonium über Flure, Büros und andere Räumlichkeiten verteilt. Teils wurde es in den Abfluß gespült, weswegen die Stadtwerke alarmiert werden mußten. Mehrere Personen hatten Kontakt mit dem Plutonium.

So weit sich der Vorfall in Seibersdorf bis jetzt absehen läßt, verlief er weniger dramatisch, was möglicherweise mit dem Zeitpunkt, an dem die Flasche platzte, zusammenhängt. Wenn aber, wie berichtet, um 2.30 Uhr automatischer Alarm ausgelöst wurde, wundert es schon, warum das österreichische Umweltministerium eigenen Angaben zufolge erst um 16.00 Uhr darüber verständigt wurde. Immerhin mußten die Verantwortlichen des IAEO-Labors zunächst die Frage klären, ob Plutonium in die Umwelt gelangt ist oder nicht. Eine Benachrichtigung der Behörden wäre viel zu spät gekommen, falls Stunden nach dem Vorfall die Messungen eine Freisetzung ergeben hätten.

Die Einwohner von Seibersdorf und Umgebung waren demnach stundenlang einer unkalkulierbaren Gefahr ausgesetzt und sind es eigentlich permanent. Sicherlich wäre es besser, wenn sie bei jedem Alarm auf dem ARC-Gelände automatisch verständigt würden und selber entscheiden könnten, ob sie aus der Region fliehen wollen oder nicht - immerhin geht es um den Schutz von Leib und Leben. Ein solches Warnsystem wird es vermutlich deshalb nie geben, weil dann die Gefahren beim Umgang mit Strahlenmaterial der Öffentlichkeit viel zu präsent wären und die Menschen womöglich noch mehr Widerstand gegen die Nukleartechnologie entwickelten, als sie es ohnehin schon tun.

Beim Seibersdorf-Vorfall bedarf ein Punkt der besonderen Aufklärung: Wußten die Forscher, daß Plutonium einen Überdruck in der Flasche erzeugen kann, und wenn ja, warum gab es keine entsprechenden Schutzvorrichtungen dagegen? Wenn sie es jedoch nicht wußten, stellt das die häufig vorgetragene Behauptung der Atomlobby in Frage, derzufolge die Nukleartechnologie beherrschbar sei. Das ist sie offenbar nicht.

Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es selbstverständlich für keine Technologie, das ist bekannt. Es besteht allerdings ein gewaltiger Unterschied, ob mit Plutonium oder anderen Energieträgern hantiert wird. Wenn eine Flasche mit Plutonium zerbricht, kann das, je nach Menge und Verteilung der beteiligten Substanzen, die Gesundheit von Dutzenden bis Hunderten Menschen schädigen.

Die Forschungslabore der IAEO in Wien sind unverzichtbarer Bestandteil einer nuklearen Infrastruktur globalen Ausmaßes. Läßt man das letzte halbe Jahrhundert, seitdem in kommerziellen Kernkraftwerken mittels radioaktiver Substanzen elektrische Energie erzeugt wird, Revue passieren, so fällt auf, daß viele hundert kleinere und größere Unfälle nicht verhindert werden konnten. Hinzu kommt die permanente Freisetzung radioaktiver Substanzen im Normalbetrieb der Nuklearanlagen, was allem Anschein nach unter anderem zu einer signifikanten Erhöhung der Krebsrate bei Kindern im näheren Umfeld der Meiler führt. Das alles zusammengenommen spricht der Behauptung der Lobbyisten, die Nukleartechnologie sei sicher, Hohn.

4. August 2008