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ATOM/404: Nuklearkomplex Dounreay - Schottlands Umweltbehörde gibt komplette Dekontamination auf (SB)


Dounreay - die "Asse" Schottlands

Eine vollständige Beseitigung der Radionukleotide an der nordschottischen Küste angeblich nicht möglich


Schon viel zu lange können Lobbyisten der Atomtechnologie weitgehend unwidersprochen behaupten, daß der Betrieb von Atomkraftwerken sicher und diese Technologie besonders klimafreundlich ist. Mit "sicher" können nur die Einnahmen der ein Oligopol bildenden Energiekonzerne und mit "klimafreundlich" deren Beitrag zum Geschäftsklimaindex gemeint sein. Es hätte nicht erst zu einer Nuklearkatastrophe wie der des mehrfachen GAUs im japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi kommen müssen, um der atomaren Stromproduktion eine Absage zu erteilen.

Selbst wenn man nur die Atomwirtschaft Deutschlands betrachtet, stößt man auf eine Reihe von Unstimmigkeiten, um es vorsichtig zu formulieren: Der von Erdbeben und Wassereinbrüchen gefährdete Salzstock Gorleben ist noch immer nicht als möglicher Endlagerstandort aus dem Gespräch; aus der Schachtanlage Asse müssen weit über hunderttausend Fässer mit atomaren Abfall heraufgeholt werden, weil er das Grundwasser verseuchen könnte; in der Nähe der Nuklearanlagen Krümmel und GKSS wird eine der höchsten Leukämieraten der Welt verzeichnet, aber den Nachweis, daß diese typische Strahlenkrankheit tatsächlich auf radioaktive Strahlung zurückgeht, läßt sich angeblich nicht erbringen; statistisch steigt die Krebshäufigkeit bei Kindern, die in der Nähe von deutschen Kernkraftwerken leben, deutlich an, aber wie zu erwarten, hat eine entsprechende Studie (KiKK) nicht zu den gebotenen Konsequenzen geführt.

In anderen Ländern das gleiche Bild: Regierungen und Unternehmen verschleiern die Gefahren der Atomtechnologie, was fast immer zu Lasten der im Unklaren gelassenen Bevölkerung geht, die skrupellos einer erhöhten Gefahr für Gesundheit und Leben ausgesetzt wird. Ein Beispiel dafür liefert der Nuklearkomplex Dounreay an der nordschottischen Küste. Vor kurzem teilte die schottische Umweltschutzbehörde Sepa (Scottish Environment Protection Agency) mit, daß eine vollständige Beseitigung der mehr als zwei Jahrzehnte lang aus den Nuklearanlage von Dounreay fahrlässig ins Meer geleiteten Strahlenpartikel nicht mehr angestrebt wird und daß die Bemühung darum sogar mehr Schaden als Nutzen bringen könnte, wie die britische Zeitung "The Guardian" am 21. September schrieb. [1]

1998 hatte die Sepa noch eine Beseitigung sämtlicher Radionukleotide am Strand und vor der Küste Dounreays angestrebt, um den "ursprünglichen Zustand" wiederherzustellen. Inzwischen herrsche weitgehend Einigkeit darüber, daß das Ziel nicht so einfach zu erreichen und nicht einmal ein machbares Konzept sei, sagte eine Sepa-Sprecherin gegenüber der Zeitung. Vor fünf Jahren hatte eine Expertengruppe der schottischen Umweltschutzbehörde davor gewarnt, daß ein zu starkes Aufwühlen des Meeresbodens bei der Suche nach den sandkornartigen Partikeln, die mit den radioaktiven Einleitungen ungefiltert ins Meer geleitet worden waren, dazu führen könnte, daß die Radionukleotide davongeschwemmt und Menschen gefährdet werden könnten. Die am stärksten strahlenden Partikel, die man gefunden habe, könnten im Falle einer Inkorporation lebensgefährliche Folgen nach sich ziehen, hieß es.

Nun stellt die Umweltschutzbehörde die Verhältnisse auf den Kopf: Zunächst kontaminieren die Betreiber der Nuklearanlagen die Umwelt mit hochgefährlichen Stoffen - die Rede ist von Cäsium-137 und Plutonium-239 -, dann wird ihre restlose Beseitigung so mühsam, daß plötzlich die Umweltschützer, die auf eine vollständige Wiederherstellung der ursprünglichen Verhältnisse drängen, den Schwarzen Peter zugeschanzt bekommen, sollten sie auf ihrer Forderung bestehen. "Wieder einmal müssen wir erleben, daß die Nuklearindustrie ein Problem verursacht, das sie nicht lösen kann, und die Kosten und Konsequenzen auf den Rest von uns abwälzt", sagte Stan Blackley, Leiter der Umweltschutzgruppe Friends of the Earth Scotland. "Kernenergie ist weder sicher, sauber, preiswert noch CO2-emissionsarm, sie produziert fortgesetzt Probleme und erfordert vom Steuerzahler versteckte und nicht enden wollende Kosten." [1]

Das Argument der Sepa, daß ein Aufwühlen des Meeresbodens mehr Schaden verursachen als Nutzen bringen könnte, weil die Strahlenpartikel abwandern könnten, wirkt unglaubwürdig angesichts der sehr kräftigen Stürme, die regelmäßig an der nordschottischen Küste auftreten und natürlich auch den Meeresboden aufwühlen. Selbst die Betreiber des Dounreay-Komplexes schreiben auf ihrer Website: "Versuche mit dem Rückholsystem lassen darauf schließen, daß die Störungen des Meeresbodens minimal und viel geringer sind als durch natürliche Kräfte während der Sturmbedingungen." [2] Zudem sind die Gezeitenkräfte an der schottischen Nordküste so stark, daß bereits Überlegungen angestellt werden, auf dem dekontaminierten Nukleargelände ein Gezeitenkraftwerk zu bauen. Das spricht auch nicht gerade für die Plausibilität des Sepa-Arguments, der Meeresboden könnte durch menschliche Aktivitäten zu stark aufgewühlt werden. [3]

Auf dem Nuklearkomplex Dounreay, der aus drei stillgelegten Akws der United Kingdom Atomic Energy Authority (UKAEA) - davon zwei vom Typ Schneller Brüter -, zwei Akws des Verteidigungsministeriums (Vulcan Naval Reactor Test Establishment des Ministry of Defence), zwei stillgelegten Wiederaufbereitungsanlagen und einer Reihe von Einrichtungen zur Behandlung von Strahlenmüll besteht, sind sowohl jahrzehntelang während des Dauerbetriebs der verschiedenen Anlagenteile als auch durch eine schwere Explosion Strahlenpartikel in die Umwelt gelangt.

Bereits 1955 hatte die UKAEA in Dounreay Experimente mit Brutreaktoren durchgeführt. Als erster Brüter der Welt erzeugt der 1962 angelaufene Dounreay Fast Reactor (DFR) elektrischen Strom für den Hausgebrauch, 1977 wurde er abgeschaltet. Der zweite Brüter, der Prototype Fast Reactor (PFR), speiste von 1975 bis 1994 Elektrizität ins Stromnetz ein. Die erste der Wiederaufbereitungsanlagen wurde 1958 in Betrieb genommen.

Zu einem schweren Unfall kam es am 10. Mai 1977, als Mitarbeiter zwei Kilogramm Natrium und Kalium in einen 65 Meter tiefen Schacht, der den Kodenamen D1225 trug, hinabließen. Dort lagerten bereits abgebrannte Brennelemente und - durchaus vergleichbar mit der Asse - viele andere Dinge, über die niemand genau Bescheid wußte. [4] Da aber längst Meerwasser in den Schacht eingedrungen war, kam es zu einer Wasserstoffexplosion, durch die sich Strahlenpartikel in der Umgebung verteilten. Aufgrund der Wucht der Explosion wurde die etwa sieben Tonnen schwere Betonabdeckung des Schachts um mehrere Meter abgesprengt. Bruchstücke flogen Dutzende Meter weit. Der Schacht war nie als Lager für Brennelemente vorgesehen, wurde aber für diesen Zweck benutzt. Eine verläßliche Buchführung, was alles an Strahlenmüll in ihn hineingekippt worden war, existiert nicht. Doch wurden zwischen Juni 1958 und Mai 1977 mehr als 16.000 Abladungen registriert. Eine Zeitlang hatten Arbeiter sogar von oben mit Gewehren in den Schacht geschossen, um Fässer, die auf dem Wasser schwammen, zu durchlöchern und zum Sinken zu bringen!

Ähnlich wie andere Nuklearunfälle nicht nur in Großbritannien erfuhr die Öffentlichkeit erst viel später Genaueres über die Ereignisse. Seit 1983 wurden regelmäßig Strahlenpartikel vor der Küste und am anschließend gesperrten Strand gefunden, aber erst 1995 kam die ganze Geschichte durch einen Bericht des Gesundheitsministeriums ans Licht. Erst danach wurde das Küstenvorland von Dounreay abgesperrt. Selbst auf einem von Touristen gut besuchten Strandabschnitt waren schon mal Strahlenpartikel gefunden worden.

Ein Leck im Kühlkreislauf im Oktober 1996 sollte schließlich das endgültige Aus der Wiederaufbereitungsanlage einleiten. Seit Jahren wird unter großem Aufwand versucht, die radioaktiven Partikel einzusammeln, wobei zum einen die Strände durchkämmt werden und zum anderen mit Tauchern und Tauchrobotern der küstennahe Meeresboden abgescannt wird. 1997 wurde eine Fischereiverbotszone verhängt. Im Juli 1999 wurde bekannt, daß Strahlenmaterial ins Meer geleitet und auf eine ungesicherte Müllkipppe an Land verbracht worden war. [5]

Der besagte Schacht wird nun mit großem Aufwand beseitigt. Die UKAEA schätzt, daß in ihm bis zu vier Kilogramm Plutonium und bis zu 98,5 Kilogramm waffenfähiges Uran-235 in gelöster Form vorhanden sind. Auch 170 Kilogramm "fehlendes" Uran könnten dorthin "entsorgt" worden sein, wird spekuliert. Der technologisch äußerst schwierige Rückbau des Schachts wird auf zwanzig Jahre veranschlagt, was Kosten in Höhe von mindestens 350 Millionen Euro verursachen dürfte. Das ist jedoch nur ein geringer Teil der Anlagen, die zurückgebaut, und der radioaktiven Kontaminationen, die beseitigt werden müssen, und insgesamt einen riesigen Energieeinsatz erfordern, was bei der Behauptung, Akws seien klimafreundlich, gern vernachlässigt wird.

Die Rückbaukosten für den gesamten Dounreay-Nuklearkomplex werden auf sechs Milliarden Euro und die Entseuchungsarbeiten auf 30 Jahre geschätzt. Bestimmte Flächen werden wohl 300 Jahre nicht freigegeben. [6] Daß selbst anschließend noch Partikel mit der potentiell tödlichen Strahlenfracht des Plutoniums in der Umwelt herumgeistern, wird mit Hilfe der Statistik kleingerechnet. Ein Kontakt zu den Radionukleotiden gilt nach Behördenangaben als sehr unwahrscheinlich.

1986 wurde in einer Studie festgestellt, daß unter jungen Menschen, die in der Nähe des Nuklearkomplexes Dounreay leben, eine statistisch signifikante Häufung von Leukämie auftritt. Zwar hat zehn Jahre darauf das Committee on Medical Aspects of Radiation in the Environment (COMARE), das die britische Regierung in Fragen der gesundheitlichen Folgen von Strahlung in der Umwelt berät, in einem Fachblatt die Existenz der Leukämiehäufung bestätigt, doch zugleich behauptet, daß auf der Grundlage konventioneller Dosis- und Risikoabschätzungen die Nuklearanlage nicht für den Blutkrebs verantwortlich gemacht werden könne. [7] Eineinhalb Jahrzehnte und ein halbes Berufsleben der Nuklearexperten später kein anderes Ergebnis. Im 14. COMARE-Report vom Mai dieses Jahres heißt es: "COMARE sieht keinen Grund, seine frühere Einschätzung für die Regierung (wie im 10. Report festgehalten) zu revidieren, wonach es keinen Beweis für die Behauptung eines erhöhten Risikos für Leukämie bei Kindern in Nähe von Kernkraftwerken in Großbritannien gibt." [8]

Einen Beweis, daß die rund um Dounreay verbliebenen und von der Sepa irgendwann nicht mehr aus der Umwelt entfernten Strahlenpartikel keinen Schaden anrichten, läßt sich allerdings ebenfalls nicht erbringen. Was also tun? Die britische Regierung will mindestens fünf neue Atomkraftwerke bauen. Die sind dann selbstverständlich sicherer als die alten Meiler, die allerdings der Bevölkerung ursprünglich ebenfalls als sicher verkauft worden waren. Ach, wer trägt noch mal das Restrisiko, das kein noch so qualifizierter Experte ausschließen kann?


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Fußnoten:

[1] "Scottish nuclear fuel leak 'will never be completely cleaned up'", The Guardian, 21. September 2011
http://www.guardian.co.uk/environment/2011/sep/21/scottish-nuclear-leak-clean-up

[2] Particle Cleanup, abgerufen am 29. September 2011
http://www.dounreay.com/particle-cleanup

[3] "Robots scour sea for atomic waste - Submarines search for radioactive material dumped off the Scottish coast in the 1980s", The Observer, 25. Mai 2008
http://www.guardian.co.uk/environment/2008/may/25/pollution.conservation

[4] "No-one knows what is left in the Dounreay waste shaft", The Herald Scotsland, 25. Januar 2007
http://www.heraldscotland.com/no-one-knows-what-is-left-in-the-dounreay-waste-shaft-1.851564

[5] "Dounreay nuclear waste was dumped in the sea", The Herald Scotsland, 7. Februar 2007
http://www.heraldscotland.com/dounreay-nuclear-waste-was-dumped-in-the-sea-1.852265

[6] "How Dounreay's nuclear dream turned sour", The Scotsman, 13. November 2002
http://thescotsman.scotsman.com/scotland/How-Dounreays-nuclear-dream-turned.2377514.jp

[7] "The measurement of radioactivity in people living near the Dounreay Nuclear Establishment, caithness, scotland", Int J Radiat Biol. 1996 Aug;70(2):117-30
http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/8794841

[8] "COMARE 14th Report: Further consideration of the incidence of childhood leukaemia around nuclear power plants in Great Britain", Presseerklärung, 6. Mai 2011
http://www.comare.org.uk/press_releases/14thReportPressRelease.htm

29. September 2011