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ATOM/389: Erneutes Erdbeben in Japan - Strahlenlecks im Akw Onagawa (SB)


Knapp am GAU vorbei oder Erdbeben locker weggesteckt?

Nachbeben ließ externe Stromversorgung von zwei japanischen Atomkraftwerken kollabieren


Kaum daß die Dauerberieselung mit Beruhigungsnachrichten vom havarierten japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiishi zu greifen beginnt und die Öffentlichkeit irrtümlicherweise anfängt zu glauben, daß jetzt alles nur noch besser werden kann, wird der Inselstaat erneut von einem schweren Erdbeben heimgesucht. Abermals gibt es Schwierigkeiten mit dem Betrieb von Atomkraftwerken, diesmal sind das Akw Onagawa in der Präfektur Miyagi und das Akw Higashidori in der Präfektur Aomori betroffen. Ersteres liegt rund 190 Kilometer nördlich von Fukushima und war nach dem Beben und Tsunami am 11. März 2011 abgeschaltet worden, da bereits damals die externe Energieversorgung zusammengebrochen war.

Bei den aktuellen seismischen Erschütterungen, die eine Stärke von 7,1 erreichten, trat aus mehreren Abklingbecken radioaktives Wasser aus, angeblich schwappte es über. Betroffen waren alle drei Reaktoren des aus drei Meilern bestehenden und von Tohoku Electric Power betriebenen Atomkraftwerks Onagawa [1]. Nach Angaben der Nuklearen und Industriellen Sicherheitsbehörde (NISA - Nuclear and Industrial Safety Agency) kam es in acht Sektoren zu Wasserleckagen, wobei auf dem Boden im Gebäude des Abklingbeckens von Reaktor 1 bis zu 3,8 Liter kontaminiertes Wasser mit einer radioaktiven Belastung von 5410 Becquerel pro Kilogramm festgestellt wurde. In einem Turbinengebäude von Reaktor 3 wurden Aggregate zur Druckkontrolle beschädigt. Beim aktuellen Erdbeben fiel ebenfalls die Kühlung von Brennelementen aus, allerdings "nur" für 20 bis 80 Minuten. Laut NISA stiegen die Temperaturen deshalb kaum an. [2]

Bislang wurde rund um den Meiler keine erhöhte Strahlung registriert, und in Fukushima Daiichi hat das Nachbeben angeblich keine neuen Schäden verursacht. In einem Brennelemente-Zwischenlager in dem Dorf Rokkasho in der Präfektur Aomori brach nach dem aktuellen Beben die äußere Stromversorgung zusammen. Dort sprang das Notstromaggregat an. Der einzige Reaktor des Akw Higashidori ist gegenwärtig mit keinen Brennelementen bestückt, sie befinden sich in einem Abklingbecken.

Unterdessen leitet die Betreibergesellschaft des Akw Fukushima Daiichi weiterhin angeblich relativ gering radioaktiv verstrahltes Wasser ins Meer, um Platz für stärker verstrahltes Wasser aus dem Keller des Turbinengebäudes Nr. 2 zu gewinnen. Seit dem ersten Tag der Havarie geht es darum, die Kühlung der Reaktoren in Betrieb zu nehmen. Da das bis heute nicht gelungen ist, gilt die Lage in den Reaktoren von Fukushima Daiichi als gefährlich.

Die südkoreanische Regierung hat offenbar säuerlich darauf reagiert, daß Japan radioaktives Wasser in den Pazifik leitet, ohne sie darüber in Kenntnis zu setzen. Nächste Woche soll es zu einem Treffen von Vertretern beider Staaten kommen. "Wir erwarten, daß die Sorgen und Fragen unserer Bevölkerung gelöst werden, wenn Japan detailliertere und präzisere Informationen" über die Umweltschäden liefert, zitiert die japanische Nachrichtenagentur Kyodo einen namentlich nicht genannten Vertreter des südkoreanischen Außenministeriums. [3]

Die Strahlenpartikel aus Japan benötigten nur zwei Wochen, dann hatten sie sich über die Nordhalbkugel verteilt. In Südkorea haben bereits 126 Schulen der Gyeonggi-Provinz wegen des möglicherweise radioaktiv belasteten Niederschlags aus Japan geschlossen und 43 weitere die Unterrichtsstunden reduziert. [4]

Nach Angaben der Regierung in Seoul ist die radioaktive Verstrahlung im Regen gering und stellt keine Gesundheitsgefahr dar. Doch bringt die Reaktion Südkoreas in Erinnerung, daß die Nuklearkatastrophe von Fukushima kein national zu lösendes Problem ist. Die südkoreanische Hauptstadt Seoul liegt näher am Ort der Havarie als die südlichsten Regionen Japans.

Die Berichterstattung über den jeweiligen Zustand der Kernkraftwerke läßt indes sehr zu wünschen übrig. Bisher hatte es geheißen, daß niemand mit einem Beben der Stärke 9,0, wie es am 11. März vor der ostjapanischen Küste auftrat, gerechnet habe und die Atomkraftwerke auch nicht auf eine solche Wucht ausgelegt seien. Warum man nicht damit gerechnet hat, ist eine berechtigte Frage, der aber an dieser Stelle nicht nachgegangen werden soll.

Nun tritt jedoch ein Erdbeben auf, das mit einer Stärke von 7,1 sehr viel schwächer blieb, und selbst dafür sind die Atomkraftwerke nicht ausgelegt. Denn wenn im Akw Onagawa drei der vier äußeren Stromversorgungen unterbrochen werden, die Temperaturen im Reaktorgebäude steigen (angeblich geringfügig) und zudem in acht Sektionen der Anlage Wasser überschwappt oder aus beschädigten Leitungen austritt, dann kann man nicht davon sprechen, daß das Akw auf ein Erdbeben der Stärke 7,1 ausgelegt war.

Die Zerstörungen von Fukushima Daiichi sind sicherlich um vieles größer als jetzt im Akw Onagawa. In Fukushima hat es die Unterbrechung der Stromversorgung erforderlich gemacht, den heißen Reaktor von außen zu kühlen. Eine partielle Kernschmelze konnte nicht verhindert werden, und offenbar als die Zirkonium enthaltenden Hüllen der Brennelemente in den Kernschmelzvorgang einbezogen wurden, kam es in drei Reaktoren zu Wasserstoffexplosionen. Zudem hat es im Abklingbecken von Reaktor 4 gebrannt, wobei ebenfalls große Mengen Radioaktivität freigesetzt wurden. Die Gefahren von Fukushima können keineswegs als behoben angesehen werden. Bleibt zu wünschen, daß die Betreiber der Atomkraftwerke, die am Donnerstag von dem leichteren Beben Zerstörungen verzeichneten, eine vollkommen transparente Informationspolitik betreiben.


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Anmerkungen:

[1] "Neues Erdbeben in Japan lässt radioaktives Wasser auslaufen. Im AKW Onagawa schwappen einige Liter aus Abkühlbecken", Neue Zürcher Zeitung, 8. April 2011
http://www.nzz.ch/nachrichten/panorama/wieder_schweres_erdbeben_in_japan_1.10168782.html

[2] "Radioactive water spilled at Onagawa nuclear plant in Miyagi", KyodoNews, 8. April 2011
http://english.kyodonews.jp/news/2011/04/84063.html

[3] "S. Korea, Japan to hold experts' meeting on nuclear crisis", Kyodo, 8. April 2011
http://english.kyodonews.jp/news/2011/04/84043.html

[4] "South Korean schools close amid radiation fears", Associated Press guardian.co.uk, 8. April 2011
http://www.guardian.co.uk/world/2011/apr/08/south-korea-schools-radiation-fear

8. April 2011